Der Freund

Eine Filmkritik von Lida Bach

Ein Lied von Liebe und Tod

„Die Welt ist ein Erdbeerkuchen und alles ist rosarot.“ Zynisch sind die Worte der jungen Nora (Johanna Bantzer), verregnet und trist ist die winterliche Stadtlandschaft in Micha Lewinskys Tragikomödie Der Freund. Noch grauer und kälter ist die Welt für die einsamen Charaktere, nachdem Noras Schwester Larissa (Emilie Welti, die derzeit als Sophie Hunger in der Musikwelt für einige Furore sorgt) zu Tode gekommen ist. Bis Emil (Philippe Graber), der Freund aus der Vergangenheit der Verstorbenen in das Leben von Noras Familie tritt. Trauer, Zorn und Hilflosigkeit weichen unerwarteten Gefühlen, die mit einem Hauch vorsichtiger Romantik zu einem skurrilen Liebeslied aufspielen. Fast scheint es so, als würde Larissas Stimme das zaghafte Paar mit einem ihrer melancholischen Gitarrensongs begleiten; Emil aber zögert, sich in Noras Armen zu wiegen. Für Larissa war er mehr als ein Freund — oder wäre es zumindest gerne gewesen. In seinen Worten, er habe Noras Schwester kaum gekannt, liegt mehr Wahrheit, als deren Familie ahnt. Denn außer stiller Bewunderung für die Sängerin und deren überraschendem Vorschlag, der stille Verehrer solle sich gegenüber ihrer Familie als ihr Freund ausgeben, verbindet ihn nichts mit Larissa. Und nun ist sie tot.
Wie ein Liebesfilm wirkt er nicht, der manchmal etwas unscheinbare Schweizer Oscar-Beitrag von 2009. Auf den ersten Blick gibt sich Der Freund so ungelenk wie der Titelcharakter auf dem Filmposter, der mit einem Blumenstrauß etwas verloren herumsteht. Doch beim zweiten Mal sind die Blumen ebenso rot wie der Hintergrund; es sind Rosen, mit denen Emil schließlich Nora umwirbt, nicht Larissa. Dabei ist er zuerst ganz auf die verschlossene Musikerin konzentriert.

Beinahe beklemmend inszeniert Lewinsky Emils Fixierung auf Larissa. Passion ist es nicht, die ihn die Unbekannte verfolgen lässt. Für Leidenschaft ist Emil nämlich viel zu sehr in sich gekehrt. Konflikte, zwischenmenschlicher Kontakt, überhaupt menschliche Gefühle ängstigen ihn. Die einzige engere Bekannte ist für ihn seine übermäßig fürsorgliche Mutter (Therese Affolter). Obwohl längst erwachsen lebt er immer noch bei ihr, ohne Freunde und ohne Freude. Ein Zufall macht ihn für Noras Eltern Maria (Andrea Bürgin) und Jean-Michel (Michel Voita) zum Partner ihrer verstorbenen Tochter. Hinzu kommt wie meistens im Kino ein Missverständnis, das Emil gezielt befördert. In der zuerst unangenehmen Rolle als Larissas Freund scheint ihm plötzlich zuzufallen, wonach er sich heimlich sehnte, jedoch zu sehr fürchtete.

Dass die unzugängliche Sängerin Larissa noch verlorener ist als er, kann Emil sich nicht vorstellen. Ihre Eltern wollen es sich nicht vorstellen. Während der ruhige Vater den Gedanken langsam zulässt, dass Larissas Tod kein Unfall war, verweigert sich Maria der Wahrheit. Da schleudert Nora ihr schließlich mit dem eingangs erwähnten Satz ihre Verlogenheit entgegen. Der kauzige Emil ist nicht der einzige, der sich der Realität verschließt. Das zeigt die hintergründige Tragikkomödie mit leiser Ironie darin, dass ausgerechnet der Freund Maria in ihrer Trauer Halt geben soll. Nora hingegen hat die Unaufrichtigkeit und schamhafte Vertuschung, mit der ihre Familie schon lange schwelende Konflikte mühsam unterdrückt, gründlich satt. Wie Emil begreift sie erst, dass sie mit dem alten Leben brechen muss, um ein neues führen zu können. Ihr eigenes, Leben, in dem nicht mehr die Schwester im Mittelpunkt steht. Johanna Bantzer und ihr eindringliches Spiel stehen dafür im Zentrum der herben Tragikkomödie. So schroff und bisweilen bedrückend authentisch inszeniert Lewinsky sein Spielfilmdebüt, dass der kuriose Ulk mancher Szenen fast schon einen unangenehmen Beigeschmack hat.

Wäre da nicht das Zartgefühl des Regisseurs, könnte man den Titel des Films beinahe ironisch verstehen. Nie verspottet Lewinsky seine Charaktere oder führt ihre sichtbaren und verborgenen Schwächen vor. Und so braucht es lange, fast bis zum Filmende, um Sympathie für die kantigen Figuren zu entwickeln; weil sie schnörkellos sind, introvertiert und verklemmt. Letzteres gestehen Nora und Emil ebenso unbefangen ein wie Lewinskys lebensbejahende Dramödie ihre Widerspenstigkeit. Mit dieser Offenheit zieht sie letztendlich auch den Zuschauer auf ihre Seite. Ein wenig zaudern gehört für ihn wie für die Protagonisten dazu, bis endlich der Funken überspringt. Ein Freund ist eben das beste, was es gibt. Und wenn die ganze Welt zusammenfällt…

Der Freund

„Die Welt ist ein Erdbeerkuchen und alles ist rosarot.“ Zynisch sind die Worte der jungen Nora (Johanna Bantzer), verregnet und trist ist die winterliche Stadtlandschaft in Micha Lewinskys Tragikomödie „Der Freund“.
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