I Am Love (2009)

Eine Filmkritik von Lida Bach

L´elisir d´amore

In der Leidenschaft verschmelzen Fühlender und Gefühl. „Ich bin Liebe“ bedeutet der Originaltitel von Luca Guadagninos sinnlichem Drama Io sono l’amore. Der italienische Regisseur ergründet in seiner vielschichtigen Beziehungsstudie die Liebe in all ihren Facetten und Nuancen. Die Leichtigkeit einer amour fou und die elegische Düsterkeit einer Familientragödie vereinen sich in der meisterlichen Inszenierung. Seine emotionale Intensität gewinnt die bittere Liebesgeschichte nicht durch die Handlung, sondern die hintergründige Sinnlichkeit seiner Bilder.

Io sono l’amore ist reich an leidenschaftlichen Szenen. Die eindringlichste von ihnen aber ereignet sich ohne physische Erotik. In einem Restaurant kostet Emma (Tilda Swinton) von einem Gericht, dass der Koch Antonio (Edoardo Gabriellini) eigens für sie zubereitet hat. Nach einem Bissen ist es um sie geschehen. Ihre Umwelt versinkt im Dunkeln, alle Geräusche verstummen, während sie lustvoll ihre Speise genießt. Sinnliche Freude hat Emma verlernt. Seit Jahrzehnten ist die gebürtige Russin seelisch erstarrt in der Ehe mit Tancredi Recchi (Pippo Delbono), dem Patriarchen einer italienischen Industriellen-Dynastie. Nur zu ihren erwachsenen Kindern Elisabetta (Alba Rohrwacher) und Eduardo (Flavio Parneti) empfindet Emma noch Nähe. Antonios Gericht wirkt auf sie wie ein Liebestrank aus einem Märchen. Antonio und Emma verfallen einander. Doch die Gefühlskälte der Recchis duldet kein romantisches Feuer. Ein Recchi ist auch Antonios Freund Eduardo.

Der einzige Makel an Guadagnios hochkarätigem Film scheint paradoxerweise, dass es so exakt strukturiert wirkt, dass es an Kalkulation grenzt. Elf Jahre lang konzipierten Guadagnino und Tilda Swinton das Drama. Jedes Wort, jedes Bild scheint sorgfältig abgestimmt. Das Filmplakat zeigt das Ensemble in strenger Sitzordnung, um eine Sitzordnung am Tisch der Recchis geht es in den Anfangsszenen. Jedes Mitglied der Recchis kennt den ihm zugewiesenen Platz. Ihn zu verlassen kommt einem Verrat gleich. Konflikte werden unterdrückt oder totgeschwiegen. Unter der undurchdringlichen Oberfläche aber glühen die Emotionen. Die in diesem Konflikt aufgeworfenen melodramatischen Elemente des Films hält das konzentrierte Spiel der Darsteller im Zaum. Nicht Maßlosigkeit, sondern Qualität weckt den Genuss. Io sono Amore, der auf der diesjährigen Berlinale in der Programmsektion Kulinarisches Kino aufgeführt wurde, zeigt Essen und Dramatik gleichsam sorgfältig portioniert. Antonios Kochkunst vermittelt seinen unverfälschten Charakter und seine Genussfreude. Beides macht ihn zum Gegenbild der gleichzeitig lustfeindlichen und dekadenten Recchis. Antonio und Emma lieben sich auf dem Stein, auf Holzboden oder einer Wiese voll Gräser und Insekten. Ihre Naturverbundenheit symbolisiert die Natürlichkeit ihrer Gefühle. In der stilisierten Kühle der Recchi-Villa ist die romantische Liebe tot.

Ihre architektonische Strenge gleicht einem Mausoleum. Sein Anwesen charakterisiert Tancredi als Sammler: von Vermögen, Kunstwerken und Menschen. Nach Russland sei er gekommen, um Schätze zu finden, erinnert sich Emma gegenüber Antonio. Gefunden hat Tancredi sie. Die Jahre als Accessoire an der Seite ihres Gatten waren für Emma gleichbedeutende mit seelischer Unterdrückung. Symbolisiert wird die Auslöschung ihrer Individualität innerhalb des italienischen Familien-Clans durch die Änderung ihres Namens. Wie fern Emma und Tancredi einander sind, offenbart er, als gemeinsame Trauer um einen schweren Verlust beide eint, indem er sie mit dem fremden Namen anredet. Durch ihre Liebesbeziehung findet Emma zu ich selbst und ihrem wahren Namen zurück. John Adams schwermütigen Kompositionen setzen einen unterschwelligen Kontrast zu der leidenschaftlichen Zärtlichkeit zwischen Emma und Antonio. Nach der sich anbahnenden Tragödie erscheint die Musik als düsteres Omen.

Das Unglück, welches sie wie eine Strafe dafür erleidet, wirkt in seiner Willkür auf den Zuschauer ebenso verstörend wie auf die Figuren. Doch Io sono l’amore mündet nicht in der Etablierung bürgerlicher Moral, sondern deren Niederlage. Die Radikalität dieses „Amor omnia vincit“ versöhnt mit den melodramatischen Anklängen und macht Io sono l’amore so gelungen wie Antonios Gerichte. Ein Genuss, der bis zum letzten Moment ausgekostet werden muss.
 

I Am Love (2009)

In der Leidenschaft verschmelzen Fühlender und Gefühl. „Ich bin Liebe“ bedeutet der Originaltitel von Luca Guadagninos sinnlichem Drama „Io sono l’amore“. Der italienische Regisseur ergründet in seiner vielschichtigen Beziehungsstudie die Liebe in all ihren Facetten und Nuancen.

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Meinungen

Deliverance · 22.04.2021

Ich kann mich dem Kommentar von Espeto nur anschließen. Habe mich aufgrund der positiven Rezensionen mancher Kommentare verleitern lassen ihn anzuschauen. Normalerweise habe ich prinzipiell nichts gegen slow-paced Filme wenn sie denn eine clevere Story und eine gute Umsetzung haben. Dem Film fehlt es an beidem. Einige Handlungsstränge und Situationen werden nur angerissen aber nicht konsequent weiterverfolgt, und man merkt dem Regisseur die gewollte Pseudo-Originalität an, aber dahinter steckt nur eine leere Luftblase. Teils merkwürdig fahrige Kameraeinstellungen, kitschige Inszenierungen (wie etwa die Liebesszene im Gras) und eine Filmmusik die plötzlich so richtig laut und nervös wird obwohl sich eigentlich nicht wirklich viel in der Szene tut...nennt man wohl musikalische Kompensation von langweiligen Szenen? Das Ende ist schließlich auch ohne Raffinesse und schon lange vorhersehbar.

Werner S _ Stuttgart · 24.11.2010

Ich kann mich meinen Vorschreibern nur anschließen-
Der Film - vor allem die Musik fand ich toll.
Hoffentlich veröffentlicht der Filmverleih eine CD mit der Filmmusik.

Jan · 11.11.2010

Ich fand den Film einfach sehr schön anzusehen und die Performance von Tilda Swinton unglaublich gut. Das ist doch für einen Kinobesuch mehr als genug.

espeto · 08.11.2010

Eine vor Klischees strotzende Geschichte, die eine Mischung von Lady Chatterlys Lover und Effi Briest darstellt, nur ohne wirkliche Dramatik, weil man das schwülstige Ende schon lange ahnt. Der Film weckt keine Emotionen mit Ausnahme der Szene, in der sich die Mutter von der Tochter mit Blicken verabschiedet.

NIlfisk · 06.11.2010

Der Film ist ganz großes Kino, für jeden Cineasten ein Muss! Aber wer zum Teufel hat eigentlich die Idee gehabt, dass alles, was nicht Mainstream-Kino ist derzeit mit der Handkamera gedreht werden muss?! Das verkraftet mein Gleichgewichtssinn nicht, sprich, es wird mir übel, und zwar wie! Dann bei so einem Film gezwungenermaßen auf Hör-Film umzuschalten und die Augen schließen zu müssen ist ewig schad'...

kfratzscher · 29.10.2010

Der film nimmt sich viel zeit für die handlung und läßt einen am ablauf teilnehmen. Tilda swinton zeigt, was sie in diesem haus der reccis lebt, sehr eindrucksvoll und ausdruckstark,und gemächlich, sodaß man sich fragt, in welcher zeit der film eigentlich spielt. Das gepflegte familienleben hat seinen preis, alle halten sich an die regeln. Man spürt die tradition und die kultur dieser Oberschichtfamilie und man wird eine ganze weile hingehalten, bis was passiert. Ein schöner kontrast wird da aufgebaut; zum schluß wird´s zum drama. Und die liebe siegt. Großes kino, bilder , die man nicht vergißt.