Wasser und Blut

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein kurzer Moment des Glücks

Am Anfang des Films steht ein traumatisches Erlebnis, das wir nicht sehen, aber dessen Folgen wir mitbekommen. Als seine Mutter bei einem Wohnungsbrand auf tragische Weise ums Leben kommt, ist Sequan (Derrick L. Middleton), ein schmächtiger Junge mit Brille und einer Vorliebe für Bücher, gezwungen, von New York in den ländlichen Süden der USA umzusiedeln, um dort bei der Familie seiner Tante zu leben. Für den Jungen ist dies nicht nur aufgrund des Verlustes ein Abstieg, auch seine eigne Entwicklung leidet sehr unter dem neuen Milieu, in dem er von Anfang an ein Außenseiter ist. Eine Rolle, die sich noch weiter dadurch verstärkt, dass Sequan schwul ist.
Ohne dass Sequan dies allzu offen nach außen tragen würde, spüren seine überwiegend afroamerikanischen Mitschüler instinktiv, dass der Junge aus New York anders ist als sie und machen ihm deshalb das Leben zur Hölle. Unter seinen Peinigern ist auch sein Cousin Michael, mit dem er sein Zimmer teilen muss und der „die Schwuchtel“ Sequan regelmäßig vergewaltigt. Doch schwul ist Michael natürlich nicht – weil nicht sein kann, das nicht sein darf. Wie sich in einer entlarvenden Szene herausstellt, unterliegt er anders als Sequan vollkommen dem Druck seines machistischen Milieus, das ein solch „abweichendes Verhalten“ nicht dulden würde. Der Junge aus New York hingegen nimmt seine Opferrolle schweigend an, in einer Gesellschaft die einerseits nach außen die christlichen Werte der USA hochhält, andererseits aber moralisch komplett verkommen ist, gibt es für jemanden wie ihn keinen Platz.

Und dennoch findet Sequan neue Freunde, sie sind wie er Außenseiter. Lori (Elizabeth Dennis) ist ein weißes Mädchen aus seiner Klasse, das zwar allem Anschein nach bestens integriert scheint. Doch für ihren Freund Ahmed (Duane McLaughlin) ist sie nur eine drogenabhängige „white bitch“, die von nahezu allen Schulen der Umgebung geflogen ist und deren Abstieg unaufhaltsam scheint. Auch Loris Bruder Jake (Aidan Schultz-Meyer), der wie Sequan die Bücher des Schriftstellers James Baldwin liebt, gehört bald zu den wenigen Vertrauten des Jungs aus New York. Für einen kurzen Moment scheint es so, als könne sich alles trotz der widrigen Umstände doch noch zum Guten wenden. Doch die Mechanismen der Gewalt und Heuchelei lassen diesen kleinen Moment bald schon wie eine Illusion erscheinen. Und nicht einmal Sequans ihm zugeneigter Onkel (Darien Sills-Evans), der als Sheriff das Verschwinden eines Jungen aufzuklären hat, kann die Katastrophe aufhalten, die sich vor seinen Augen abspielt.

John G. Youngs dritter Langspielfilm Wasser und Blut, dessen Originaltitel Rivers Wash Over Me den religiösen Subtext, der sich durch den Film zieht, ungleich besser illustriert, ist mit sichtbar kleinem Budget und jungen Schauspielern gedreht, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Beides gibt dem Film seinen unverkennbaren. Spontanen Look und sorgt in manchen Szenen für kleinere Holprigkeiten, die aber andererseits den ganz eigenen Charme dieses kleinen Films ausmachen. Und der liegt vor allem in der Authentizität des Gezeigten.

Auch wenn die eine oder andere ungelenke Szenen oder mancher Blick in die Kamera auf den ersten Blick unschön erscheint, so hat man doch oft den Eindruck, hier dem ungefilterten Leben dabei zuzuschauen, wie es sich in all seinen Widrigkeiten ereignet. Wir werden Teil eines sozialen Gefüges, verstehen seine Mechanismen und ungeschriebenen Hierarchien und bekommen ganz nebenbei seine Brüchigkeiten und inhärenten Widersprüche aufgezeigt, in denen sich Rassen- und Genderdiskurse, die Problematiken von Coming-of-age und Coming-out zu einem Drama von bemerkenswerter Komplexität verdichten.

Trotz mancher Klischees und eines reichlich dramatisch gezeichneten Endes bleibt bei Wasser und Blut vor allem seine Unmittelbarkeit im Gedächtnis haften, die sichtbar an den Prinzipien der DOGMA95-Bewegung und den Sozialstudien eines Larry Clark (Kids) geschult, ohne die Selbstverliebtheit des ersteren und die manchmal zu sehr auf Provokation ausgerichtete Erzählweise des zweiten zu erreichen. Die Balance zwischen diesen beiden Polen und das Gespür für Zwischentöne machen aus diesem Film ein bemerkenswertes Kleinod.

Wasser und Blut

Am Anfang des Films steht ein traumatisches Erlebnis, das wir nicht sehen, aber dessen Folgen wir mitbekommen. Als seine Mutter bei einem Wohnungsbrand auf tragische Weise ums Leben kommt, ist Sequan (Derrick L. Middleton), ein schmächtiger Junge mit Brille und einer Vorliebe für Bücher, gezwungen, von New York in den ländlichen Süden der USA umzusiedeln, um dort bei der Familie seiner Tante zu leben.
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