Poetry

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf der Suche nach den Worten und Wörtern

Am Anfang von Poetry sehen wir eine Flusslandschaft in Südkorea, spielende Kinder – kurzum ein Idyll, bei dem eigentlich nicht nur Leiche einer jungen Frau stört, die die Kamera nach einiger Zeit zeigt. Als die Leiche des Mädchens geborgen wurde und die verzweifelte Mutter am Krankenhaus eintrifft, kreuzen sich hier ihre Weg mit der bedeutend älteren Mija (Yun Junghee), die gerade erfahren hat, dass ihre Wortfindungsstörungen ein erstes Symptom ihrer Alzheimer-Erkrankung sind und dass es noch weitaus schlimmer kommen wird. Und tatsächlich kommt es schlimmer allerdings ganz anders als gedacht, denn es stellt sich heraus, dass Mijas Enkel, der bei ihr lebt, einer von sechs Jugendlichen ist, die über Monate hinweg eine Mitschülerin vergewaltigt und in schließlich in den Selbstmord getrieben haben – eben jene junge Frau, deren Leiche wir am Anfang durchs Wasser treiben sahen. Die Eltern der beteiligten Jugendlichen versuchen sich das Schweigen der Mutter des Mädchens zu erkaufen und bieten ihr schließlich eine gewaltige Summe an, von denen jeder einen Anteil übernehmen soll. Doch Mija, die sich mit ihrer kleinen Rente und einem Job als Pflegerin für einen älteren Herren mühsam durchschlägt, kann die Summe nicht aufbringen, so dass der Deal zu platzen droht. Und zugleich lernt sie durch einen Poetik-Kurs an der Volkshochschule, einen anderen Blick auf die Dinge zu werfen und selbst für Vertrautes die geeigneten Worte zu finden, was ihr am Ende dabei helfen wird, einen Ausweg aus ihrer verfahrenen Situation zu finden.
Lee Chang-dong erzählt in seinem Film Poetry vom Verlust der Worte und Wörter und der verzweifelten Suche danach – und zwar gleich in vielfacher Hinsicht. Da ist zum einen die Alzheimer-Erkrankung Mijas, die sich in ihrem frühen Stadium darin äußert, dass Mija verschiedene Gegenstände nicht mehr benennen kann. Eine Erfahrung, die sich auch in ihrem Poetik-Kurs wiederholt, in dem es ebenfalls darum geht, die richtigen Worte zu finden. Sprachlosigkeit auf einer anderen Ebene bestimmen auch die anderen Beziehungen innerhalb des Settings: Da ist zum Beispiel das Schweigen von Mijas Enkel über seine Tat, das Verschweigen der Schule, an der die fortgesetzte Vergewaltigung geschah, das Verdrängen der Eltern der beteiligten Jungs und schließlich die Unbegreiflichkeit des Selbstmordes des Mädchens, das an der Unmöglichkeit, über das Geschehene zu sprechen, zerbrach. Am Ende ist es ausgerechnet Mija, die den Kreislauf des Schweigens durchbricht, das Leiden in Worte fasst, sich im Tod mit dem Mädchen verbündet und sich in ihr auflöst. Trotz aller Aussichtlosigkeit und dem tragischen Ende liegt in dieser letzten Figur des Films eine stille Schönheit, die berührt und über einige kleinere dramaturgische Schwächen des Films hinwegtröstet.

Poetry

Am Anfang von „Poetry“ sehen wir eine Flusslandschaft in Südkorea, spielende Kinder – kurzum ein Idyll, bei dem eigentlich nicht nur Leiche einer jungen Frau stört, die die Kamera nach einiger Zeit zeigt. Als die Leiche des Mädchens geborgen wurde und die verzweifelte Mutter am Krankenhaus eintrifft, kreuzen sich hier ihre Weg mit der bedeutend älteren Mija (Yun Junghee), die gerade erfahren hat, dass ihre Wortfindungsstörungen ein erstes Symptom ihrer Alzheimer-Erkrankung sind und dass es noch weitaus schlimmer kommen wird.
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