Betty Anne Waters

Eine Filmkritik von Michael Spiegel

Der ewige Kampf um die Gerechtigkeit

Dass Kenny Waters (Sam Rockwell) zur Unterschicht der Vereinigten Staaten, zum so genannten „white trash“ gehört, das sieht man ihm auf den ersten Blick an. Das Gesicht trägt die Spuren von Armut und Frustration, die sich in tiefen Falten viel zu früh in die Haut förmlich eingegraben haben. Später sieht man ihn mit gewaltigem Kinnbart und nach hinten gelegten Haaren und man könnte sich diesen Mann ebenso gut als Mitglied einer militanten Gruppierung vorstellen – er taugt einfach als Verdächtiger für nahezu jede Schandtat und hat sich bereits früh einiges zu Schulden kommen lassen. Als im Jahre 1980 der verstümmelte Leichnam einer Frau in Kennys Heimatort Ayers in Massachusetts gefunden wird, ist die Polizistin Nancy Taylor (Melissa Leo) überzeugt davon, dass Kenny dieses Verbrechen begangen hat. Zwar muss der Mann nach einem ersten Verhör wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden, doch zwei Jahre später wird ihm wegen des Mordes der Prozess gemacht, der dank mehrerer belastender Zeugenaussagen mit seiner Verurteilung wegen Mordes endet.
Doch nun schlägt die Stunde von Kennys verzweifelter Schwester Betty (Hilary Swank), die die schwere Kindheit, noch fester mit ihrem Bruder zusammengeschweißt hat. Mit eisernem Willen und der Fähigkeit, sich selbst alles abzuverlangen, geht sie nachts als Kellnerin arbeiten und beginnt trotz zweier Kinder, für die sie sorgt, mit einem Jura-Studium. Dies alles verfolgt nur einen Zweck – Kenny, den geliebten Bruder, aus dem Gefängnis zu befreien. Denn Betty spürt ganz genau, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Doch ihr Kampf, der viele Jahre andauern wird, wird von Rückschlägen, Enttäuschungen und privaten Dramen überschattet – an ihrem Engagement scheitert ihre Ehe ebenso, wie auch die Beziehung zu ihren beiden Söhnen einen irreparablen Schaden erleidet. Immer wieder wankt Betty, ist nahe dran, alles hinzuschmeißen. Und doch macht sie wieder weiter und enthüllt Geheimnis um Geheimnis, bis sie schließlich ihrem großen Ziel zum Greifen nahe ist …

Wer sich bei Tony Goldwyns Betty Anne Waters an Filme wie Erin Brokovitch und Dead Man Walking erinnert fühlt, befindet sich durchaus auf der richtigen Spur. Und obwohl man das Ganze durchaus als „court drama“ einordnen kann, spielen sich doch nur ganz wenige Szenen tatsächlich in einem Gerichtssaal ab. Stattdessen setzt die Inszenierung ganz auf die Klasse einer Besetzung, die sich bis in die kleinsten Nebenrollen sehen lassen kann. Neben Sam Rockwell, der den ursprünglich vorgesehenen Philip Seymour Hoffman ersetzte, glänzt vor allem (wieder einmal) Hillary Swank als Betty.

Es scheint so, als lege Swank mit ihrer Auswahl der Rollen in den letzten Jahren den Fokus immer mehr auf Frauenfiguren, die sich allen Widerständen zum Trotz in männlich dominierten Welten behaupten. Und man kommt nicht ganz umhin, bei dieser Rolle all die Parallelen zu Swanks eigener Biographie zu bemerken, die die Schauspielerin sicherlich bei ihrer Rollenauswahl bestärkt haben dürften. Wie Betty, so stammt auch sie aus einfachsten Verhältnissen und musste früh erfahren, dass jemand wie ihr nichts geschenkt wird. Wie Betty wächst sie mit einem Bruder auf und wird von ihren Eltern vernachlässigt, bis der Vater die Familie verlässt und ihre Mutter zusehen muss, wie sie die beiden Kinder allein durchbringt. Keine Frage – Hillary Swank spielt nicht nur eben jene Betty Anne Waters, es ist in gewisser Weise auch ein Teil ihrer ganz eigenen Geschichte. Und das spürt man gerade in ihrer Darstellung, die dem Film bei aller Vorhersehbarkeit etwas Fesselndes verleiht.

Bei der Inszenierung verlässt sich Goldwyn auf Bewährtes und vielfach Erprobtes – seine Bilder und der immer wieder in besonders dramatischen Momenten einsetzende Musikteppich weisen den Regisseur als versierten Kenner des US-Kinos mit Herz für die Unterdrückten und Schwachen der amerikanischen Gesellschaft aus. Seine Sympathie für Betty und ihren Kampf birgt im tiefsten Inneren jenen unerschütterlichen Glauben an den „american way of life“, der auf der Überzeugung beruht, dass jede(r) sein Ziel erreichen kann – sofern er nur fest genug daran glaubt und dafür bereit ist, alles zu opfern. Diese letzten Endes sehr optimistische Botschaft und die wahren Hintergründe der Story, deren Bitterkeit sich auch am Ende des Films nicht ganz erschließt, dürften dem Drama einige Chancen bei der diesjährigen Verleihung der Academy Awards einräumen.

Betty Anne Waters

Dass Kenny Waters (Sam Rockwell) zur Unterschicht der Vereinigten Staaten, zum so genannten „white trash“ gehört, das sieht man ihm auf den ersten Blick an. Das Gesicht trägt die Spuren von Armut und Frustration, die sich in tiefen Falten viel zu früh in die Haut förmlich eingegraben haben.
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Meinungen

♥aUsSiE · 18.02.2011

Wow, ich will den unbedingt sehen!