Venezianische Freundschaft

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Vor allem: Poetisch

Nach einer Reihe von dokumentarischen Venedig-Filmen kommt wieder einmal ein Spielfilm in die (nun auch deutschen) Kinos, der die Lagune als Handlungsort hat: Venezianische Freundschaft von Andrea Segre. Allerdings spielt die Geschichte — entgegen des deutschen Filmtitels — nicht in Venedig selbst, sondern vor allem in Chioggia, einem kleinen Fischerort quasi auf der anderen Seite der Lagune. Fragt man nach der Bedeutung des Handlungsortes für die Geschichte in Venezianische Freundschaft, so nimmt Chioggia jedoch den Platz von Venedig ein, den die Lagunenstadt innerhalb der Literatur- und Filmgeschichte hat: Er ist ein Übergangsraum, in dem Unmögliches passieren kann, weist aber auch auf die Vergänglichkeit allen Lebens hin.
Die kleine Stadt Chioggia im Süden der Provinz Venetien wird für die junge Chinesin Shun Li (Tao Zhao) zum Tor nach Europa. Hierhin wird sie von ihren Vorgesetzten in China geschickt, weil sie fleißig ist und hart arbeitet. Sie soll in einer Bar arbeiten. Dadurch wird sie eines Tages ihre Schulden abbezahlt haben und ihren noch kleinen Sohn zu sich holen können. Ihren Sohn bei sich zu haben — das ist der Antrieb für Shun Li, ihre große Sehnsucht. Hierfür arbeitet sie länger als alle anderen, und wenn sie — noch in der chinesischen Textilfabrik — 30 Shirts nähen sollte, dann nähte sie noch zehn mehr: „Jene zehn sind für dich“, schreibt sie in einem Brief an ihren Sohn.

Nun aber muss Shun Li eine andere Stelle antreten und noch sehr viel weiter weg von ihrer Familie: nach Italien, in die besagte Hafenstadt. Sie kann kein Italienisch, ist aber willig und bemüht, die fremde Sprache ebenso zu lernen wie die seltsamen Mixgetränke, die ihre Kunden in der Bar bestellen: Espresso mit Pflaumenschnaps oder Rotwein mit Limonade. Sie wird misstrauisch von den Gästen beäugt und verlacht, weil sie ihre Aufgabe ernst nimmt. Nur ein alter Fischer, Bepi (Rade Serbedzija), interessiert sich nach und nach für die Ausländerin — er ist schließlich selbst vor 30 Jahren nach Italien gekommen und weiß, wie es ist, fremd zu sein.

Shun Li und Bepi freunden sich an: Shun Li zeigt Bepi Fotos aus ihrer Heimat und erklärt ihm, wie in China gefischt wird, dass zu Ehren des Dichters Qu Yuan schwimmende Kerzen angezündet und aufs Wasser gesetzt werden. Bepi, selbst ein poetischer Mensch, dichtet ein Gedicht für Shun Li, lässt sie sein Telefon für ein Gespräch nach China benutzen und nimmt sie mit auf sein Boot, um ihr seine Fischerhütte auf Pfählen in der Lagune zu zeigen. Shun Li ist überrascht von der Freundlichkeit, die Bepi ihr entgegenbringt, sie fühlt sich sichtlich wohl, und als sie ihre Augen schließt und das warme Licht der Abendsonne über der Lagune genießt, merkt man, wie gut es ihr in diesem Moment geht.

Doch Bepis Kameraden beobachten die Freundschaft mit Argwohn und fangen an, schlecht über die beiden zu sprechen. Als Shun Lis Chef dies erfährt, droht er der Angestellten, noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen mit dem Abbezahlen ihrer Schulden, sollte sie ihre Freundschaft zum Italiener nicht umgehend beenden. Als es wegen Shun Li zu einer Schlägerei kommt, muss Shun Li gehen. Erneut fängt sie in einer anderen Stadt mit einer anderen Arbeit an.

Venezianische Freundschaft ist ein wunderbarer Film über Freundschaft und Familie sowie über das Fremdsein, das Entdecken fremder Orte, Menschen und Gewohnheiten. Mehr aber noch ist es ein großartiger Film über die Lagune, das Meer und das Leben dort: Darüber, wie gelassen die Menschen bei Acqua Alta ihrem Alltag nachgehen und wie sie zuweilen ein Leben führen, das eigentlich überholt ist, aber das sie einfach lieben. Er ist ein Film über einen Übergangsraum, der das Alte noch ein bisschen länger bewahrt. Für Shun Li hat dieser Raum des Übergangs aber auch eine ganz andere Bedeutung: Er ist ihr Eintritt in eine für sie völlig neue und fremde Welt. Sie entdeckt in der Lagune viel von dem, was sie von zu Hause kennt, und zusammen mit Bepi gelingt ihr ein Start in Europa, der ein wenig menschlicher ist als das, was chinesische Einwanderer wohl sonst erleben. Befindet man sich in einem Übergang, heißt dies aber auch, dass ein Zustand nur von begrenzter Dauer, transitorisch ist. Und so sehr Shun Li die Freundschaft zu Bepi genießt, so schmerzhaft ist die Feststellung, dass diese Freundschaft nicht von Dauer sein kann — und damit erhält der Titel Venezianische Freundschaft eine ganz andere, bedeutungsträchtige Dimension.

Der Film ist vor allem eins: poetisch. Und zwar nicht nur dann, wenn er von Dichtern spricht oder Shun Lis Briefe an ihre Familie in ihrer Heimat rezitiert. Venezianische Freundschaft verfügt über eine visuelle Poetik, welche gerade die feinen Worte der chinesischen Einwanderin unterstreicht, die das Erlebte und Beobachtete für die Daheimgebliebenen in feinsinnige Worte fasst. In diesen Szenen herrscht eine Harmonie, ein Gleichklang zwischen Worten und Bildern, den man im Kino selten auf diese Art und Weise erleben kann.

Venezianische Freundschaft

Nach einer Reihe von dokumentarischen Venedig-Filmen kommt wieder einmal ein Spielfilm in die (nun auch deutschen) Kinos, der die Lagune als Handlungsort hat: „Venezianische Freundschaft“ von Andrea Segre. Allerdings spielt die Geschichte — entgegen des deutschen Filmtitels — nicht in Venedig selbst, sondern vor allem in Chioggia, einem kleinen Fischerort quasi auf der anderen Seite der Lagune.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen