Die Liebe der Kinder

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

"Irgendetwas fehlt immer"

Eigentlich ist diese Liebe schon vorbei, bevor sie wirklich begonnen hat: Denn das erste Treffen zwischen der Bibliothekarin Maren (Marie-Lou Sellem) und dem Baumpfleger Robert (Alex Brendemühl), die sich via Internet kennen gelernt haben, verläuft ziemlich verkrampft. Was unter Umständen auch an der wenig anheimelnden Atmosphäre der Autobahnraststätte liegen mag, die die beiden für ein erstes Treffen im „real life“ ausgesucht haben. Zwar versucht Robert noch das Steuer herumzureißen, indem er für die beiden ein Zimmer in einem Motel nimmt, doch statt der ersehnten Annäherung steht am Ende dieser Episode die Entfremdung, als Maren erkennt, dass er sie hinsichtlich seines Berufes angeschwindelt hat. Und so könnte dieses zarte Pflänzchen einer sich anbahnenden Beziehung bereits eingehen, bevor es erblühen konnte – wäre da nicht Roberts Hartnäckigkeit, der Marens Mail, mit der sie die Verbindung beendet, einfach nicht akzeptieren will. Seine Beharrlichkeit ist es schließlich, die dafür sorgt, dass die beiden doch noch ein Paar werden – allen offensichtlichen Gegensätzen und Marens Bauchgefühl zum Trotz.
Schnell ziehen die beiden gemeinsam mit ihren Kinder, Marens Tochter Mira (Katharina Derr) und Roberts Sohn Daniel (Tim Hoffmann), in ein gemeinsames Haus. Und beinahe ebenso schnell kommt es zwischen den beiden Sechzehnjährigen zu einer Annäherung, die Maren nicht verborgen bleibt. Im gleiche Maße, wie sich Mira und Daniel ineinander verlieben, leben sich ihre beiden Eltern auseinander. Es kommt zu Verdächtigungen, Unterstellungen, Mutmaßungen und Seitensprüngen, denn „Irgendetwas fehlt immer“, wie Robert in einer Szene lakonisch feststellt. Als die beiden Kinder ihren Eltern eröffnen, dass sie gemeinsam in die Schule abbrechen, heiraten und in die Ukraine auswandern wollen, ist das der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es folgt die Trennung und am Ende — vielleicht doch noch – die Versöhnung und ein Neuanfang.

Betont nüchtern und in Szenen, die vieles von der Entwicklung der beiden Liebesbeziehungen auslassen, erzählt Franz Müller in Die Liebe der Kinder von der Suche nach einem späten Glück, von Gegensätzen, die sich anziehen und die doch kaum auszuhalten sind, von der Frische und Unbekümmertheit junger Liebe und von Beziehungen, die bereits durch vorher erfolgte Verletzungen belastet sind. Aufgrund der große Zwischen- und Freiräume, die Müller dem Zuschauer lässt, wirken die Szenen fragmentarisch, isoliert, die jähen Sprünge zwischen Banalem und Grundsätzlichem werden durch die harschen Schnitte zwischen den Sequenzen eher noch betont, so dass sich erst mit der Zeit ein Gesamtbild der Geschichte abzeichnet, das allerdings widersprüchlich und uneindeutig gerät. Am Anfang sorgt der Wechsel von Alltagsbeobachtungen und den großen Gefühlen noch für die Erwartungshaltung, es möge bald etwas Großes, etwas Gewaltiges und Unvorhergesehenes über die vier Protagonisten hereinbrechen – menschliche Abgründe, ein Unglück oder ein Verbrechen vielleicht. Ansätze dazu gäbe es in den vorangegangenen Szenen genug. Franz Müller vermeidet aber die aus diversen TV-Movies beliebte Strategie der permanenten Eskalation und setzt dieser seine bewusst nüchterne, manchmal etwas formlos wirkende Erzählhaltung entgegen, die erst gegen Mitte des Filmes emotionale Fahrt aufnimmt. Dann aber kommt es so plötzlich zu Ausbrüchen, Vorwürfen und Streitereien, dass man sich wundert, was man vorher verpasst oder übersehen haben mag.

Das Gefühl der Unzufriedenheit, das sich im Verlauf der Filmes einstellt, liegt weniger an den durchweg überzeugend agierenden Darstellern und der beachtlichen Schauspielerführung, die es immer wieder versteht den Eindruck zu erwecken, als wohne man dem ganz alltäglichen Leben und Lieben und all den zwischenmenschlichen Verkrampfungen bei, sondern immer wieder an Unstimmigkeiten des Drehbuchs und der Figuren. So etwa bei Robert, den der Film in einer Szene beim Musizieren zeigt – und zwar ausgerechnet an einer Oboe, was so gar nicht zu seiner Charakterisierung als einfacher und eher antiintellektueller Mensch passt. Als Maren in einer der folgenden Szenen ihn erstaunt dabei antrifft, wie er klassischer Musik lauscht, spürt man deutlich, dass hier einiges genauso wenig zusammenpasst wie Maren und Robert selbst. Ein Eindruck, der sich in etlichen weiteren Szenen fortsetzt. Was trotz Marens Wunsch nach einem einfachen Mann die wirkliche Triebfeder dieser Beziehung ist und welche Sehnsüchte und Bedürfnisse hinter dieser Beziehung stecken, das spürt man ebenso wenig wie man es angedeutet bekommt. Zuviel bleibt unausgesprochen, das gesamte Vorleben der beiden, in denen sie ihre Verwundungen zugefügt bekommen haben, bietet keinerlei Anhaltspunkte, so dass es schwerfällt, ihre Gefühle und Handlungen einzuordnen, zu bewerten und nachzuvollziehen.

Auch wenn einige gute Ansätze vor allem im darstellerischen Bereich Die Liebe der Kinder über das Gros gängiger Fernsehproduktionen heben – die Schwächen im dramaturgischen Bereich, die oszillierende Tonalität des Films (an der die seltsam banale und dann wieder beinahe ironisch wirkende Filmmusik einen nicht unerheblichen Anteil hat), seine stetig wechselnden Perspektiven und Brüche in der Figurenzeichnung machen aus Franz Müllers Film ein bemühtes Filmkunstwerk, dessen Einzelelemente sich nicht so recht zu einem (gelungenen) Ganzen zusammenfügen wollen. es ist beinahe so, als habe sich der Film Roberts Satz „Irgendetwas fehlt immer“ selbst zu sehr zu Herzen genommen. Angesichts des schauspielerischen Potenzials und einiger gelungener Miniaturen ist das sehr, sehr schade.

Die Liebe der Kinder

Eigentlich ist diese Liebe schon vorbei, bevor sie wirklich begonnen hat: Denn das erste Treffen zwischen der Bibliothekarin Maren (Marie-Lou Sellem) und dem Baumpfleger Robert (Alex Brendemühl), die sich via Internet kennen gelernt haben, verläuft ziemlich verkrampft. Was unter Umständen auch an der wenig anheimelnden Atmosphäre der Autobahnraststätte liegen mag, die die beiden für ein erstes Treffen im „real life“ ausgesucht haben.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen