Get the Gringo

Eine Filmkritik von Holger Lodahl

Mel Gibson macht auf Tarantino

Bis in die 1990er schien es, als könnte nichts die Karriere von Mel Gibson stoppen. Der Australier landete Hit auf Hit. Die Mad-Max-Filme der 1980er sind für Science-Fiction- und Action-Fans wahrer Kult ebenso wie die Reihe der Lethal Weapon-Kracher. Gibson punktete auch mit Komödien wie (Ein Vogel auf dem Drahtseil) und mit anspruchsvolleren Rollen wie Hamlet (beide 1990) oder Der Mann ohne Gesicht (1993). Höhepunkt seines Schaffens waren seine Eigenproduktionen Braveheart (1995, ausgezeichnet mit fünf Oscars), Die Passion Christi (2004), und Apocalypto (2006).
Aber in den darauffolgenden Jahren machte Gibson weniger mit Kinoarbeit als mit seinem Privatleben negative Schlagzeilen. Erst begann er eine Affäre mit einer russischen Sängerin und trennte sich von seiner Frau und Mutter seiner sieben Kinder. Dann äußerte er sich homophob und antisemitisch, als er betrunken von einer Polizeistreife gestoppt wurde. Das Publikum nahm ihm das übel, seine Karriere kam zum Erliegen. Ganz aufgegeben hat Mel Gibson das Filmen nie – aber die Einspielergebnisse blieben weit hinter seinen alten Erfolgen zurück. Auftrag Rache (2010) konnte nicht überzeugen, und auch Der Biber (2011, von und mit Jodie Foster) floppte. Am 28. Februar 2013 soll nun Get the Gringo in die deutschen Kinos kommen. Mel Gibson hat sein Comeback selbst in die Hand genommen: Er spielt die Hauptrolle, schrieb am Drehbuch mit und steht als Produzent auf dem Plakat. Die Mühe könnte sich für den inzwischen 57-Jährigen gelohnt haben. Get the Gringo hat eine originelle Geschichte, gute Darsteller, und einen Schauplatz, den es im Kino wohl noch nicht gab.

Driver (Mel Gibson) ist mit drei Millionen US-Dollar auf der Flucht vor der Polizei. Nur mit einem actionreichen Manöver kann er sich vor der Verhaftung in den USA retten: Driver durchbricht mit seinem Auto den Grenzzaun nach Mexiko. Dort stecken ihn die korrupten Polizisten in einen Knast besonderer Art: eine Kleinstadt, abgeriegelt von der Außenwelt, bewohnt von Verbrechern, Prostituierten und Drogenhändlern und deren Familien. Der Umgang ist rau, und selbst Schlitzohr Driver hat Probleme, sich dem Milieu anzupassen. Hilfe bekommt er von einem zehnjährigen Jungen, der mit seiner Mutter in der Gefängnisstadt wohnt. Zwischen dem frechen Knaben und dem alten Gringo entsteht eine brüchige Vater-Sohn-Beziehung. Der Junge klärt den Alten über die Regeln im Knast auf und kennt die großen Bosse. Als Gegenleistung beschützt Driver Mutter und Sohn vor dem üblen Pack der Nachbarschaft. Der Junge ist nicht irgendein Kind. Schwerverbrecher Javi ist scharf auf die Leber des Kleinen, weil er der einzige ist, mit dem seine Blutgruppe übereinstimmt. Javi plant eine Transplantation, bei der das Leben des Jungen nur eine Nebenrolle spielt. Um dem Knaben und seiner Mutter zu helfen, muss Driver einen Weg aus dem Knast finden und seine Millionen auftreiben. Nur mit viel Raffinesse und bewaffnet mit jeder Menge Knarren und Handgranaten kann ihm das gelingen.

Dutzende Leichen im Viertelstundentakt? Ein hanebüchen erscheinendes Drehbuch? Pointierte Dialoge? Viel schwarzer Humor? Ein schmutziger Schauplatz im Nirgendwo von Mexiko? Mel Gibson bedient sich für Get the Gringo an Filmen von Robert Rodriguez und Quentin Tarantino. Aber nach der Devise „Lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht“ funktioniert Get the Gringo gut. Mel Gibson hat sich den grauen Rauschebart, mit dem er in den Jahren seiner private Skandale oft gesehen wurde und der ihn um gefühlte hundert Jahre altern lassen hat, abrasiert. Und so blitzt in seinen blauen Augen endlich wieder der jungenhafte Charme auf, mit dem der Australier in Was Frauen wollen (2000) und Maverick (1994) so sympathisch wirkte. Hinzu kommt, dass das Szenen-Timing auf die Sekunde genau passt, die Musik ebenso schmuddelig-schön ist wie in Tarantinos Django Unchained, und auch Mel Gibsons Darstellerensemble überzeugt. Als frühreifer, rauchender und Rache schwörender Bengel kann Kevin Hernandez neben der Hollywood-Größe bestehen, und Dolores Heredia stellt die Mutter willensstark und kämpferisch dar. Und Daniel Giménez Cacho spielt den leberkranken Javi als einen der schmierigsten Gangster, die je über die Leinwand flimmerten.

Es scheint, mit Get the Gringo hat Mel Gibson seinem Comeback einen großen Schub verpasst. Aber der Film steht dennoch unter einem schlechten Stern. Schon vor zwei Jahren gedreht, wanderte er erst einmal in die Schublade, wohl, um abzuwarten, bis die Öffentlichkeit die Eskapaden des Schauspielers vergessen hat. Einen großen Filmstart bekam Get the Gringo in den USA nicht. Stattdessen wurde er via „Video on Demand“ vermarktet. Aber in Deutschland könnte der Film Punkte auf Gibsons Konto gut machen. Im Kielwasser von Django Unchained ist Get the Gringo immerhin ein Achtungserfolg für Mel Gibson zuzutrauen.

Get the Gringo

Bis in die 1990er schien es, als könnte nichts die Karriere von Mel Gibson stoppen. Der Australier landete Hit auf Hit. Die „Mad-Max“-Filme der 1980er sind für Science-Fiction- und Action-Fans wahrer Kult ebenso wie die Reihe der „Lethal Weapon“-Kracher.
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