Dark Horse (2011)

Eine Filmkritik von Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski

Außenseiter unter sich

Noch nie hat ein Todd Solondz Film so beschwingt und dynamisch angefangen. Während der karge Vorspann von Dark Horse noch läuft, donnert ein wuchtiger Diskobeat über den Einblendungen. Dann führt uns Solondz mit einem wundervollen Kameraschwenk auf eine ausgelassene jüdische Hochzeit, auf der alle etwas überdreht tanzen und Spaß haben. Doch der Schwenk endet schließlich auf den beiden einzigen Personen im Raum, die still und einsam an einem Tisch sitzen und stumm in die Gegend starren. Von diesen beiden depressiven Außenseitern wird Dark Horse erzählen.
Abe (Jordan Gelber) ist ein Mann in den Dreißigern und lebt immer noch bei seinen Eltern. Auch beruflich hängt er noch an der Nabelschnur seiner Erzeuger, denn Abe arbeitet in der Immobilienfirma seines Vaters (Christopher Walken) und weiß, dass er diesen Job nur bekommen hat, weil er nun mal der Sohn des Chefs ist. Abe verliebt sich auf der Hochzeit in Miranda (Selma Blair) und bittet sie bereits beim ersten skurrilen Date um ihre Hand. Aber Miranda hat ganz andere Probleme und bekommt von der ganzen Verehrung gar nichts mit. Sie lebt auch noch bei ihren Eltern, versucht sich – erfolgslos – als Schriftstellerin und ist ansonsten die absolute Verkörperung einer neurotisch-depressiven Todd Solondz Figur.

Damit ist Miranda aber fast eine Ausnahme in dem neuen Werk des Regisseurs von Happiness und Welcome to the Dollhouse. Für seine Variante eines ganz sonderlichen Coming-of-Age Filmes dreht Solondz alle seine bisherigen Markenzeichen spürbar zurück. Die zynischen Spitzen, die seine Drehbücher bisher prägten, weichen hier einem wesentlich milderen Ton. Genau diese bewusste Entscheidung, keinen Film über Pädophilie, Vergewaltigung oder Masturbation zu drehen, erweist sich aber als nicht sonderlich überzeugend. Man muss Solondz den Vorwurf der Unentschiedenheit machen. Nicht, dass sein Film keine Qualitäten hätte, aber diese kommen gerade in den Momenten zur Geltung, wo der alte Zyniker von einst doch noch durchscheint. Ein Beispiel hierfür ist die Szene, in der Miranda dem schockierten Abe offenbart, dass sie an Hepatits B leide, worauf sich Abe voller Panik mit Youtube-Videos über die Folgen einer möglichen Ansteckung informiert. Das ist dann jener großartige schwarze Humor, der die Einzigartigkeit eines echten Solondz-Films ausmacht. Doch gerade diesen will Dark Horse um jeden Preis vermeiden und das zu Gunsten einer trivialen Geschichte über zwei Außenseiter, die nicht von zuhause ausziehen können.

Für die Mängel auf der formalen Ebene entschädigen aber die sehr guten Darsteller. Abes Eltern werden von Christopher Walken und Mia Farrow gespielt, die sich beide wunderbar in diesen knallbunten und neurotischen Kosmos einfügen. Vor allem Christopher Walken ist nahezu bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und erinnert als grimmiger Vater stark an unseren ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Doch es ist vor allem Donna Murphys kongeniale Verkörperung einer lüsternen Sekretärin, die hier allen den Rang abläuft. Ihre Marie ist die einzig wirklich innovative Figur in diesem Film, der eher wie ein mäßig komischer Pilot zu einer neuen US-Serie aus dem Hause HBO anmutet.

Dark Horse ist also ein Todd Solondz Film auf Sparflamme und nähert sich leider zu stark der Beliebigkeit und Formelhaftigkeit eines typischen amerikanischen Indie-Movies an. Für den Regisseur sollte daher zukünftig die Volksweisheit gelten: Schuster, bleib bei deinen Leisten!

(Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski)

Dark Horse (2011)

Noch nie hat ein Todd Solondz Film so beschwingt und dynamisch angefangen. Während der karge Vorspann von „Dark Horse“ noch läuft, donnert ein wuchtiger Diskobeat über den Einblendungen. Dann führt uns Solondz mit einem wundervollen Kameraschwenk auf eine ausgelassene jüdische Hochzeit, auf der alle etwas überdreht tanzen und Spaß haben.
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