Die Anonymen Romantiker (2010)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Sprich mich nicht an, dass ich nicht in Ohnmacht falle

Dass Liebe durch den Magen geht, ist dem Kino keine wirkliche Neuigkeit; und die verstärkende Rolle von Süßwaren dabei wird auch niemanden verwundern, der sich dem Sujet schon einmal mehr als nur sehr oberflächlich zugewandt hat. Spätestens seit Lasse Hallströms Chocolat ist auch Schokolade als fester Bestandteil der romantischen Komödie etabliert. Bei Hallström, der die Geschichte nach einem Roman von Joanne Harris erzählte, tauchte die Schokolade vor allem in Form von Pralinen mit würzigen, ungewöhnlichen Beigaben (bis hin zum Chili) auf, wie sie in denn dann folgenden Nullerjahren auch tatsächlich immer populärer waren; die von Juliette Binoches Vianne hergestellten Süßwaren hatten dadurch sogar die magische Kraft, ein ganzes französisches Dorf zu verzaubern.

Ganz so leicht macht Jean-Pierre Améris seinen Hauptfiguren das Leben in Die Anonymen Romantiker nicht: Sie haben täglich mit Schokolade zu tun, aber für verzaubernde Veränderungen müssten sie selbst sorgen, und das fällt ihnen dann doch sehr schwer. Angélique Delange (Isabelle Carré) ist schüchtern bis zur Ohnmacht und muss sich vor ihrem Vorstellungsgespräch in der kleinen Schokoladenfabrik ausführlich selbst Mut zusprechen; nur die ruppige, kurz angebundene Art des Chefs Jean-René Van Den Hugde (Benoît Poelvoorde) hält sie womöglich davon ab, schreiend wegzulaufen. Sie ahnt kaum, dass Jean-René nach dem sehr kurzen Gespräch mit ihr so erschöpft ist, dass er sie allein deshalb sofort anstellt, um keine weiteren Bewerbungsgespräche führen zu müssen – denn jeder soziale Kontakt macht ihm Angst.

So treffen sich hier also zwei, die eigentlich nicht zusammen kommen könnten, aber genau deshalb für den Film müssen. Es eint sie auf eine gewisse Art die gemeinsame Leidenschaft für Schokolade; man merkt das zunächst nur daran, wie Angélique von diesem Thema spricht, wie auf einmal ihre Worte flüssig sich aneinanderreihen, es sprudelt aus einer verborgenen Quelle – und in der Tat verbirgt sich hinter der schüchternen Person, so erfahren wir bald, die womöglich talentierteste Chocolatière des Landes – nur darf das niemand wissen, der Schüchternheit wegen.

Am Ende wird sie deshalb – auf Umwegen selbstverständlich – die Manufaktur vor dem sicheren Untergang durch eher gewöhnliche, altmodische Pralinen bewahren, aber bis dahin müssen sich Jean-René und sie erst einmal überwinden, auch nur miteinander zu sprechen. Die Rolle des Katalysators kommt dabei dem Psychologen des Fabrikbesitzers zu, der seinem Patienten immer wieder kleine Aufgaben auf den Weg gibt: Laden Sie jemanden zum Abendessen ein; berühren Sie einen Menschen. Nicht ganz zufällig trifft dies jedes Mal Angélique, grandioses Scheitern des ersten gemeinsamen Abends inklusive.

Améris strickt aus seinem Stoff eine durchweg beschauliche, langsame romantische Geschichte, nicht furios genug für Screwball, aber doch vom Geist dieser Komödien infiltriert – sehr körperlich wird das, wenn Jean-René seine Ängste in unmittelbar physische Reaktionen umwandelt. Es treibt ihn in die Flucht oder seine Körperflüssigkeiten, und beides gerät ihm missverständlich und sehr, sehr komisch. Poelvoorde hat offenbar große Freude daran, seine Figur immer beherrscht, aber am Rande des Fassungsverlustes zu spielen – und bei aller verkniffenen Miene ist das doch ganz anders als sein überdreht nationalistischer belgischer Zollhüter in Nichts zu verzollen.

Der deutsche Verleihtitel, Die Anonymen Romantiker, ist freilich ein wenig irreführend; im Original sind Les émotifs anonymes (etwa: „Die anonymen Empfindsamen“) die Selbsthilfegruppe, mit der sich Angélique immer wieder trifft, denen sie sich offenbart und die ihr hilfreiche Tipps für den Alltag geben – ein bisschen sind sie natürlich Entsprechung zum Psychologen ihres verzweifelt Geliebten, aber auch ein ganz bisschen griechischer Komödienchor, wenn es derlei gegeben hätte – Kommentatoren des Geschehens, die das Kommende gleich mit vorbereiten.

Dem Film fehlt es nicht an schönen Momenten, in denen sich die Schüchternheit und soziale Unerfahrenheit seiner Protagonisten aufs Komischste entblättert – ohne dass Améris sie je der Lächerlichkeit preisgeben würde. Der Versuch Angéliques, sich vorab Gesprächsthemen fürs erste Rendezvous zusammenzustellen („Auf jeden Fall mag ich besonders die englische Malerei!“), ist auch deshalb so grandios schmerzhaft, weil nicht wenige Zuschauer die Sorge vor dem Schweigen beim Tête-à-tête mindestens aus der Pubertät noch kennen dürften. Was man stattdessen in Die Anonymen Romantiker vermisst, ist eine stringente Idee, die den Film über das Niveau einer sehr sympathischen romantischen Komödie hinaushebt.

Denn weder nutzt Améris die Schokolade für einen größeren Liebesentwurf (oder nur zur Begründung gemeinsam empfundener Leidenschaft), noch greift er den Umstand auf, dass Jean-René wie Angélique über Lieder offenbar einen Teil ihrer Schüchternheit hinter sich lassen können; und die Nebenfiguren, so sympathisch verschroben sie auch sein mögen, sind eben nur das, und bleiben ansonsten Stichwortgeber. Die letzte Szene des Films, so konsequent sie inhaltlich auch sein mag, ist fast ein wenig zu viel des guten Schmalzes. Aber für knapp gehaltene 78 Minuten Zerstreuung mit Liebe und Pralinen geht das völlig in Ordnung.
 

Die Anonymen Romantiker (2010)

Dass Liebe durch den Magen geht, ist dem Kino keine wirkliche Neuigkeit; und die verstärkende Rolle von Süßwaren dabei wird auch niemanden verwundern, der sich dem Sujet schon einmal mehr als nur sehr oberflächlich zugewandt hat. Spätestens seit Lasse Hallströms „Chocolat“ ist auch Schokolade als fester Bestandteil der romantischen Komödie etabliert.

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Meinungen

Susi · 16.09.2011

Dieser Film ist ein Traum - witzig, mit viel Tiefenschärfe und einem liebevollen Blick auf die Schwierigkeiten, die das Leben so bieten kann. Man kann herrlich lachen und doch auch emotional berührt und bewegt sein von der Tapferkeit, mit der die Figuren ihre je eigenen Kämpfe führen. So bemüht um Normalität, wo es eigenlich unmöglich ist. Herrlich!

Alex · 16.08.2011

Der Film war bezaubernd. Ich bin auch eine hoffnungslos schüchterne Romantikerin und konnte mich bestens in den Film einfühlen. :-)

Emilia · 03.06.2011

Ein wundervoll charmanter Film! Ich habe ihn mir Anfang des Jahres in Frankreich angeschaut und war sehr gerührt. Er hat den herzerwärmenden Charme des französischen Films, ist lustig, süß und hat mich verzaubert..