Shopping Girls

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Unter Smartphonehuren

Der unglaublich schnelle Einfall des Kapitalismus hat nach dem Ende des Kalten Krieges nicht nur seine Spuren in der polnischen Gesellschaft hinterlassen, sondern prägte auch Motive und Ästhetik der polnischen Nachwendekinematographie. Filme wie Władysław Pasikowskis Psy (Hunde) oder Krzysztof Krauzes Dług (Die Schuld) zeigten roh und unbarmherzig, wie barbarisch die Aussicht auf jeden noch so kleinen Gewinn jedwede Moral untergräbt und wie dies das Klima einer Gesellschaft von Grund auf vergiftet. Diese Herangehensweise ist dem polnischen Kino selbst zwanzig Jahre später nicht fremd. Regelmäßig kommen dort düstere und pessimistische Filme ins Kino, die Korruption und Prostitution als unheilvolles Erbe des Raubtierkapitalismus thematisieren. Der deutsche Kinogänger bekommt davon freilich gar nichts mit. Schließlich kommen polnische Filme nur selten auf deutsche Leinwände.
Eine der letzten polnischen Produktionen, die es dann doch ins deutsche Kino geschafft hat, war Robert Glinskis Ich, Tomek, der die Kinderprostitution im deutsch-polnischen Grenzgebiet darstellte. Einem ähnlichen Thema nimmt sich Katarzyna Rosłaniec in ihrem Debütfilm Shopping Girls an. Alicja (Anna Karczmarczyk), ein normales Teenagermädchen, kommt in eine neue Klasse und ist sofort die Außenseiterin. Auf dem Schulhof, wo der Coolness-Faktor anhand des neusten Handymodells gemessen wird, hat sie, die nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammt, es naturgemäß schwer. Besonders, wenn die Clique um die aggressiv-provozierende Milena (Dagmara Krasowska) es auf sie abgesehen hat.

Das Phänomen der „Shopping Girls“ ist in Polen weit verbreitet und beschreibt jene weiblichen Teenager, die schulschwänzend ihre Zeit in luxuriösen Einkaufstempeln verbringen und sich die neusten Klamotten und Accessoires besorgen. Natürlich haben sie kein Geld. Da Stehlen aber nicht in Frage kommt, suchen sich die Mädchen so genannte „Sponsoren“ und bieten den wohlhabenden Männern Sex für Jeans, Uhren oder Handys. Eine Tendenz, die so erschreckende Ausmaße angenommen hat, dass die Veröffentlichung von Rosłaniec‘ Film eine lang anhaltende und sehr kontroverse Debatte über die Perspektivlosigkeit und Verkommenheit der polnischen Jugend auslöste. Ähnlich reagierte auch das tschechische und slowenische Publikum, wo Shopping Girls bereits sehr erfolgreich lief.

Rosłaniec zeigt wie aus der braven, unschuldigen Alicja langsam ein dreistes Shopping Girl wird. Wie sie unter dem wachenden Auge Milenas — nicht nur im übertragenden Sinne — ihre Unschuld verliert und dann langsam und unkontrolliert nicht nur ihre Jugend, sondern auch ihr Leben aufs Spiel setzt. Genau hier offenbart sich die größte Schwäche dieses Debütfilms (der aus einer halbstündigen Hochschularbeit der Regisseurin entstand). Er operiert mit Schablonen und vorgefertigten Klischees, ohne sich die Mühe zu machen aus ihnen auszubrechen. Durchschaubar sind vor allem die Motivationen und Handlungsabsichten Alicjas: ein einsamer Teenager, der nach Akzeptanz sucht und endlich Teil einer Gruppe werden möchte.

Grob und kantig sind auch die Pinselstriche, mit denen die Regisseurin die Welten zeigt, die Alicja durchschreitet. Auf der einen Seite die Wohnung der Eltern, eng und karg, mit einer unsensiblen und ignoranten Mutter („Du hast immer noch keine Freunde eingeladen“) und einem stummen, stets steril dreinblickenden Vater. Auf der anderen Seite die materielle Welt der Sponsoren. Hier kann Alicja alles haben, was sie begehrt, fühlt sich gewollt und geschätzt. Milena, die sich zu ihrer besten Freundin mausert, sorgt für die nötige Einführung in diese Welt. Sie weiß, welche Salbe man für die Verletzungen besorgen muss, weiß, dass man immer Kondome dabei haben sollte („Willste nen Hosenscheißer?“) und auch welchen Wert, welche sexuelle Gefälligkeit hat.

Das ist Schema F, was selbst durch die sehr starke Leistung der Jungschauspieler nur schwerlich ausgeglichen wird. Manchmal bekommt man den Eindruck, Rosłaniec genießt den wummernden Elektrobeat, der den sauber polierten Bilderreigen voranpeitscht, so sehr, dass sie kaum mehr auf ihre Figurenführung achtet. Denn selbst die, durchaus interessanten, homoerotischen Andeutungen in der Beziehung zwischen Alicja und Milena bleiben blass und werden dramaturgisch derart vernachlässigt, dass man sich fragen muss, ob diese Spannung im Endeffekt nicht doch nur ein reines Zufallsprodukt des Films ist.

In einigen Momenten findet Shopping Girls dann doch noch Zeit für eine kurze Pause und drosselt den viel zu schnellen Erzählrhythmus. Wenn zum Beispiel eines der Mädchen erfährt, dass sie schwanger ist, antwortet sie merklich schockiert: „Das geht nicht. Ich hab danach doch alles sorgfältig ausgespült.“ Hier bekommt man einen kleinen Eindruck von der Naivität, mit der die Teenager meinen, alles unter Kontrolle zu haben, und dass der Preis, den sie bezahlen, eventuell zu hoch sein könnte. Zudem sind das auch die Momente, in denen das Potential der Regisseurin wie auch der Narration am stärksten durchscheinen. Ansonsten kann der Film nämlich gar nicht anders, als die Erinnerungen an wesentlich besser Filme zum gleichen Thema zu wecken, wie z.B. Larry Clarks Kids, Catherine Hardwickes Thirteen, Paul Andrew Williams‘ London to Brighton oder Valerya Gay Germanikas Everybody Dies But Me.

Gerade weil es zum Thema Jugendprostitution so viele gelungene Filme gibt, braucht jede neue filmische Auseinandersetzung einen frischen, unverbrauchten Ton, sowie den Mut sich vom Kitsch und eingefahrenen Erzählschemata zu lösen. Leider gelingt das Katarzyna Rosłaniec viel zu selten.

Shopping Girls

Der unglaublich schnelle Einfall des Kapitalismus hat nach dem Ende des Kalten Krieges nicht nur seine Spuren in der polnischen Gesellschaft hinterlassen, sondern prägte auch Motive und Ästhetik der polnischen Nachwendekinematographie. Filme wie Władysław Pasikowskis „Psy“ („Hunde“) oder Krzysztof Krauzes „Dług“ („Die Schuld“) zeigten roh und unbarmherzig, wie barbarisch die Aussicht auf jeden noch so kleinen Gewinn jedwede Moral untergräbt und wie dies das Klima einer Gesellschaft von Grund auf vergiftet.
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