Like Someone in Love (2012)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schleppen durch statische Bilder

Es sei gar nicht so simpel, simpel zu sein, sinnierte William Shimell im letzten Film von Abbas Kiarostami voller Glück über die eigene Erhabenheit. Und formulierte damit auch gleich den Widerspruch einer Romanze, die sich lockerleicht und betonschwer zugleich in ihrem Diskurs um Sein und Schein vergnügte. Die Liebesfälscher hieß der erste Film, den Regieveteran Abbas Kiarostami außerhalb seiner iranischen Heimat gedreht hat, Like Someone in Love heißt nun sein zweiter. Erneut geht es darin um eine Begegnung zwischen Mann und Frau, die abermals in ein weitgehend unklares Bezugsverhältnis zueinander gesetzt sind. Und erneut ist dies ein Film, der die Offenheit seiner Bilder ausstellt, um im Minimalismus von Erzählung und Inszenierung Bedeutsames zu streuen. Weil es eben gar nicht so einfach ist, einfach zu sein.

Beide Arbeiten bilden ebenso ein filmisches Doppel aus dem selbst gewählten Exil wie sie den künstlerischen Aufbruch ihres Regisseurs beschreiben – wenn auch leider in Richtung eines recht kulturtouristischen Spätwerks, dessen Orientierung nach neuen Drehorten und Sprachen, neuen Perspektiven und Menschen weniger wissbegierig als vielmehr ziellos wirkt. Dass Abbas Kiarostami dem im Vorgänger wohlgestalteten Flanieren durch eine postkartengerechte Toskana nun automobile Bewegungen durchs urbane Tokio gegenüberstellt, ist jedenfalls noch kein Argument für die geographische Verortung seines Films. Und die mehr oder weniger konkreten Verweise auf das Kino von Yasujirō Ozo bestätigen eher eine fremdelnde, sich filmhistorisch zu behelfen suchende Annäherung.

Like Someone in Love beginnt mit Kiarostami-typisch langen Einstellungen. Sie zeigen einmal mehr lediglich die Reaktion einer bestimmen Figur auf (hörbare) Ereignisse, die als eigentliches Geschehen des Bildes verwiesen wurden. Akiko (Rin Takanashi) ist eine Soziologiestudentin, die sich ihre Ausbildung mit einem Nebenjob als Sexarbeiterin finanziert. Dass sie dies ihrem Verlobten Noriaki (Ryô Kase) aus gutem Grund verheimlicht, demonstriert bereits die Eingangsszene in einem Café. Dort wird Akiko ermahnt, zu einem vereinbarten Treffen mit einem Kunden zu fahren, während der ahnungslose Noriaki am Telefon vor Eifersucht tobt. Sie solle auf die Toilette gehen und deren Fliesen zählen, verlangt er von Akiko, damit er später dort auftauchen und sich überzeugen könne, dass sie auch tatsächlich die Wahrheit sprach. Ein blendendes Liebesverhältnis also, von großem Vertrauen bestimmt.

Akiko aber hat andere Sorgen. Sie muss ihre angereiste Großmutter versetzen und sich einigermaßen widerwillig zu Takashi (Tadashi Okuno) eskortieren lassen. Der Professor im Ruhestand scheint am bestellten Sex indes gar nicht interessiert, viel lieber möchte er mit Akiko reden, essen, Zeit verbringen. Am nächsten Tag fährt er sie zur Universität und begegnet dort Noriaki, dem er sich indirekt als Akikos Großvater vorstellt. Was zunächst wie eine Lüge anmuten mag, kann als solche vom Publikum nicht eindeutig bestimmt werden. In welchem Verhältnis der alte Mann nämlich tatsächlich zum Callgirl steht, bleibt während des Films genauso unausgesprochen wie Akikos eigentliche Rolle in diesen zwei empfindlichen, seltsamen Beziehungen. Ein mühsames Schleppen durch statische Bilder beginnt, mitsamt aller Pflichtschuldigkeiten des Slow Cinema: Möglichst spärlich gesäte Informationen und interpretationsfrohe Uneindeutigkeit für eine maximale Zurschaustellung quälenden Seins.

Entschieden ist der Film einzig darin, seine Protagonistin Akiko als ein doppelt und dreifach im Patriarchat gefangenes, unter männlicher Abhängigkeit angeordnetes Versuchsobjekt zu inszenieren. Ziemlich enervierend gestaltet Like Someone in Love sie zu einer entsprechend passiv-aggressiven Duckmäuserfigur, die sich ob all des Unheils um sie herum schlussendlich nur noch hinter einem Kopfkissen verstecken mag! Nicht hirnsportliche Mitteilungsfreude wie in Die Liebesfälscher bestimmt hier dann jede Verständigung, sondern aufs Notwendigste abgestimmte Duldsamkeit. Und zum zweiten Mal in Folge offenbart sich der frühere Lyrismus von Abbas Kiarostami als schale Kommunikationstheorie, die in fremden Welten nur noch uninteressante Künstlichkeit produziert.

(Rajko Burchardt)
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Alter Mann trifft junges Mädchen in Japan — na, klingelt da was? Richtig, mit dieser schlichten Logline eroberte Sofia Coppolas Lost in Translation nicht nur die Zuschauerherzen, sondern auch die kritischen Geister der Academy (falls Sie hier irgendwo ironische Anführungszeichen vermissen — bitte sehr, hier sind sie, bedienen Sie sich: „“, „“, „“). Im Fall von Abbas Kiarostamis Like Someone in Love aber zündet die schlichte Story-Idee und deren noch schlichtere Ausführung leider ganz und gar nicht — weswegen der Beifall für diesen Film sich bei der Pressevorführung in Cannes in ähnlich übersichtlichem Rahmen hielt wie die dürftige Storyline.

Und die geht so: Akiko (Rin Takanashi) ist eine eher lustlose Studentin der Soziologie an der Universität von Tokio und arbeitet (auch das geschieht natürlich lustlos, wie es für diesen Film kennzeichnend ist) als Escort für vermögende ältere Herren. In dieser „Funktion“ begegnet sie dem freundlichen älteren Takashi Watanabe (Tadashi Okuno), einem Schriftsteller und Übersetzer. Nach einer gemeinsamen Nacht fährt Takanashi die junge Frau zurück an die Uni, doch dort wartet bereits Akikos notorisch eifersüchtiger Freund Noriaki (Ryo Kase).

Abbas Kiarostami lässt seinen Film in einer Bar beginnen — und baut bereits wie in Die Liebesfälscher einen doppelten Boden ein. Denn der Bildausschnitt, den er wählt, zeigt nicht das junge Mädchen, das da spricht, vielmehr sehen wir nur die Reaktionen von deren Freundin auf die Ausflüchte und kleinen Lügen, die Akiko gegenüber ihrem Freund wählt. Was dann aber folgt, reicht — abgesehen von einigen guten Dialogen und clever gebauten Sequenzen — in keiner Weise an Die Liebesfälscher heran. Niemals fügt sich der Film, für den Kiarostami vorzugsweise der schlichten Schuss-/Gegenschuss-Dramaturgie frönt, zu einer stimmigen Geschichte zusammen, die einen Sog erzeugt, für deren Figuren man sich auch nur annähernd interessieren könnte. Fast scheint es so, als wisse der Regisseur selbst nicht, welche Geschichte er eigentlich erzählen will und verlasse sich allzu sehr auf seine technischen Fähigkeiten, aus denen heraus sich der Zuschauer schon einen stimmigen Plot basteln werde. Mit dieser hingeschluderten Skizzenhaftigkeit können nur die wenigsten etwas anfangen.

Manchen Regisseuren tut zuviel Lob offensichtlich nicht gut. War Abbas Kiarostamis letzter Film Die Liebesfälscher noch einer der (und meiner) Höhepunkte des eigentlich ganz ordentlichen Cannes-Jahrgangs 2010, markiert Kiarostamis neues Werk Like Someone in Love einen ersten echten Tiefpunkt des diesjährigen Wettbewerbs von Cannes — vom Genre-Langweiler Lawless mal abgesehen.

Andeutungen und Auslassungen, die Ambivalenzen von Gezeigtem und Verweigertem, sind ja durchaus bei vielen Filmen das Salz in der Suppe — und gerade Die Liebesfälscher spielte virtuos mit dem, was man zwischen den Zeilen, neben den Bildern und im nicht sicht- und hörbaren Raum entdecken kann. Im Falle von Like Someone in Love aber drängt sich der nicht unerhebliche Verdacht auf, dass der nicht gezeigte, der andere, der ungeschriebene und nicht realisierte Film womöglich der wesentlich interessantere gewesen wäre. Weil das, was uns Kiarostami hier auf der Leinwand präsentiert, genau dies eben nicht ist: Es ist weder interessant, noch subtil noch in irgendeiner Weise relevant oder gar unterhaltsam — wenn man von gelegentlichen Dialogpreziosen einmal absieht.

(Festivalkritik Cannes 2012 von Joachim Kurz)

Like Someone in Love (2012)

Es sei gar nicht so simpel, simpel zu sein, sinnierte William Shimell im letzten Film von Abbas Kiarostami voller Glück über die eigene Erhabenheit. Und formulierte damit auch gleich den Widerspruch einer Romanze, die sich lockerleicht und betonschwer zugleich in ihrem Diskurs um Sein und Schein vergnügte.

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