Bombay Diaries

Eine Filmkritik von Lida Bach

Liebe und Sehnsucht in Bombay

Geschichten brauchen keine Erzähler. Sie erzählen sich selbst auf immer neue Weise in jedem Medium, das sie finden. In den Häusern von Dhobi Ghat, in den Gemälden des erfolgreichen Malers Arun (Amir Khan), der in den alten Stadtteil Bombays zieht, in den Fotografien der Amerikanerin Shai (Monica Droga), die Arun auf einer seiner Kunstausstellungen begegnet und ihn nach einer gemeinsamen Nacht nicht ziehen lassen will, in den persönlichen Videobriefen von Aruns Vormieterin Yasmin (Kriti Malhotra) entstehen die Geschichten, die Kiran Raos Bombay Diaries schreiben.
Der junge Wäscher Munna (Prateik Babbar) verbindet sie alle und gehört dennoch zu keiner von ihnen. Seine Geschichte ist die des Kampfs der Unterschicht um Anerkennung; aussichtslos wie Munnas Liebe zu Shai, der er bei ihrem Fotoprojekt hilft. Munna ist kein „Slumdog Millionaire“; nur ein „Dhobi“, der vom Erfolg in Bollywood träumt. Bollywood ist zum Greifen nah und dennoch unendlich weit weg in Dhobi Ghat, so der Originaltitel von Bombay Diaries. Die empfindsame Romanze mit einer Stadt ist nicht ein Film, sondern viele Filme. Eine Handvoll Lebensskizzen, scheinbar zufällig ausgewählte Momentaufnahmen, ein Video-Tagebuch und alte Postkarten montiert Kiran Rao zu einer filmischen Collage, die gleichzeitig Hommage an die Handlungsstadt und deren Entmystifizierung ist. Voller Lücken, Unebenheiten und Widersprüche ist das zart-traurige Episodendrama und dabei gleichzeitig voller Kontraste, Facetten und Nuancen. Rao lässt sich treiben durch belebte Gassen und einsame Appartments, düstere Tage und hell erleuchtete Nächte. Der indische Originaltitel verweist noch deutlicher auf den dramaturgischen Kern der unscheinbaren Alltagsdramen zwischen Romantik und Bitterkeit.

Bombay Diaries ist kein cineastisches Tagebuch über eine Stadt, sondern ein Filmtagebuch – von der Stadt selbst geschrieben. Die Kamera taucht ein in die Hauptstadt, die uralte Kultur und Postmoderne in sich bündelt, und entwirft das Bild einer schillernden Metropole, hinter deren Majestät Existenzangst, Isolation, Plackerei warten. Das amouröse Dreieck ist nur der Firnis eines Plots, der sich um die Unsicherheiten und Enttäuschungen der ambitionierten Figuren dreht. Nicht obwohl, sondern gerade weil Bombay Diaries kein reiner Independent-Film ist, erscheint er als Antithese des stereotypen Bollywood-Kinos. Die melancholische Romanze verweigert sich der Schematik des Mainstreams, indem sie dessen Konventionen ihren experimentellen Strukturen anpasst. Klassenunterschiede und soziale Benachteiligung werden nicht aufgelöst, sondern erscheinen als dauernder Konflikt. In der unüberwindbaren Distanz zwischen der wohlhabenden Amerikanerin Shai und Munna deuten sich die unterschwelligen Kastengrenzen einer äußerlich modernen Gesellschaft an. Für sie ist Munna nur ein Objekt, wenn auch auf sublimierter, künstlerischer Ebene. Die Ausübung von Kunst erscheint als Privileg der Oberschicht, das Armen wie Munna verwehrt bleibt. Shai kann er nur dienen, wie er es in der melancholischen Schlussszene tut, die ihr neue Hoffnung schenkt und seine zerstört.

Die Charaktere verkörpern die gegensätzlichen Impulse innerhalb einer jungen indischen Gesellschaft. Shai steht mit ihrem Fotoprojekt für selbstkritische Revision, Arun für Aufbruch, Yasmin für Vergeblichkeit und Starre und Munna für Ehrgeiz, zerrissen zwischen verzweifelter Hoffnung und Resignation. Sie alle sind Wanderer, die Lebensdurst, Verlangen oder unbestimmte Sehnsucht um treibt. Yasmin führt die Suche in ihr Innerstes, welches sie über ihr Videotagebuch ihr unbekannten Zuschauern öffnet. Der Maler Arun und die Fotografin Shai sind Suchende in ihrer Kunst. Rastloser als sie alle ist der sozial Niedrigstehendste unter ihnen: Munna, der von einer Arbeit zur nächsten hetzt, stets in der Hoffnung auf eine Schauspielkarriere. Die sexuellen und emotionalen Verstrickungen der Protagonisten sind nicht Schicksal, sondern Zufall und mehr schmerzlich als beglückend. Fast beiläufig mäandern die unterschiedlichen Lebensläufe ineinander, um sich ebenso abrupt zu trennen, wie sie sich überschnitten haben.

Die melancholisch-bittere Grundstimmung, die in einer frühen Szene im verhärmten Gesicht von Aruns Vermieterin anklingt, transzendiert die flüchtige Handlung und glatte Optik und macht aus dem Film ein gelungenes Beispiel des jungen indischen Kinos, das Mainstream-Unterhaltung mit Anspruch paart.

Bombay Diaries

Geschichten brauchen keine Erzähler. Sie erzählen sich selbst auf immer neue Weise in jedem Medium, das sie finden. In den Häusern von Dhobi Ghat, in den Gemälden des erfolgreichen Malers Arun (Amir Khan), der in den alten Stadtteil Bombays zieht, in den Fotografien der Amerikanerin Shai (Monica Droga), die Arun auf einer seiner Kunstausstellungen begegnet und ihn nach einer gemeinsamen Nacht nicht ziehen lassen will, in den persönlichen Videobriefen von Aruns Vormieterin Yasmin (Kriti Malhotra) entstehen die Geschichten, die Kiran Raos „Bombay Diaries“ schreiben.
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