Ein Sommersandtraum

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Riesel-Krise oder: Die Lösung lautet NEUN!

„Das ist eine schöne Metapher“, stellt der Psychiater (Urs Jucker) fest, als ihm sein neuer Patient Benno (Fabian Krüger) von seinen Sorgen und Nöten berichtet – und denkt sich wohl insgeheim, dass dessen Meise vielleicht doch noch ein klein wenig größer ist als die seiner anderen Klienten. Man muss nun wirklich kein Psychologe sein, um solche Vorkommnisse weniger wörtlich als vielmehr metaphorisch aufzufassen – zu abstrus klingt der Sachverhalt. Der Haken an der Sache ist jedoch, dass Benno mit der Schilderung seiner Symptomatik den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Wobei natürlich auch der Seelenklempner auf seine Weise Recht hat und Recht behält: Ein Mensch, der Sand verliert, das ist wahrlich eine ausgezeichnete Metapher, was nicht nur für den Patienten selbst gilt, sondern ebenso für Peter Luisis absurde Tragikomödie Ein Sommersandtraum, die in Saarbrücken beim Max Ophüls Preis die Auszeichnung des Lieblingsfilmes des Publikums entgegennehmen konnte.
Der Patient mit dem seltsamen Gebrechen ist nicht gerade ein angenehmer oder besonders liebenswerter Mensch: Benno gibt sich gerne den Gout des elitären Snobs, der mit großer Herablassung auf seine Umwelt herabschaut. Als Angestellter eines kleinen Ladens, der mit philatelistischen Kostbarkeiten handelt und mit einem Auftreten, das dandyistischen Dichtern des 19. Jahrhunderts gut zu Gesicht stehen würde, betrügt und schwindelt sich Benno durchs Leben und nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf Andere. Besonders betroffen von den snobistischen Attacken ist Sandra (Frölein Da Capo), die im Erdgeschoss des Hauses, in dem Benno wohnt, ein kleines Café betreibt. Immer wieder wird sie samt ihrer musikalischen Ambitionen, die sie von einer Karriere als Sängerin träumen lassen, zum Ziel von Bennos ätzendem Spott. Doch Sandra weiß es dem Schnösel durchaus mit gleicher Münze heimzuzahlen. Mal malträtiert sie spätabends derart ihre Instrumente, dass der Mieter im Stockwerk darüber nicht in den Schlaf findet, dann vergisst sie mit schöner (also täglicher) Regelmäßigkeit die heiße Milch zum Kaffee, den Benno allen Aversionen gegen Sandra zum Trotze doch jeden Morgen bei ihr einnimmt. Alles könnte so bis in Ewigkeit weitergehen, wären da nicht jene kleinen Sandhäufchen, die Benno seit kurzem morgens auf seiner Bettwäsche vorfindet und deren Herkunft er sich nicht erklären kann. Was zuerst nur seinen ordnungsfanatischen und penibel auf Sauberkeit bedachten Chef stört, gerät immer mehr zur Katastrophe, denn der Sand will gar nicht mehr aufhören zu rieseln und stürzt Bennos Leben in ein einziges Chaos. Beinahe noch fataler ist dann die Erkenntnis, dass die Lösung des Problems ausgerechnet mit seiner Intimfeindin Sandra zusammenhängen muss, von der er immer wieder träumt. Und noch komplizierter wird es, als ein Wahrsager ihm offenbart, dass diese Lösung sich auf einen ganz einfachen Nenner bringen lasse – NEUN!

Würde man diesen wunderbar durchgeknallten und unwiderstehlichen Film mittels eines Kochrezepts beschreiben wollen, müsste die Formel wohl ungefähr so aussehen: Man mische Spurenelemente von Filmen wie The Science of Sleep und Inception mit großen Mengen absurden Theaters (namentlich von Eugène Ionesco), lasse das Ganze ordentlich durchziehen und runde es mit sarkastischen Beobachtungen, schrägen Figuren und viel Lust am anarchischen Witz ab. Das Ergebnis jedenfalls ist verblüffend, auf frische Weise unterhaltsam und regt zum Nachdenken und Grübeln, zum Lachen und Lächeln, zum Schmunzeln und Erfreuen an. Getragen vor allem von den beiden furiosen Hauptdarstellern Fabian Krüger und Frölein Da Capo (bürgerlich Irene Brügger, die ihrer Filmfigur immerhin eine reale Karriere als Sängerin und „Einfrauorchester“ voraus hat), aber auch bis in die Nebenrollen liebevoll gezeichnet und gelungen besetzt, ist Ein Sommersandtraum eine jener unvermuteten Überraschungen, die man immer mal wieder im Kino machen kann.

Dass der Film trotz seiner vermeintlichen (und tatsächlichen) Leichtigkeit einiges an Tiefe besitzt, liegt vor allem an jener bestechenden einfachen, zutiefst befremdlichen und mit etlichen Assoziationen versehenen Metapher, auf die er als Grundprämisse aufbaut. Sie regt ganz nebenbei dazu an, dass man ohne es zu wollen, sich Gedanken macht über die innere Wüstenei und Verödung, über ablaufende Sanduhren und jene Aspekte unseres Lebens, die auf Sand gebaut sind oder die uns wie Sand durch die Finger rinnen. Kein Wunder also, dass Ein Sommersandtraum um einiges länger im Kopf nachwirkt als so manch andere Komödie ähnlichen Zuschnitts.

Möglicherweise wird der Publikumspreis in Saarbrücken nun dafür sorgen, dass Peter Luisis Kleinod auch in Deutschland die Chance auf einen Kinostart erhalten wird. Wenn man die Reaktionen der Kinobesucher in Saarbrücken bedenkt, dann gibt es eigentlich kaum einen Grund, warum Ein Sommersandtraum nicht auch abseits der Festivals für ein begeistertes, entzücktes, verzaubertes Publikum sorgen sollte.

Ein Sommersandtraum

„Das ist eine schöne Metapher“, stellt der Psychiater (Urs Jucker) fest, als ihm sein neuer Patient Benno (Fabian Krüger) von seinen Sorgen und Nöten berichtet – und denkt sich wohl insgeheim, dass dessen Meise vielleicht doch noch ein klein wenig größer ist als die seiner anderen Klienten.
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Meinungen

Dustin · 13.07.2012

Die erste halbe Stunde dachte ich noch: Was fürn billigen Film guck ich denn da gerade... Aber danach wurde er eigentlich immer besser.
Insgesamt aufjedenfall ein sehenswerter Film. 5 von 6 Sternen!

Liz Amandi · 24.07.2011

dieser Film hat mir am verregneten Samstag enorme Lebensfreude geschenkt!