Bella addormentata

Eine Filmkritik von Festivalkritik 2012 von Beatrice Behn

Der Schlaf der Gerechten

Noch bevor Marco Bellocchios Bella Addormentata in Venedig uraufgeführt wurde, gab es bereits Ärger. Vor dem Kino versammelten sich ein paar katholische Gruppen und protestierten gegen Marco Bellocchios neues Werk, welches ihrer Meinung nach eine „Schande“ sei und sich gegen die christlichen Grundsätze wende. Die gleiche Kontroverse, nur in einer vielfach schärferen Form, erschütterte vor ein paar Jahren die italienische Gesellschaft, als der Fall von Eluana Englaro öffentlich diskutiert wurde. Der Vater und der Arzt der jungen Frau hatten beschlossen, die Patientin, die seit 17 Jahren in einem vegetativen Koma lag, von ihrem elenden Dasein zu befreien. Da sie selbstständig atmen konnte, lief das Ende der Behandlung darauf hinaus, dass Eluana verhungerte.
Dieser fest im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerte Fall bildet auch den Kern von Bella Addormentata. Der Film spielt zur Zeit der gesellschaftlichen Debatte um das Schicksal der jungen Frau und vereint mehrere fiktive Schicksale, die helfen sollen, das komplexe Thema auch vielschichtig zu besprechen. Da sind einerseits der Senator (Toni Servillo), der im Parlament über einen Gesetzesentwurf abstimmen soll, der ermöglichen könnte, dass es Menschen wie Eluana erlaubt wird zu sterben. Doch er ist Republikaner, seine Partei ist hochgradig religiös geprägt und erwartet von ihm unbedingte Parteidisziplin. Seine Tochter (Alba Rohrwacher) ist gegen das Gesetz, lernt aber bei einer Mahnwache einen jungen Mann von der Gegenseite kennen und lieben. Ein weiterer Erzählstrang berichtet von einer berühmten Schauspielerin (Isabelle Huppert), deren Tochter im Wachkoma liegt. Ihre Arbeit hat sie aufgegeben, ihren Mann und Sohn ebenfalls. Sie versucht durch ständiges Beten und eine besonders christliche Lebensweise (wie eine Heilige, sagt sie einmal selbst) ihre Tochter wieder zum Aufwachen zu bringen. Ein Wunder soll geschehen – und dafür stoppt sie ihr Leben und das aller anderen. Und zuletzt ist da noch ein junger Doktor, der einer suizidalen Patienten zur Seite steht, die nicht mehr aufwachen will, nachdem sie sich die Pulsadern aufgeschlitzt hat.

Bellocchios Film versucht die vielen Seiten und Facetten dieses äußerst schwierigen Themas zu beleuchten. Doch obwohl er den Zuschauer davon überzeugen will, dass sein Film ein eher objektiver ist, der nicht verurteilt und eine unparteiische Haltung vertritt, tut er es doch. Obwohl man deutlich spürt, welche Meinung Bellocchio vertritt, macht der Regisseur seinen eigenen Standpunkt nicht transparent, sondern versucht diesen vielmehr durch die Hintertür in den Kinosaal zu schmuggeln.

Leider kränkelt der Film auch noch an einer weiteren Stelle – und die fällt beinahe noch mehr ins Gewicht: Bellocchio ist so sehr mit der politischen und der gesellschaftlichen Facette der Thematik befasst, dass er die emotionale, menschliche Komponente zusehends vernachlässigt und seine Protagonisten zu oberflächlichen und schablonenhaften Doubletten für die einzelnen Standpunkte und Schicksale geraten, für die man irgendwann gar kein Gefühl mehr hat. So bleibt der Zuschauer letztendlich — wie der Film selbst — zu sehr in rationalen Argumenten und weniger in den Emotionen verhaftet und vermag nicht in die Tiefe zu gehen und sich vollständig auf dieses Thema einzulassen. Das ist nicht nur schade, sondern vor allem auch eine vertane Chance, mit filmischen Mitteln eine Debatte über den Wert des Lebens zu führen – eine Diskussion, die unsere moderne Gesellschaft dringend nötig hätte.

(Festivalkritik 2012 von Beatrice Behn)

Bella addormentata

Noch bevor Marco Bellocchios „Bella Addormentata“ in Venedig uraufgeführt wurde, gab es bereits Ärger. Vor dem Kino versammelten sich ein paar katholische Gruppen und protestierten gegen Marco Bellocchios neues Werk, welches ihrer Meinung nach eine „Schande“ sei und sich gegen die christlichen Grundsätze wende. Die gleiche Kontroverse, nur in einer vielfach schärferen Form, erschütterte vor ein paar Jahren die italienische Gesellschaft, als der Fall von Eluana Englaro öffentlich diskutiert wurde.
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