Post Mortem

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Was bleibt, ist die Schuld

Der chilenische Militärputsch von 1973 bildet den historischen Kontext für Pablo Larrains düsteren Liebesthriller Post Mortem. Schon in der ersten Szene ist die Kamera unter einem Panzer angebracht und man hört nichts weiter als das laute Motorengeräusch der Maschine. Das ist aber nicht der Ton, in dem der Regisseur seine komplexe Geschichte erzählen wird. Post Mortem ist ein stiller und langsamer Film, der sehr klug und genau betrachtet, wie sich der Mensch in Zeiten politischen Umbruchs nicht ins Private zurückziehen kann, sondern ständig gezwungen wird, sich für eine Seite zu entscheiden.
In den Mittelpunkt stellt Larrain den Mitarbeiter eines Leichenschauhauses. Mario (Alfredo Castro) protokolliert die Obduktionsberichte der Mediziner. Ein Job, der gut seinen einsamen Alltag widerspiegelt. Mario wohnt alleine und ist in seine Nachbarin verliebt, die ihn allerdings regelmäßig abblitzen lässt. Dann kommt der Putsch, das Militär ist in den Straßen und über Nacht verschwindet die Nachbarin samt Familie.

Nun erzählt Larrain in fein entsättigten Scopeaufnahmen zwei Geschichten, die sich langsam anfangen zu überlappen. Auf der ersten Ebene zeigt er, wie sich die Folgen des Militärputsches auf Marios Beruf ausüben. Die Leichen beginnen sich zu stapeln. Sie liegen auf dem Boden. Stapeln sich selbst auf den Treppen. Der Fluss der Wagen, die sie fast im Stundentakt vorbeifahren, bricht nicht ab. Das Ärzteteam ist überfordert und stößt beim Anblick der vielen toten Politiker, Demonstranten und Zivilisten an nervliche Belastungsgrenzen.

Es ist die Perspektive, die den Film so reizend macht. Durch die Augen des Autopsieprotokollanten wird das Leid und das Unrecht des Putsches sichtbar und kulminiert in einer eindrucksvollen Szene, in der Mario und die Ärzte eine Leiche obduzieren sollen, die sich erst allmählich als die Salvador Allendes herausstellt.

In solchen Zeiten gibt es für das Individuum kein Entkommen. Schon gar nicht ins Private. Denn selbst dieser Raum leidet unfreiwillig unter den Folgen der turbulenten Umstände. So findet Mario – in der zweiten Erzählebene des Films — nach einiger Zeit seine Nachbarin wieder und versteckt sie. Sie wird vom Militär gesucht, weil sie sich immer wieder mit einem jungen kommunistischen Aktivisten abgibt. Einmal, noch bevor ihre Familie von den Truppen heimgesucht wird, verbringt sie einen Abend bei Mario zu Hause und sagt: „Bei mir sitzen den ganzen Abend Männer und sprechen über Politik.“ Mario handelt zunächst edel, als er sie versteckt. Er will seine große Liebe für sich gewinnen, doch sie empfindet weiterhin nichts für ihn, was sich noch furchtbar rächen wird.

Marios Gesicht bleibt während des ganzen Films starr und emotionslos. Es ist sein Handeln, welches wir beurteilen sollen. In Post Mortem lässt Regisseur Larrain ihn eine Tat begehen, die in der letzten grandiosen Einstellung zu einem finsteren Kommentar auf die Verführbarkeit und moralische Verlogenheit des Menschen wird. Es sind die neuen instabilen politischen Verhältnisse, die Marios Tat erst ermöglichen. Er lädt damit eine ungeheure Schuld auf sich, die sich allerdings aus einer objektiven Perspektive durch nichts rechtfertigen lässt. Und dennoch stellt sich am Ende die gewichtige Frage: Wer wird Mario dafür je belangen und richten können?

Post Mortem

Der chilenische Militärputsch von 1973 bildet den historischen Kontext für Pablo Larrains düsteren Liebesthriller „Post Mortem“. Schon in der ersten Szene ist die Kamera unter einem Panzer angebracht und man hört nichts weiter als das laute Motorengeräusch der Maschine.
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