Der Adel vom Görli

Eine Filmkritik von Lida Bach

Könige in einer Nussschale

Der Himmel ist nicht immer blau. Aber „Der Adel vom Görli“ ist es. So sagt es einer der Protagonisten in Volker Meyer-Dabischs Großstadtreportage. Hohe Herrschaften sind die Menschen nicht, die der Berliner Filmemacher vorstellt. Trotzdem bewegen sie sich selbstsicher in ihrem schäbig-schönen Reich, dem Görli. Der Görli ist der Görlitzer Park, wo Bernie und Lupo, Steve und Alberto fast all ihre Zeit zubringen. Spielende Kinder, Senioren, Hundebesitzer und Sportler treffen auf den Grünflächen aufeinander. Dominiert aber wird die Besucherszene des Görlitzer Parks von den Pennern. Als solche bezeichnen viele die Menschen, denen sich Volker Meyer-Dabisch in seiner Kinoreportage widmet.
Von weitem hört man gelegentlich die U-Bahn rattern, die hier als Hochbahn nahe dem Görlitzer Park entlang braust. Warschauer Straße, Schlesisches Tor, Görlitzer Bahnhof. Wie im Bühnenstück Linie 1, nur ist es die echte Linie 1, die durch die Hauptstadt fährt. Der Adel vom Görli könnte aus dem Figurenensemble des gleichnamigen Kult-Theaterstücks stammen. Über ihre Lebenssituation und ihren Stand in der Gesellschaft macht sich das kauzige Ensemble kaum Illusionen. Zwischen Spielplatz und Liegewiese fängt Alberto bis in die Abendstunden seinen Frisbee. Bernie arbeitet – an seinem Handicap als Amateurgolfer. Das zertretene Grün ist mitunter ein Sandbraun, da fällt es nicht weiter auf, dass als Golfloch eine Blechdose dient. Regisseur Meyer-Dabisch beobachtet seine Protagonisten nicht, er begleitet sie durch ein Stück ihres Alltags. Seine Kamera drängt sich nicht auf, auch wenn es manchmal bedeutet, dass ausgerechnet die unangenehmen Seiten des Parks unbeleuchtet bleiben. Über die Spritzen und zerbrochenen Flaschen im Gras, die Konflikte zwischen Spaziergängern, Besuchern und Dauergästen scheint in der Kinoreportage längst Gras gewachsen.

Die behutsame Annäherung an den „Adel vom Görli“ lässt individuelle Persönlichkeitsbilder entstehen. Bewusst verzichtet die knappe Reportage auf einen gradlinigen Interview-Stil und lässt dafür die Protagonisten auf ihre Weise von sich und ihrer Welt erzählen. Nicht jedem ist sein Leben aus der Hand geglitten. Manche haben es bewusst losgelassen, um sich abseits des sozialen Gefüges einen individuellen Freiraum zu schaffen. In ihren nicht selten skurrilen Anekdoten sind Bruno, die Chansons singende Französin Melinée, der einstige Punk-Musiker Lupo und die anderen eigenwilligen Gestalten tatsächlich Adlige, die sich von den Kommentaren der übrigen Parkbesucher abgrenzen. Dennoch erinnern die nüchternen Szenen an dass Alkoholabhängigkeit und Verwahrlosung der Figuren. Zufrieden mit der eigenen Existenz zu sein bedeutet manchmal nur, sich damit abgefunden zu haben. Das blaue Blut hat der arme Adel von seinem Alkoholpegel. Manchmal ist es doch besser, zu den Bürgerlichen zu gehören. Doch die Tristesse in den Existenzen der Charaktere spart Meyer-Dabisch aus. Sein Anliegen ist vor allem zu zeigen, dass arm nicht zwangsläufig armselig bedeuten muss..

Asoziale Trinker, die im gesellschaftlichen Abseits gestrandet sind – alternative Rebellen, die bewusst jenseits der Norm leben. Zu zwei gleichermaßen extremen Stereotypen lädt der originale „Adel vom Görli“, der weiterhin in seinem Reich zwischen Wiener Straße und Görlitzer Straße, zwischen Obdachlosenheim und Kindergärten, zwischen Döner Kebab und Spätzle-Imbiss waltet, ein. Dass Volker Meyer-Dabisch sie beide vermeidet, verleiht seiner unkonventionellen Reportage ihren ganz besonderen Reiz.

Der Adel vom Görli

Der Himmel ist nicht immer blau. Aber „Der Adel vom Görli“ ist es. So sagt es einer der Protagonisten in Volker Meyer-Dabischs Großstadtreportage. Hohe Herrschaften sind die Menschen nicht, die der Berliner Filmemacher vorstellt.
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