Carne de neón

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Das Leuchten der Verbrecherherzen

Besonders glamourös ist das Leben eines Zuhälters ja nicht unbedingt. Das Beispiel seines Kumpels Angelito (Vicente Romero) sollte Ricky (Mario Casas) eigentlich Beispiel genug sein: der hat alle Hände voll damit zu tun, „seine“ Prostituierten im Griff zu halten, und lebt doch keineswegs auf großem Fuße. Ricky allerdings will weiter hinauf, und vor allem möchte er seiner Mutter ein Geschenk machen: Die wird bald aus dem Gefängnis eingeladen, und bis dahin will Ricky für sie ein Bordell eröffnen, wie sie es sich immer gewünscht habe – den „Club Hiroshima“.
Angelito warnt ihn ausdrücklich davor, dass seine Geschäfte vor allem dem Gangsterboss „El Chino“ (Dario Grandinetti) missfallen dürften – aber dann hilft er ihm doch, wenn auch zuerst etwas widerwillig, den Club einzurichten und Prostituierte dafür zu finden.

Mit Carne de Néon versucht Regisseur und Drehbuchautor Paco Cabezas einen schwierigen Balanceakt. Mit Ricky, Angelito und dessen Handlanger bzw. Mann fürs Grobe El Niño („das Kind“, Luciano Cáceres) werden nämlich drei Hauptfiguren eingeführt, die mehr oder minder als Sympathieträger fungieren sollen, zugleich aber moralisch mehr als fragwürdige Charaktere sind. Während Ricky vielleicht noch in vielem unbedarft wirkt, ist man sich bei Angelito von Anfang an bewusst, dass er um den moralischen Status seiner Arbeit weiß.

Und hier geht es ja wirklich zur Sache: Die Frauen werden beim Markt der Menschenhändler eingekauft, eine illegale Immigrantin aus Afrika wird gleich direkt vom Strand weg entführt, an dem ihr Boot gerade von der Polizei hochgenommen worden war – das Thema Zwangsprostitution mit aller damit verbundenen Grausamkeit bleibt hier aber ein Randthema. Die Frauen werden nicht vergewaltigt, sondern durch freundlich formulierte Verweise auf ihre ausweglose Situation schlichtweg zur Prostitution überredet.

Sozialrealismus sieht natürlich etwas anders aus, der Film nutzt stattdessen alle Möglichkeiten aus, um seine Protagonisten in all ihrer Kriminalität und Gewalttätigkeit (vor allem Angelito hat einen dünnen Geduldsfaden, und El Niño tut meist ohne Nachfragen, was ihm befohlen wird) eben doch noch positiv darzustellen. Da werden prügelnde Freier zusammengeschlagen, El Chinos Auftragskiller erschossen und derlei mehr. Diese Protagonisten sind also Figuren, die nicht richtig böse sind, für die Gewalt aber auch nie als ethisch komplexes Problem eine Rolle spielt, sondern nur als Mittel zur Erreichung ihrer allerdings nur teilweise egoistischen Zwecke, über dessen Notwendigkeit oder Berechtigung jedoch nicht mehr näher nachgedacht wird.

Cabezas‘ Geschichte hat damit in ihrer moralischen Ambiguität und der expliziten Brutalität Ähnlichkeit mit den Gangstergeschichten Guy Ritchies. Aber Carne de Néon ist so wenig Komödie wie es ernstes Drama oder Moralgeschichte. Stattdessen oszilliert es zwischen allen diesen Möglichkeiten hin und her, immer mit einem Bein in der neonbunten Groteske.

Gleichwohl finden sich im Ton und vor allem in der Inszenierung, die vor allem immer wieder schnelle, kurze Szenen hintereinander setzt, durchaus Ähnlichkeiten etwa zu Sexykiller von Miguel Martí, an dem Cabezas als Drehbuchautor beteiligt war. Dort wurde freilich die moralisch fragwürdige Protagonistin – eine als hysterisch porträtierte Serienkillerin – dadurch „genießbar“, dass der ganze Film als schrille, groteske Komödie angelegt war.

Gleichwohl ist moralische Empörung keine Haltung, mit der man sich Carne de Néon sinnvoll nähern kann; dafür bleibt dieser Film in ethischen Fragen zu unentschlossen und weicht einer eigenen Haltung immer dann aus, wenn Cabezas sonst die Zuneigung für seine Hauptfiguren aufgeben müsste.

Und auch wenn er alle tragenden und aktiven Rollen von Männern besetzt werden, hat man doch den Eindruck, dass die Frauen hier eigentlich die interessanteren, komplexeren Figuren sind – von „La canija“, Angelitos langjähriger Lieblingsprostituierten (Macarena Gómez, die in Sexykiller die Serienmörderin gab) bis hin vor allem zu Rickys Mutter Pura, die von Ángela Molina mit wunderbarer Verletzlichkeit und Härte ausgestattet wird. Allein schon diese Figur lohnt den Besuch des Films fast.

Paco Cabezas war es offenbar, sein Bild dieser Halbwelt mit besonders deutlichen Kontrasten, mit hektischen Farben und schrillen Charakteren zu zeichnen und so ein Universum zu zeigen, in dem Liebe und Hass, Gefühl und Mordlust, Gier und Nächstenliebe koexistieren. Die ständige Konfrontation dieser Gegensätze wird von den darin handelnden Personen jedoch als völlig selbstverständlich hingenommen. Dafür muss man sich auf einen Film einstellen, der zeitweise ein rechtes Blutbad ist, grausam und ungerecht – und am Ende dennoch so etwas wie ein gutes Ende herzustellen oder zumindest zu behaupten versucht.

Carne de neón

Besonders glamourös ist das Leben eines Zuhälters ja nicht unbedingt. Das Beispiel seines Kumpels Angelito (Vicente Romero) sollte Ricky (Mario Casas) eigentlich Beispiel genug sein: der hat alle Hände voll damit zu tun, „seine“ Prostituierten im Griff zu halten, und lebt doch keineswegs auf großem Fuße. Ricky allerdings will weiter hinauf, und vor allem möchte er seiner Mutter ein Geschenk machen.
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