Berlin: Hasenheide

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wohnzimmer, Balkon, Freiraum - Unterwegs in einer angeblichen "No-Go-Area"

In Berlin-Neukölln, an der Grenze des Stadtteils zu Kreuzberg, erstreckt sich die Hasenheide, eine Parklandschaft mit rund 50 ha Fläche. Und wie Neukölln, so hat auch die Hasenheide einen ziemlich schlechten Ruf, gilt sie doch – auch dank der entsprechenden Darstellung in den Medien bis hin zu Detlev Bucks Film Knallhart als Treffpunkt von Dealern und deren Kunden. Als sich durch die Vorkommnisse an der Rütli-Schule der mediale Fokus erneut auf den „Problemkiez“ Neukölln richtete, wurde die Hasenheide kurzerhand in die Warnungen miteinbezogen und galt in manchen Medien gar als „No-Go-Area“. Die Realität freilich sieht ganz anders aus. Und deshalb hat die in Neukölln lebende Regisseurin Nana A. T. Rebhan mit Berlin: Hasenheide einen Dokumentarfilm gedreht, der einen weniger sensationsheischenden als vielmehr von Sympathie geprägten Blick auf den Park wirft, der nicht nur für sie, sondern für viele Berliner Wohnzimmer, Balkon und Freiraum ist.
Scheinbar ziellos und mit einem Minimalteam (neben Nana A.T. Rebhan, die selbst die Kamera führte war nur noch ein Tonmann bei den Dreharbeiten dabei) durchstreift der Film den Park und nimmt sich Zeit für die Begegnungen am buchstäblichen Wegesrand. Zum Beispiel bei einer bunt gemischten Fußballtruppe, von denen die allermeisten Spieler aus verschiedenen afrikanischen Ländern stammen – lediglich ein Deutscher spielt hier mit, erfahren wir. Verbissen und zum Teil über mehrere Stunden hinweg wird um jeden Ball gekämpft und jede knifflige Situation leidenschaftlich ausdiskutiert (war der Ball nun drin oder nicht). Gerne streitet man sich am Ende des Spieles ein bisschen heftiger (aber immer noch friedlich), weil keiner der Akteure vor den anderen zugeben kann, dass er eigentlich total platt ist. Und am Ende kriegt einer aus der Truppe die eigens organisierten Leibchen überreicht, um sie zuhause zu waschen. Denn nicht jeder der Spieler hat eine eigene Waschmaschine.

Von dort geht es weiter zu einer Gruppe türkischer Männer, die sich fast jeden Tag hier im Park treffen und deren Musik der Film eine Weile lauscht. Anschließend begegnen wir dem „Papageienmann“, der einige der Vögel auf seinem Fahrrad spazieren fährt und dabei selbst wie ein Papagei gekleidet ist, wir sehen einen Maler, der gemeinsam mit anderen und aus Eigeninitiative die Wände mit abgewandelten Zille-Motiven bemalt, begegnen Hundebesitzern sehr unterschiedlicher Ausprägung, fröhlich lästernden Nudisten bei 38 Grad Hitze, einer verschleierten Muslimin beim Joggen und bei der Gymnastik, einem Selbstverteidigungskurs und der hinduistischen Gemeinde, die hier mit der Genehmigung des Stadtplanungsamts Neukölln den Grundstein für einen Tempel gelegt hat. Es ist eine bunte Mischung an Typen, die Nana A.T. Rebhan aufgespürt hat und die sie zu Wort kommen lässt.

Teilweise erinnert Berlin: Hasenheide in seiner Beiläufigkeit, in seiner Wahl der Personen und seiner liebevollen Beobachtungen des ganz normalen Lebens an einem öffentlichen Ort an Elisabeth Spyras großartige Dokumentarreihe Alltagsgeschichten, die im ORF über viele Jahre hinweg Fernsehgeschichte geschrieben haben. Mit ihr teilt Rebhan den aufmerksamen und wachen Blick für Menschen und deren Verschiedenheit, für das Skurrile, Normale, Banale, das Liebenswürdige.

Die Dealer selbst, die das öffentliche Bild der Hasenheide geprägt haben, finden allenfalls am Rande Erwähnung, zu sehen sind sie selbstverständlich nicht. Das ist dann wohl eine Art ausgleichende Gerechtigkeit für all die schlechte Presse, die der Park in Neukölln in den letzten Jahren abbekommen hat. Schließlich handelt es sich bei den von Dealern bevorzugten Plätzen um vielleicht maximal 10 Prozent des Parks – im gesamten Rest der Hasenheide ist das Leben so vielfältig und bunt wie überall sonst in Berlin.

Was im Film nicht mehr zu sehen ist, da die Dreharbeiten im Jahr 2008 endeten, findet aber im Presseheft zu Berlin: Hasenheide noch Erwähnung: In den letzten Jahren entwickelt sich „Kreuzkölln“ zunehmend zu einer Wohngegend für Besserverdiener. Durch die Neunutzung des Tempelhofer Flugfelds sollen hier bald schicke Appartements und Townhouses entstehen und Megaevents wie die Bundesgartenschau abgehalten werden. Noch ist die Hasenheide von dieser Gentrifizierung nicht betroffen – vielleicht wird man sich aber in zehn Jahren kaum mehr daran erinnern, wie der Park noch vor kurzem ausgesehen hat. So schnell kann sich eine Gegend in der Außenwahrnehmung wandeln. Zwischen diesen Extremen der medialen Aufmerksamkeit tut ein sachlich-liebevoller Blick wie der von Berlin: Hasenheide spürbar gut und relativiert die Gier nach Sensationen auf sehenswerte Weise.

Berlin: Hasenheide

In Berlin-Neukölln, an der Grenze des Stadtteils zu Kreuzberg, erstreckt sich die Hasenheide, eine Parklandschaft mit rund 50 ha Fläche. Und wie Neukölln, so hat auch die Hasenheide einen ziemlich schlechten Ruf, gilt sie doch – auch dank der entsprechenden Darstellung in den Medien bis hin zu Detlev Bucks Film „Knallhart“ als Treffpunkt von Dealern und deren Kunden.
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