Helden des Polarkreises

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Am tiefgefrorenen Arsch der Welt

Für manch einen mag dies wie eine glückliche Fügung erscheinen, für andere ist es schlicht ein Horrorszenario: Da läuft am nächsten Tag Titanic in der Glotze und man selbst kann nicht schauen, weil kurz zuvor das Fernsehen auf Digitalbetrieb umgestellt wurde und der eigene Freund das Geld, das für die Beschaffung der Digibox bestimmt war, mit seinen Kumpels in der Kneipe in Bier umgesetzt hat. Genau so ergeht es Inari (Pamela Tola) – und deshalb ist sie sauer; besser gesagt stinksauer. Also stellt sie ihrem Freund Janne (Jussi Vatanen) ein Ultimatum: Bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr hat so ein Ding auf dem Tisch des Hauses zu stehen. Wenn nicht, ist Schluss. Nicht nur mit lustig, sondern auch mit ihrer neunjährigen Beziehung. Was für Janne eine noch größere Katastrophe bedeuten würde, als die Lage, in der er eh schon steckt. Zumal Frauen in dieser Gegend sowieso absolute Mangelware sind und Inari zudem nicht nur hübsch, sondern auch sonst in beinahe jeder Beziehung äußerst anziehend ist – normalerweise…
Also macht sich Janne auf den Weg durch die eiskalte finnische Nacht, dort oben in Lappland nahe dem Polarkreis, wo es im Winter eigentlich nie richtig hell wird und warm sowieso nicht. Weswegen man das mit dem Fernseher und Titanic dann doch ein klein wenig verstehen kann – zwischenmenschliche Wärme und das Licht der Liebe und so…

Begleitet wird er auf seinem Weg durch die Nacht von seinen beiden Kumpels Kanne (Jasper Pääkönen) und Ralle (Timo Lavikainen) , die mindestens ebenso große Loser sind wie Janne selbst. Ihr Ziel ist eine Stadt, die 200 Kilometer entfernt liegt und in der Inaris Vater ein Elektrogeschäft hat, das Digi-Boxen führt. Allerdings löst auch das Jannes zweiter (oder ist es das dritte, vierte oder fünfte) Problem nicht – umsonst wird er die Box auch von Inaris Vater nicht bekommen, also muss ihm irgendwie etwas einfallen, wie er „on the road“ Geld verdienen kann. Und dass derweil ein alter Verehrer Inari belagert wie ein hungriger Wolf ein Rentier-Kitz, macht Jannes Lage auch nicht gerade gemütlicher. Wenn er freilich gewusst hätte, was ihn auf seiner nächtlichen Odyssee alles erwartet, dann, tja dann hätte er es sich wohl zweimal überlegt, was er mit dem ursprünglich für den Digitalempfänger bestimmten Geld unternommen hätte.

Die Skandinavier und ihr Humor – das ist schon eine ganz besondere und manchmal auch sehr spezielle Angelegenheit. Und eine düstere noch dazu. Wenn beispielsweise vor dem Dorf, in dem die Geschichte angesiedelt ist, ein Baum mit daran befestigter Schlinge steht, von dem es heißt, dass sich hier seit vielen Generationen die lebensmüden Männer aufknüpfen, dann ist das einerseits zwar durchaus für einen sarkastischen Lacher gut, andererseits aber hat dieser „Galgenhumor“ auch einen durchaus ernsten Hintergrund. Weil diese kleine Episode einen Eindruck davon vermittelt, was es heißt, in solch einer extremen Gegend zu Hause zu sein. Die weit verbreitete Arbeits- und Perspektivlosigkeit in Lappland tut sicher noch das Ihre dazu, dass der Kampf um digitalen TV-Empfang da schnell zu einer Überlebensfrage wird. Wenn schon die Aussichten beschissen sind und man die meiste Zeit kaum die Hand vor Augen sieht, will man wenigstens das Fenster zur Welt weit offen haben.

Allerdings blitzt der ernste Hintergrund und die eigentlich recht hoffnungslose Lage der drei Freunde nur gelegentlich auf. Stattdessen setzen der Regisseur Dome Karukoski und sein Drehbuchautor Pekko Pesonen viel lieber auf mal grimmigen, mal derben Humor, freche Sprüche (er habe keine Zeit für einen Job, sagt beispielsweise einer der Freunde Jannes an einer Stelle des Filmes, als ihm eine Arbeit angeboten wird, er sei schon genug mit seinen Hobbys beschäftigt) und aberwitzige Situationen, in die sie die Helden des Polarkreises ein ums andere Mal schicken. Das wirkt zwar bisweilen ein wenig bemüht, dass jede neue Episode die vorherige an Absurdität noch einmal übertreffen muss. Wenn man sich aber auf diesen speziellen Rhythmus und die liebevolle Ausgestaltung der einzelnen Szenen sowie die schrille Farbdramaturgie und die extreme Künstlichkeit eingelassen hat, hat man an dieser Nummernrevue, die in ihren besten Momenten an die großen Heroen des Slapstick erinnert, viel Freude.

Das Schöne und Amüsante daran ist neben vielen hinreißend absurden Situationen und dem Tempo, mit dem die Geschichte mit immer neuen Ideen vorangetrieben wird: Gerade weil diese drei absoluten Vollversager in beinahe jeder Hinsicht jeglichen Anforderungen des normalen Lebens (wobei: Was ist am Polarkreis schon „normal“) nicht gewachsen sind, haben sie nun endlich mal die Chance, es allen zu zeigen, dass sie doch können, wenn sie nur wollen. Oder wenn man ihnen eine Chance dazu gibt. Betrachtet man es durch diese Brille, dann liegt darin bei aller Komik auch eine gewisse Tragik – dass drei junge Kerle erst dann den tiefgefrorenen Arsch hochbekommen, wenn es um Kinkerlitzchen wie einen Digitalempfänger für die Glotze geht. Über Inaris Filmgeschmack hingegen müsste man vielleicht bei Gelegenheit auch nochmal ernsthaft diskutieren.

Helden des Polarkreises

Für manch einen mag dies wie eine glückliche Fügung erscheinen, für andere ist es schlicht ein Horrorszenario: Da läuft am nächsten Tag „Titanic“ in der Glotze und man selbst kann nicht schauen, weil kurz zuvor das Fernsehen auf Digitalbetrieb umgestellt wurde und der eigene Freund das Geld, das für die Beschaffung der Digibox bestimmt war, mit seinen Kumpels in der Kneipe in Bier umgesetzt hat.
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