Wer weiß, wohin?

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Frauen an die Macht

Nach langen Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen kehrt in das Land im Nahen Osten allmählich Frieden ein. Selbst in einem weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Dorf sprechen die Mitglieder der beiden Religionen wieder miteinander. Dieser Fortschritt bezieht sich auf die Männer, die Frauen pflegen im Alltag ja sowieso die meiste Zeit gutnachbarlichen Kontakt, ob im Dorfladen oder beim Nähen und Backen in Amales (Nadine Labaki) Café. Als die Kunde vom Wiederaufflammen des Krieges das Dorf erreicht und die Gemüter der Männer bedrohlich erhitzt, werden die Frauen, die der ständigen Trauer um Söhne und Brüder überdrüssig sind, erfinderisch.
Wie in ihrem Debütfilm Caramel aus dem Jahre 2007 erzählt die libanesische Regisseurin Nadine Labaki auch in ihrem zweiten Werk eine Geschichte aus der weiblichen Perspektive. Ihr vom Bürgerkrieg gezeichnetes Heimatland mit seiner männlich dominierten Gesellschaft sieht gleich viel heiterer und lebendiger aus, wenn Labakis Frauencharaktere vorführen, wie sie sich arrangieren und mit wie viel Pragmatismus und Kommunikationsfähigkeit sie ihre Träume verwirklichen. Das christlich-muslimische Dorf in Wer weiß, wohin?, der libanesischen Bewerbung um den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film, ist natürlich am ehesten im Libanon lokalisiert. Labaki vermeidet jedoch die namentliche Verortung, wie sie im Presseheft erklärt, um den Religionskrieg als universelles Problem darzustellen, vor allem aber, um mehr Freiraum zu schaffen für die weibliche Utopie, die sogar einen handfesten Tabubruch nicht scheut.

Die christliche Amale schwärmt für den muslimischen Maler Rabih (Julien Farhat), der ihr heruntergekommenes Café renoviert. Der Friedhof mit seinen streng nach Religion getrennten Gräbern sieht gepflegter aus als die ärmlichen Häuser der Menschen, die weder Telefon noch Fernsehanschluss besitzen und auf die Besorgungsfahrten von Nassim (Kevin Abboud) und Roukoz (Ali Haidar) angewiesen sind, wenn sie Waren aus der Stadt brauchen. Kein Wunder also, dass der Bürgermeister (Khalil Bou Khalil) vom Durchschreiten des Tors ins 21. Jahrhundert spricht, als sich das ganze Dorf vor einem Fernsehapparat auf dem nahen Hügel zum „Public Viewing“ versammelt.

Aber in den Fernsehnachrichten wird von neuen Unruhen berichtet. In den nächsten Tagen eskaliert die Situation auch im Dorf. Ziegen dringen in die Moschee ein, das Weihwasser in der christlichen Kirche ist mit Hühnerblut gefärbt. Die größten Hitzköpfe unter den Männern gehen bereits aufeinander los, auch wenn der Priester (Samir Awad) und der Imam (Ziad Abou Absi) verzweifelt zur Mäßigung aufrufen. Amale, die Kopftuch tragende Afaf (Leyla Hakim), die christliche Takla (Claude Baz Moussawbaa) und die Bürgermeistersgattin Yvonne (Yvonne Maalouf) sind sich einig: Nur ein Wunder kann jetzt noch helfen. Also täuscht Yvonne vor, in Trance die Worte der Jungfrau Maria zu vernehmen, welche den Unfrieden im Dorf missbilligt. Als auch das nichts fruchtet, holen die Frauen ukrainische Stripperinnen zu Hilfe, die die Männer schon wirkungsvoller auf andere Gedanken bringen. Doch dann gerät Nassim in ein Waffengefecht außerhalb des Dorfes und wird getötet. Seine Mutter Takla ist untröstlich, am meisten aber quält sie die Angst vor der Reaktion von Nassims ältestem Bruder.

Zu Labakis Darstellern zählen Laien, wie beispielsweise in der Rolle der Bürgermeistersgattin, ebenso wie einige Profis. Gemeinsam singen und tanzen sie zwischendurch im Stil eines naiv-unbeschwerten Musicals. Das Miteinander der Frauen beweist ganz unangestrengt, wie wenig sie von religiös motivierter Feindschaft halten. Und weil das Denken der Männer in dieser Frage zu festgefahren ist, krempeln es die Frauen gewitzt mit vollendeten Tatsachen um. Labakis unbeirrter Optimismus betont die vitalen Kräfte, über die diese leidgeprüfte arabische Gesellschaft verfügt.

Wer weiß, wohin?

Nach langen Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen kehrt in das Land im Nahen Osten allmählich Frieden ein. Selbst in einem weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Dorf sprechen die Mitglieder der beiden Religionen wieder miteinander.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Bernhard Scholer · 01.02.2021

Ein Film der Zusammenleben und Reibereien in einer christlich-moslimíschen Gemeinde in Nah-Ost perfekt beschreibt Zusamenarbeit und Reibereien, Eifersüchteleen. Dazu zwei mal vernünftige Gemeindeobere und am Ende eine fast geniale Lösung. Assoziation mit dem antiken Stück Lysistrata flackert auf. Ob christlich-moslemisch, jüdisch-christlich, ausserhablb Israels sicher auch moslemidch-jüdisch denkbar oder vor einem Jahrhundert noch evangelisch-katholisch denkbar absolut zu empfehlen.

MayBo · 17.02.2012

Habe den Film im Original schon im Libanon gesehen!! Absolut empfehlenswert!

Ilsa · 04.01.2012

Ich bin sehr gespannt und freue mich auf den Film. Caramel war auch schon ein wirklich schön und hingebungsvoll erzählt.