Empire Me - Der Staat bin ich! (2011)

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Unterwegs in Gegenwelten

Angesichts von Schuldenkrisen, spekulativen Rettungsfonds und drastischen Sparpaketen, wer denkt da nicht an Auswandern? Einfach weg. Doch wohin? Wo lebt es sich gerechter, gesünder und entspannter als vor Ort? Das fragte sich auch Regisseur und Künstler Paul Poet. Er machte sich auf die Suche und fand Menschen, die in ihrem eigenen Utopia leben. Mehr als 500 solcher Mikroorganismen soll es weltweit geben. Poet besuchte 30 Ministaaten. Sechs wählte er für seinen Film Empire me — Der Staat bin ich! aus.

Den Film bei Vimeo schauen:

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

In kleinen Episoden, die durch Zwischenbilder und – texte verbunden werden, stellt Poet Gründer und Bewohner der so genannten Mikronationen vor. Man ist gespannt: Sind sie glücklicher und zufriedener? Sind sie unabhängig und frei von zum Beispiel wirtschaftlichen Verwerfungen? Geht es bei ihnen gerechter zu? Mit anderen Worten: Wäre ein Ministaat eine Alternative zum „normalen Leben“ in einem „normalen Land“?

Poet gelingt eine staunenswerte Kolportage über nahezu unbekannte (Mini)Staaten. Eine bunte Palette, die sich grob unterteilt in esoterische Sektierer, politisch-künstlerische Aktivisten und skurrile Eigenbrötler. Während die einen ein weltabgewandtes Leben, konzentriert auf ihren eigenen Mikrokosmos, führen, verzetteln sich die anderen in Scharmützeln mit der Außenwelt oder kopieren das alte Leben mit angepasstem ideologischem Überbau.

Einzig die „Schwimmenden Städte von Serenissima“ fallen aus der Reihe. Sie sind ein temporäres Projekt amerikanischer Künstler. Eine Öko-Bewegung, die aus Abfällen der Zivilisationsgesellschaft wahnwitzige Flöße errichtet und mit diesen die Meere durchquert. Am Ziel werden die Gefährte zerstört, und die Bewohner ziehen von dannen. Zur Definition einer Mikronation gehört aber eine ständige Bevölkerung, Landbesitz und eine Regierung. So hat es die Konvention von Montevideo im Jahr 1933 festgelegt. Darauf berufen sich die meisten souveränen Ministaaten.

Die Landnahme erfolgte meist heimlich. Die „Föderation von Damanhur“ hob jahrelang in den italienischen Bergen ihre Tunnel aus, bis die Regierung davon Wind bekam und die kilometerlangen unterirdischen Tunnel-, mittlerweile Tempelanlagen, einreißen lassen wollte. Als „Kulturgut“ überlebte Damanhur. Poet zeigt eine Führung durch die Tempelanlage, ein neues Projekt, bei dem die Bewohner in einer Höhle leben. Ein Konzert findet statt: Menschen und Blumen musizieren. Eine Alternative zum „normalen Leben“? Wohl kaum!

„ZeGG“ (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung) annektierte nach der deutschen Wiedervereinigung ein ehemals historisches Gelände. In der Nazizeit trainierten hier Sportler für Olympia, in der DDR wurden so genannte „Romeos“ ausgebildet — Stasi-Agenten, die lernten, wie man sich an Frauen ranmacht, um sie zu instrumentalisieren. Das ZeGG wirkt wie ein Nachfahre der Osho-Bewegung aus den 80er Jahren. Freizügiger Sex als Therapie für gehemmte Menschen. In einer spirituellen Sauna-Sitzung wälzen sich nackte Leiber ästhetisch glänzend übereinander. Möchte man selbst hier dabei sein? Bestimmt nicht!

Wer kennt nicht den „Freistaat Christiania“? Aufgebaut von 68er Veteranen, angetreten für eine gerechtere Welt. Hier fanden auch Randexistenzen der Zivilisationsgesellschaft Unterschlupf. Hier durfte sein, wer sonst nirgendwo geduldet wurde. Aber mitten im Herzen Kopenhagens lauern Gefahren. Die Gegend ist zum Spekulationsobjekt geworden. Junge Bewohner protestieren — gewaltsam. Polizei-Hundertschaften rücken regelmäßig in Christiania ein. Im Innern zermürben sich die Generationen gegenseitig. Poets Bilder zeigen die brutale Gewalt des Staates. Die Aggression innerhalb des Freistaats erscheint nur in der Auslassung. Man hört die Drogendealer schreien, weg mit der Kamera. Ist das die Alternative? Nein!

Aber wie wäre es mit dem „Fürstentum von Sealand“? Mitten im rauen Meer vor England. Roy Bates besetzte die rostende Fliegerabwehrplattform in den 60er Jahren. Damals war er noch Radiopirat, heute gibt es hier einen riesigen Server für Webseiten, die anderswo längst verboten sind. Thronfolger und Bates´ Sohn, Prince James, sinniert, neben dem Fischfang, auf alternative Einnahmequellen für Sealand, zum Beispiel als Steuerparadies. Wollte man nicht eigentlich den Verwerfungen der realen Welt entfliehen?

Zum Beispiel in der „Provinz von Hutt River“ in Australien. Seit den 70er Jahren unabhängig. Die ehemaligen Bauern hatten schlichtweg den längeren Atem als die Behörden. Heute bringt der König seine familiäre Gefolgschaft mit Tourismus über die Runden. Ganze Busladungen ergießen sich über den Ministaat – und wie im wahren Leben müssen sie erstmal zur Passkontrolle. Visum, Einreisestempel vom Regent persönlich. Besucherinnen zeigt er gern sein Imperium, zum Beispiel anhand der Hutt-River-eigenen-Briefmarken mit Konterfeis der Familie. Der charmante Spinner wickelt noch jede Touristin um den kleinen Finger. Aber als Attraktion, als Affe im Käfig für Scharen von Schaulustigen — will man so leben? Gewiss nicht!

Schade. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, dass bei 470 verbliebenen Mikronationen wenigstens ein lebenswertes Modell zu finden sein müsste.

Allein für seine Filmidee gebührt Paul Poet großes Lob. Er erweitert den Horizont. Sich auf sechs Mikronationen zu konzentrieren, birgt aber Vor- und Nachteile. Vorteil ist eine gewisse Bandbreite, die Gefahr der Langeweile ist auf ein Minimum reduziert. Der Nachteil dieser Vorgehensweise besteht aber in einer tendenziellen Beliebigkeit. Poet macht kaum einen Hehl aus seiner Position. Das, was er über eine Gemeinschaft zeigt, ist seine Sicht. Für anderes bleibt keine Zeit. Dabei wünschte man sich, mehr über den tatsächlichen Alltag der Gemeinschaften mitzuerleben. Man wünschte sich, Poet würde tiefer in die Materie eintauchen, als sein Film den Anschein macht.

Filmisch gelingen ihm spektakuläre Bilder. Polizeistaat in Christiania. Ausufernde Gewalt. Ein Katastrophenfilm. Die wahnwitzigen Serenissima-Flöße, die in der Dämmerung durch die Wasserstraßen Venedigs gleiten. Bizarre Schönheit. Das scheppernde Rost-Ungetüm Sealand. Drohend und faszinierend zugleich. Auf der anderen Seite leider auch reportagenhafte Allerweltsbilder.

Insgesamt ist Empire Me — Der Staat bin ich! eine unterhaltsame und witzige Tour durch die bizarre Welt der Mikronationen, lediglich die teilweise etwas tendenziösen Zwischentexte des Regisseurs schränken das Vergnügen ein.
 

Empire Me - Der Staat bin ich! (2011)

Angesichts von Schuldenkrisen, spekulativen Rettungsfonds und drastischen Sparpaketen, wer denkt da nicht an Auswandern? Einfach weg. Doch wohin? Wo lebt es sich gerechter, gesünder und entspannter als vor Ort? Das fragte sich auch Regisseur und Künstler Paul Poet. Er machte sich auf die Suche und fand Menschen, die in ihrem eigenen Utopia leben. Mehr als 500 solcher Mikroorganismen soll es weltweit geben. Poet besuchte 30 Ministaaten. Sechs wählte er für seinen Film „Empire Me — Der Staat bin ich!“ aus.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

carl maria schulte · 07.09.2013

das waren ja nur einige häppchen eines anderen lebens.
wie wärs mit einem Spielfilm? Arbeitstitel: Ecotopia.
leben in gemeinschaft/community-living mit allen facetten. Als Doku-fiction, abenteuerfilm oder...
The Beach mit Leo di Caprio geht (nur ein wenig) in diese richtung.
Bin zu Kooperation bereit: creative producer, Co-Regie, Acting ...

Filmproduzenten... wenden sich an:

an-stiftung (at) t-online.de
www.ob-in-spe.de >Ecological Living...

> Wir können auch über weitere Filmproduktionen ins Gespräch kommen. Ihre/Deine und meine

Herzlich!

Jörg · 20.08.2012

Vom mehreren hundert Projekten diese sechs Projekte rauszusuchen ist schwach. bei dem Film geht es nur um Bilder und die sind nicht mal gut. Dafür wird sich auf Exoten gestürzt. Auf politisch/soziale Hintergründe für die Gründung von Lebensgemeinschaften oder Mikrostaaten wird nicht eingegangen. Selbst bei den gesellschaftlich interessaten Projekten, ZeGG und Christiania, wird nur auf scheinbar bildgefällige Themen eingegangen, Hintergründe und die Vielfalt der Ansätze fehlen völlige.
Schade, dass das spannende Thema so schlecht aufgearbeitet ist. Für einen Dokumentarfilm ist der Informationsgehalt jedenfalls sehr dünn.

Andrea Skodowski · 20.01.2012

Das Konzept des Films ist anerkennenswert, doch die subjektive Eintruebung zeugt von fehlendem Horizont. Moege der Sehende selber denken und fuehlen!

Ingo · 10.01.2012

Naja, ist denn der täglich wiederholte Konsumbrei der Normalwelt von "Kauf mehr!" eine Alternative? - Nein. Das Gesamtsystem knarzt und Ächzt an allen Ecken und Enden und sie sieht keinen Lichblick in den Ansätzen? Nach dann macht mal alle schön weiter wie bisher... Ich finde es hofnungsvoll, daß Menschen über anders leben nicht nur reden, sondern es tun.