The Yellow Sea

Eine Filmkritik von Lida Bach

Die Bestie Mensch

Dunkle Wasser. Um Gu-nam und um das Schiff, das ihn von China nach Südkorea trägt. Kein goldener Schimmer liegt auf den Wellen des Gelben Meers. Der Name ist Trug, Synonym für eine alles beherrschende Falschheit, hinter der ein eiskalter Abgrund wartet. Nichts ist strahlend und rein in The Yellow Sea, weder die Landhälften Chinas und Koreas, die Na Hong-jins epischer Thriller erkundet, noch das Meer des Titels. Die See ist ein Grab, das die Schwachen unter den Verzweifelten verschlingt, die mit Gu-nam (Ha Jung-woo) im pechschwarzen Inneren des Schiffs kauern. Die Metaphorik des Titels ist so vielschichtig und grausam wie die bittere Gewaltsymphonie, die der koreanische Regisseur und Drehbuchautor in einem zweieinhalbstündigen Bilderrausch dirigiert.
Schäbig, dreckig und verdorben ist alles in dem zynischen Kriminaldrama, der Ethos, die Charaktere und die verbrecherische Welt um sie herum, in deren Gosse die Handlung hinabtaucht. Das Verbrechen inszeniert Na nicht elegant und verführerisch, sondern so zwingend und schmierig, wie es von den Protagonisten Besitz ergreift. Die erstickenden Aufnahmen während der Überfahrt sind nur eine Station des professionellen Menschenschmuggels, den Na in seiner ganzen inhumanen Routine zeigt. Sechs Monate vor Gu-nam hat seine Frau das Gelbe Meer überquert. Seither hat er nichts mehr von ihr gehört, nur von den Gangstern, die das Geld für ihre Überfahrt einfordern. Der Unterweltboss Myun (Kim Yun-seok) will die Schulden bezahlen – gegen einen kleinen Auftragsmord in Seoul. Nichts Ungewöhnliches, nichts, das andere nicht auch tun würden. Letzteres entdeckt Gu-nam, als weitere Killer in seinem Revier Blut vergießen.

Barmherzigkeit scheint abwesend in der methodischen Exposition charakterlicher Verworfenheit und der physischen und psychischen Extreme, zu der äußerer und innerer Druck einen im Grunde einfachen Charakter treiben kann. Gu-nam ist dieser Mann. Ein Spieler, ein Krimineller, ein Killer. Doch darin unterscheidet der koreanische Kleinganove sich kaum von den übrigen Protagonisten, die ihn zu ihren Zwecken ausbeuten wollen. Mit einem Haufen anderer, die keine Wahl haben, lässt er sich in das Land seiner Vorfahren schmuggeln. Gu-nam ist einer der Bewohner des autonomen koreanisch-chinesischen Gebiets Joseonjok. Der Bezirksname ist gleichzeitig ein Schimpfwort für die Angehörigen der von Verbrechen und Gewalt überwucherten Gemeinde. Leben ist etwas Geringwertiges in Joseonjok, schneller verloren als eine Partie Mahjong und ein Euphemismus für ein Dasein, das tatsächlich Überleben ist. Die Hälfte der Menschen in Joseonjok hält sich mit Kriminalität über Wasser. Gu-nam ist einer von ihnen, ein kleiner Fisch unter lauter Haien.

Das Konzept der organisierten Kriminalität verdreht Na mit ironischem Spott in dessen genaues Gegenteil. Nicht die Menschen beherrschen das Verbrechen, sondern sie werden von ihm beherrscht. Die Verbindungen zwischen Unterwelt, Halbwelt und höchsten Kreisen sind so verworren, dass keiner der Protagonisten sie völlig durchschauen kann. Ohne sich in dem komplexen Handlungsnetz zu verfangen, webt Na den Zuschauer darin ein und macht ihn zum Komplizen der moralischen Verworfenheit, von der er den Spielschuldner und Amateur-Killer Gu-nam nicht ausnimmt. Sein eiserner Überlebenswille, der ihn gegenüber seinen zahllosen Feinden auszeichnet, ähnelt einem animalischen Instinkt. Bestialität ist das wahre Gesicht der Gesellschaft des pessimistischen Kriminalstücks, in dem soziale und kriminelle Moral gleichsam heuchlerisch sind. Ob er wie die Hunde enden wolle, fragt Myun Gu-nam vor einer Suppenküche. Eingepfercht in Käfigen werden die Tiere zum Kampf abgerichtet oder, so impliziert es die Szenerie, verspeist.

Das Archaische der menschlichen Natur verdeutlicht die rohe Gewalt, die physisch oder mit Handwaffen ausgeübt wird. The Yellow Sea wird zur symbolischen Passage in den Orkus eines amoralischen Systems, in dem höchste und niedrigste Schichten einander in ihrer Korruption spiegeln. In beiden Welten und beiden Ländern ist Gu-nam ein Ausgestoßener, ein Geächteter, für den der Anfangssatz zum zynischen Scherz wird: „Welch Glück ich doch habe.“

The Yellow Sea

Dunkle Wasser. Um Gu-nam und um das Schiff, das ihn von China nach Südkorea trägt. Kein goldener Schimmer liegt auf den Wellen des Gelben Meers. Der Name ist Trug, Synonym für eine alles beherrschende Falschheit, hinter der ein eiskalter Abgrund wartet. Nichts ist strahlend und rein in „The Yellow Sea“, weder die Landhälften Chinas und Koreas, die Na Hong-jins epischer Thriller erkundet, noch das Meer des Titels.
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