Dem Himmel ganz nah

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine untergehende Welt

Zugegeben – auf dem Papier klingt die Synopsis von Titus Faschinas Dokumentarfilm Dem Himmel ganz nah wie einer jener typischen Festivalbeiträge, die allenfalls eingefleischte Hardcore-Cineasten in Entzücken versetzen: In kargen Schwarzweiß-Bildern gehalten, erzählt der Film in bedächtigem Ton vom entbehrungsreichen Leben eines rumänischen Berghirten, der als einer der letzten seiner Art sommers wie winters, bei Wind und Wetter mit seiner Schafherde im transsilvanischen Karpatenbogen unterwegs ist. Zwar ist diese Beschreibung nicht falsch, doch sie drückt kaum etwas von der fast schon meditativ zu nennenden Ruhe aus, die von diesem Film ausgeht.
Dumitru Stanciu ist einer jener stolzen Männer, die in immer geringer werdender Zahl durch die Berge der rumänischen Karpaten ziehen und deren Leben vor allem dem Rhythmus der Jahreszeiten und den täglichen Bedürfnissen ihrer Herde unterworfen ist. Und so ist es naheliegend, dass auch der Film selbst in Kapitel eingeteilt ist, die nach den Jahreszeiten benannt sind und dass er Dumitru bei den alltäglichen Verrichtungen wie dem Melken und bei der Käsezubereitung begleitet.

Immer wieder, gleich von Beginn an, bezieht sich der Film auf die zahlreichen Mythen und Erzählungen aus diesem Teil Rumäniens, die bis zum heutigen Tage eine wichtige Rolle im Leben der Menschen einnehmen. Doch nicht nur der Berufsstand des Berghirten ist bedroht, durch das langsame Verschwinden uralter, über Jahrtausende hinweg gewachsener Strukturen und Traditionen droht der Landschaft auch der Verlust der eigenen Identität.

Hinzu kommen Verordnungen seitens der Behörden und der EU-Institutionen sowie der generelle Umbruch in den Ländern des früheren Ostblocks, die das Erodieren alter Berufe und Fertigkeiten beschleunigen. Titus Faschina und sein Kameramann Bernd Fischer übersetzen diese nüchternen Fakten immer wieder in sprechende Bilder, die vieles nur andeuten und die mächtige Symbole für die Anzeichen des Verfalls sind, der in diesem Film als Subtext stets präsent ist. Zerfallende Häuser und Hütten künden von der Landflucht in den Karpaten, die vor allem die jungen Leute in die Städte oder ins Ausland treibt, weil ihnen das Leben ihrer Väter und Vorfahren als zu entbehrungsreich erscheint. Ein allgemeines Problem, das aber Dumitru Stanciu ganz unmittelbar betrifft: Sein Sohn Radu beispielsweise lebt ebenfalls wie viele andere junge Leute in der Stadt; ob er einmal in die Fußstapfen des Vaters treten wird oder ob mit Dumitru eine lange Tradition ihr Ende findet, das schwebt als Bedrohung ständig über dem Mann, der seinen Beruf nicht mehr allzu lange ausüben will.

Auch wenn auf den ersten Blick die Wahl von Schwarzweiß-Bildern angesichts der mutmaßlich sattgrünen Wiesen und des tiefblauen Himmels eher unlogisch erscheint, bezieht der Film gerade aus dieser Entscheidung einen nicht geringen Anteil seiner Faszination. Zum einen erschienen die Menschen und die Gegenstände und Lebewesen ebenso wie die Landschaft konturierter, sinnlicher, greifbarer, zum zweiten scheinen die Bilder mit einer Art Patina überzogen zu sein, die die Vergänglichkeit, die Brüchigkeit dieser bedrohten Art des Lebens und die Unabhängigkeit der Menschen vom Gebrause unserer modernen Welt betonen. Kongenial ergänzt und untermalt werden die Bilder durch die Musik von Alexander Bălănescu, dem Violinisten und Begründer des Bălănescu Quartetts, dessen Musik aus diesem Film nicht nur einen Augen-, sondern auch einen Ohrenschmaus macht, der ein klein wenig Geduld erfordert. Doch wenn man sich auf diesen ganz anderen Lebensrhythmus einmal eingelassen hat, wird man zumindest für einen kurzen Moment den dringlichen Wunsch verspüren, selbst einmal für eine Weile als Schäfer die faszinierende Bergwelt der Karpaten zu durchstreifen.

Dem Himmel ganz nah

Zugegeben – auf dem Papier klingt die Synopsis von Titus Faschinas Dokumentarfilm „Dem Himmel ganz nah“ wie einer jener typischen Festivalbeiträge, die allenfalls eingefleischte Hardcore-Cineasten in Entzücken versetzen: In kargen Schwarzweiß-Bildern gehalten, erzählt der Film in bedächtigem Ton vom entbehrungsreichen Leben eines rumänischen Berghirten, der als einer der letzten seiner Art sommers wie winters, bei Wind und Wetter mit seiner Schafherde im transsilvanischen Karpatenbogen unterwegs ist.
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