Detlef - 60 Jahre schwul

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schwule Zeitgeschichte

Früher war alles irgendwie wilder – damals in den bewegten 1960er und 1970er Jahren in der westfälischen Provinz in Bielefeld. Damals ging Detlef Stoffel raus auf die Straße, gründete 1972 die „Initiativgruppe Homosexualität Bielefeld“ (kurz: IHB), diskutierte sehr offen und mutig in den Fußgängerzonen mit Passanten und wurde damit zu einem der führenden Aktivisten der bundesrepublikanischen Schwulenbewegung. Wohlgemerkt zu einer Zeit, als der „Schwulenparagraph §175“ noch in Kraft war. Später folgte die Eröffnung des (damals) ausschließlich von Schwulen betriebenen Bioladens „Löwenzahn“. Mittlerweile ist Detlef 60 geworden. Und, wie er selbst sagt: „Mit 60 ist man alt. Als Schwuler allemal“. An runden Lebensdaten wie diesen neigt man dazu zurückzublicken – und genau das tun stellvertretend für den Protagonisten und mit ihm die beiden Filmemacher Stefan Westerwelle und Jan Rothstein.
Dabei geht es ihnen nicht allein um ihren Hauptdarsteller und dessen Leben, obwohl bereits das ausreichen würde für eine eindringliche Dokumentation zu diesem Thema. Nein, sie weiten den Blick aus und vermitteln durch ihre Herangehensweise einen guten Eindruck der Geschichte der Schwulenbewegung in Deutschland, für die Detlef Stoffel exemplarisch, aber auch durchaus als Individuum erkennbar steht. Und das, was man da sieht, ist keinesfalls immer nett oder sympathisch: Gerade am Anfang, als Detlef gemeinsam mit seiner 91-jährigen Mutter gezeigt wird, für die er sorgt, fragt man sich schon das eine oder andere Mal, ob man diesen Mann, der viel jammert und klagt, der von seiner Mutter sagt, sie raube ihm seine Lebenskraft und -zeit, eigentlich mag. Andererseits macht aber gerade das den besonderen Reiz des Films aus: Detlef Stoffel ist ohne Frage ein interessanter Charakter, aber eben kein Heiliger, sondern ein Mensch mit Fehlern und Schwächen, ein Mensch wie du und ich. Zumindest auf der emotionalen Ebene.

Dass dieser Mann, der einem am Anfang so gewöhnlich vorkommt, dann doch etwas ganz Besonderes ist, das enthüllt der Film ganz langsam mittels Archivaufnahmen, die parallel zur Biographie Detlefs die Geschichte der Schwulenbewegung Revue passieren lassen. Wobei – absichtlich oder unabsichtlich – der Blick auf Detlefs Gegenwart außer dem lediglich angerissenen Konflikt mit seiner Mutter weitgehend unterbleibt. So erfährt man vieles von seiner Vergangenheit, aber kaum etwas über gegenwärtige Lieben und Pläne für die Zukunft – ist mit 60 vielleicht wirklich schon alles vorbei? Wagt der Film hier nicht den genauen Blick aus Respekt vor seinem Protagonisten? Oder liegt es in der Natur des Resümees, dass man naturgemäß den Blick weniger auf das Hier und Jetzt, sondern eher auf die Vergangenheit richtet?

Dies ist der wesentliche Schwachpunkt von Detlef — 60 Jahre schwul, der weniger durch seine ästhetischen Qualitäten als vielmehr durch die Verknüpfung von privater Lebensgeschichte und den großen gesellschaftlichen Themen interessant geraten ist. Zumindest für diejenigen, die sich sowieso für die Geschichte der Schwulenbewegung interessieren.

Detlef - 60 Jahre schwul

Früher war alles irgendwie wilder – damals in den bewegten 1960er und 1970er Jahren in der westfälischen Provinz in Bielefeld. Damals ging Detlef Stoffel raus auf die Straße, gründete 1972 die „Initiativgruppe Homosexualität Bielefeld“ (kurz: IHB), diskutierte sehr offen und mutig in den Fußgängerzonen mit Passanten und wurde damit zu einem der führenden Aktivisten der bundesrepublikanischen Schwulenbewegung. Wohlgemerkt zu einer Zeit, als der „Schwulenparagraph §175“ noch in Kraft war.
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