Urban Explorer

Eine Filmkritik von Lida Bach

Dantes Inferno

„Are you the guide?“, fragt einer der vier jungen Touristen. Das ist Kris (Max Riemelt), doch von gewöhnlichen Stadtrundfahrten unterscheiden sich seine Berlin-Exkursionen drastisch. Nicht nur, weil sie eine Seite der Hauptstadt enthüllen, die selbst die meisten Einwohner nicht kennen. Seine Touren unternimmt der Titelcharakter von Andy Fetschers delikatem Splatter-Thriller „Urban Explorer“ im doppelten Sinne im Verborgenen. Jenseits des Legalen und jenseits der Alltagswelt durchwandern Kris und mit ihm die Kamera stillgelegte U-Bahnschächte, verlassene Tunnelanlagen und Weltkriegsbunker. Als „Dante“ stellt er sich Mickey (Nick Eversman), dessen südamerikanischer Freundin Mallory (Nathalie Kelley), der Französin Olympia (Catherine de Lean) und der Asiatin Haiku (Brenda Koo) vor. Ein düsteres Omen für den Abstieg in die Hölle, auf dem Fetschers Spielfilmdebüt Urban Explorer die Protagonisten begleitet.
Der sein ungewöhnliches Setting auskostende Horror-Spaß ist Unterhaltung just von jener Art, wie die Figuren sie suchen: das Gegenteil eines der geruhsamen Spaziergänge auf altbekannten Pfaden, vorbei an pittoresken Kulissen und Sehenswürdigkeiten für die breite Masse. Mit geringem Budget und kaum mehr als einer Handvoll Darsteller gelingt ein amüsanter „Underground“-Film, der mit origineller Idee und Pulp-Anleihen zur Entdeckungstour in Kinogefilde lockt. „Save your battery. We´re gonna need them“, rät Kris, dessen Worte neben den Taschenlampen von den physischen Kräften seiner Gefährten zu sprechen scheinen. Das „Besondere“, das sie in den Schächten erwartet, ist der Fahrerbunker.

„Führerbunker?“ Nein, „Fahrerbunker. Like the chauffeur of Adolf Hitler.“ Wandbilder und Relikte inhumaner Experimente aus der Nazizeit erhoffen sich die fünf Titelcharaktere, die für die Lust am historischen Grauen bezahlen. Die Geschichten von mutierten SS-Soldaten, die in den Tunnels hausen sollen, ist einer der Irrwege, auf die Urban Explorer seine Figuren führt. Grausamkeit und Terror, die sich in der manisch grinsenden Gestalt des im unterirdischen Labyrinth hausenden Armin (Klaus Stiglmeier) formieren, entstammen einer jüngeren Vergangenheit als die im Horrorgenre oftmals bemühte Naziära. „Das ist zu deutsch. Das können Ausländer nicht verstehen“, sagt Kris oberflächlich betrachtet über die Nazi-Legenden, unterschwellig jedoch über den sardonisch überspitzten Ost-West-Konflikt.

„Deutschland ist doch wiedervereinigt“, sagt Mickey, der mit seiner Freundin Hilfe für den bei einem Sturz verletzten Kris gefunden zu haben glaubt. „So sagt man“, murmelt der ehemalige Grenzer, der das verfallene Nazi-Quartier bewohnt, Symbol für historisches Unrecht, an dessen Stelle ein neues tritt. Urban Explorer reißt nicht nur ein paar frische Wunden im deutschen Splatterfilm auf, er streut auch genüsslich Salz hinein – und zwar von der körnigen Sorte. Das Kunstblut spart sich Fetscher für gezielt gesetzte Effekte auf, um stattdessen der Androhung von Gewalt zu vertrauen. Folterinstrumente hängen an Armins Wand neben der Kochstätte wie bei anderen das Geschirr – nicht gerade eine gastronomische Empfehlung für Armins Fleischsuppe.

Die Messer und Sägen dienen nicht dem menschlichen Wohlbefinden, wie die Charaktere schmerzlich lernen müssen. Armin hat sich häuslich eingerichtet in der Vergangenheit, deren ungebrochene Macht Fetscher mit makaberem Humor inszeniert. Der wahre Horror ist es, am Alex auf die U-Bahn zu warten, wenn man es total eilig hat und auf der Anzeige steht: „Wittenau 11 Min.“. An der Notrufsäule steht „Missbrauch strafbar“, was einschüchternder wirkt als mordende Psychopathen: besser nicht voreilig drücken! Selbst das Bahnabteil bietet keine Sicherheit: „Die Fahrkarten, bitte!“ Wer dann keine hat, der lasse alle Hoffnung fahren.

Wie in einem Alptraum lauern Fallen und Abgründe und einige Logiklücken auf die Figuren, die plötzlich in die Tiefe stürzen und durch finstere Gänge irren. 250.000 Kilometer unterirdisches Terrain warten unter Berlin, verrät ein Vortext in Urban Explorer; es ist beinahe so etwas wie eine Einladung… Doch auf der U-Bahnstrecke zwischen Alex und Schönleinstraße steht der Kühlschrank Armins, der in der Schlussszene sein perfides Lächeln mit der elektrischen Zahnbürste aufpoliert. Wie sagt Dante zu Beginn des Films so treffend: „Berlin underground ist special.“

Urban Explorer

„Are you the guide?“, fragt einer der vier jungen Touristen. Das ist Kris (Max Riemelt), doch von gewöhnlichen Stadtrundfahrten unterscheiden sich seine Berlin-Exkursionen drastisch. Nicht nur, weil sie eine Seite der Hauptstadt enthüllen, die selbst die meisten Einwohner nicht kennen. Seine Touren unternimmt der Titelcharakter von Andy Fetschers delikatem Splatter-Thriller „Urban Explorer“ im doppelten Sinne im Verborgenen.
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Meinungen

Nicht reingehen · 02.11.2011

schlechter splatter!!