22 Bullets (2010)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Einfach nicht totzukriegen

Seine Arbeiten waren wild, bildgewaltig und machten nicht nur Cineasten neugierig. Der junge Regisseur Luc Besson überraschte die festgefahrene französische Filmszene in den späten 80er und frühen 90er Jahren mit energiegeladenen, durchgestylten Werken wie Subway, Im Rausch der Tiefe und Nikita. Ein junger bärtiger Schauspieler schob sich dabei immer mehr in den Mittelpunkt – mit einem Charisma, das man nicht erlernen kann. Juan Moreno y Herrera Jiménez hieß dieser mysteriöse Marokkaner ursprünglich, den man bald nur noch als Jean Reno kannte. Der ganz große internationale Durchbruch gelang Reno aber erst 1994 in Bessons unvergesslichem Actionthriller Léon – der Profi. Reno, der hier seine einsame Auftragskillerrolle aus Nikita wunderbar minimalistisch variierte war fortan auf diese Figur festgelegt, auch wenn er als Komödiendarsteller in seiner Heimat immer wieder große Erfolge (Ruby & Quentin) feiern konnte.

Mit Besson, der sich bald als Blockbusterproduzent (Taxi, Taxi, Transporter) einen Namen machte, arbeitet Reno heute nicht mehr zusammen. Ihr Verhältnis soll nachhaltig gestört sein. Doch hin und wieder kreuzen sich noch ihre beruflichen Wege – wie in Richard Berrys 22 Bullets. Pikanterweise trägt Renos Figur hier viele Züge von Léon. Aber Besson hatte letztlich keinen Anteil daran, er fungierte bei 22 Bullets wie so oft nur als Geldgeber im Hintergrund. Wen wundert es, dass bei solch komplizierten Konstellationen vor und hinter der Kamera 22 Bullets nie die Tiefe von Léon – der Profi erreicht. Das liegt aber nicht an Berrys solider Inszenierung, sondern an der doch erheblichen Ansammlung einschlägiger Mafiafilm-Klischees.

Dabei spielt Jean Reno in 22 Bullets, der Verfilmung von Franz-Olivier Giesberts Roman L’Immortel (so auch der Originaltitel des Films), einen echten Paten. Und „echt“ bezieht sich in diesem Fall nicht nur auf die Charaktereigenschaften seiner Figur Charly Matteï, sondern auf dessen autobiographischen Hintergrund. Denn 22 Bullets lehnt sich an das Leben des berüchtigten Marseiller Mafiaanführers Jacky Imbert an, der 1977 auf einem Parkplatz in Cassis überfallen und niedergeschossen wurde. Der Legende nach sollen es 22 Kugeln gewesen sein, die Imbert abbekam und die ihm den Spitznamen „Der Unsterbliche“ (=„L’Immortel“) einbrachte. Auch Charly muss im Film die gleiche Hinrichtungsaktion über sich ergehen lassen. Dabei hatte er sich doch eigentlich bereits zur Ruhe gesetzt und wollte mit seiner Familie an der Mittelmeerbucht das Leben nach der Gewalt genießen. Doch es kommt anders: Charly überlebt das Massaker wie durch ein Wunder, und er nimmt sich bereits auf dem Krankenbett vor, das Killerkommando zur Rechenschaft zu ziehen. Nur ist ihm noch überhaupt nicht klar, wer hinter dem Anschlag steht. Die Anzeichen verdichten sich aber bald, dass Tony Zacchia (Kad Merad), Charlys aufbrausender Jugendfreund und ehemaliger Partner in Crime, etwas mit dem Gemetzel zu tun hatte. Aber auch die Polizei, unter der Führung der verbitterten Mafiajägerin Marie Goldmann (Marina Foïs), nimmt sich Charlys Fall an, und versucht ein Blutbad zu verhindern.

Mit Taken hat Produzent Luc Besson bereits bewiesen, dass der Rache-Thriller auch 30 Jahre nach Charles Bronsons Death Wish-Reihe nichts an seiner Beliebtheit eingebüßt hat. Statt Liam Neeson sieht jetzt Jean Reno rot. Wie bei Taken ist die Tat moralisch fragwürdig motiviert. Charly hat in 22 Bullets seine Killertage längst hinter sich gelassen. Dabei zählte er immer schon zu den Mafiosi, denen Frauen und Kinder heilig waren. Jetzt rächt er sich an der „dunklen“ Seite seines Milieus, an geldgierigen Machtmenschen wie Tony Zacchia, die von moralischen Wertvorstellungen nichts wissen wollen. Mit diesem primitiven Drehbuchkniff gelingt es Berry, der vor allem als Schauspieler (Die Abrechnung) in Frankreich populär ist, die Zuschauer auf Renos Seite zu ziehen. Charly wird in 22 Bullets als distinguierter Opernliebhaber und Familienmensch inszeniert, seine harte Gangster-Vergangenheit unterschlägt Berrys Film weitgehend. Nur in den eiskalten Abknallsequenzen schimmern diese nicht ganz so angenehmen Facetten seines Charakters durch. Überhaupt macht es sich Berry in seinem Film zu leicht, wenn er ständig alte Mafiaklischees bedient. In 22 Bullets feiert die ehrenwerte Gesellschaft gerne opulente Feste, sonnt sich im Kreis der Familie, legt Wert auf schicke Fahrzeuge, edle Kleider, luxuriöse Gemächer und schmackhaftes Essen. Alles schon mal da gewesen. Da war Matteo Garrones Gomorrha-Film schon weiter.

Wenigstens gefällt 22 Bullets durch eine temporeiche und nie langweilige Inszenierung. Die sonnendurchfluteten, mit Farbfiltern aufgenommenen, Bilder sind edel, die Kameraarbeit ist stets dynamisch, aber nie hektisch, was den wenig spektakulären Actionszenen zu Gute kommt. Auch die Musik von Hitlieferant Klaus Badelt (Fluch der Karibik) gibt die flirrend-bedrohliche Stimmung treffend wieder. Darstellerisch kann 22 Bullets ebenfalls punkten. Reno agiert in seiner Standardrolle gewohnt souverän und wirkt stets präsent, während Charakterdarstellerin Marina Foïs als leidende Polizistin – ihr Mann wurde von einem Mafiamitglied erschossen – sich darum bemüht, ihre wenig ausdifferenzierte Figur mit Leben zu füllen. Die eigentliche Überraschung des Films ist aber Kad Merad. In seiner ersten Bösewichtrolle überzeugt der Starkomiker aus Der kleine Nick und Willkommen bei den Sch’tis voll und ganz. Genussvoll arbeitet er Tonys Macken heraus. Die ständigen Kopfschmerzen des überdrehten Hypochonders bringen ein bisschen Humor ins allzu ernste Spiel von 22 Bullets. Schade nur, dass er Tonys Stotterei ab der Hälfte des Films unerklärlicherweise aufgibt. Dennoch gelingt es Merad, neben all diesen Spleens, immer auch die versteckte Bösartigkeit und Brutalität von Tony glaubwürdig zu zeigen. Eine reife Leistung für einen gelernten Komiker.

Mit 22 Bullets ist Richard Berry alles in allem ein leidlich spannender, gut gespielter und stilvoll inszenierter Rachethriller gelungen. Dennoch muss man dem Regisseur vorwerfen, dass er die Kulisse der brodelnden Hafenstadt Marseille zu wenig nutzt und viel zu viele Mafiaklischees einbaut, die den Unterhaltungswert seines in Frankreich nur mäßig erfolgreichen Films ein wenig klein wenig trüben.
 

22 Bullets (2010)

Seine Arbeiten waren wild, bildgewaltig und machten nicht nur Cineasten neugierig. Der junge Regisseur Luc Besson überraschte die festgefahrene französische Filmszene in den späten 80er und frühen 90er Jahren mit energiegeladenen, durchgestylten Werken wie „Subway“, „Im Rausch der Tiefe“ und „Nikita“.

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Meinungen

Michael Thiem · 27.12.2010

Ich habe mir den Film „22 Bullets“ gestern mit Freunden im Kino angeschaut und ich bin begeistert. Der Film hat mich super unterhalten, nicht nur durch die Actionszenen, auch die Schauspieler haben überzeugt. Die Hauptrolle ist mit Jean Reno bestens besetzt worden.

Liebe Grüße,
Michael

Jonathan · 29.11.2010

Ein Plot, der "ein letztes Mal muss er/sie ..." beinhaltet, klingt so abgedroschen, dass alle, die daraufhin nicht hilfesuchend gen Himmel schauen, wahrscheinlich auch ein letztes Mal müssen. Umso faszinierender ist es, wie ein – einmal mehr – brillanter Jean Reno in tiefen Bildern einer fesselnden Geschichte mit harter Action den Zuseher mitreißt. Ein Film, wie ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die es verdient haben. Großartig.

Marcus · 28.11.2010

Wer auf gute handgemachte aktion steht wird mit dem Film mehr als verwöhnt werden.
Tolle Bilder und ein wirklich hereausragender Jean Reno machen den Film absolut sehenswert.
Endlich mal wieder ein gut gemachter Film mit einer guten Story und tollen Schauspielern.

Sehenswert.