Messner

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Bergsteigen und Anarchie

Reinhold Messner? Ach nicht schon wieder, werden sich viele denken, ist der Südtiroler Extrem-Bergsteiger medial doch über die letzten Jahre sehr präsent gewesen. Seine Biographie und seine Expeditionen waren und sind Teil vieler verschiedener Formate, seien es Bücher, die Messner selbst zuhauf verfasst oder Filme, wie zuletzt 2010 Joseph Vilsmaiers Nanga Parbat, der sich mit dem bis heute nicht restlos ausgeleuchteten Tod seines Bruders Günther bei einer Expedition im Jahre 1970 beschäftigt. Jetzt kommt ein weiterer biographischer Versuch in die Kinos, mit dem schlichten, etwas ins Übergroße tendierenden Titel Messner. Es ist die zweite Zusammenarbeit von Regisseur Andreas Nickel mit Reinhold Messner, nachdem der 2002 in dessen TV-dokumentarischem Erstling Zum dritten Pol als eine Art moderierender Expeditionsleiter durch den Film führte.
Messner beginnt beeindruckend: auf einem schneebedeckten Berggipfel der Tiroler Alpen stapft ein klitzekleiner Mensch in Richtung Gipfel. Als winziges Wesen ist er umgeben von riesiger Natur. Die Marschrichtung des Films ist damit vorgegeben: es geht um das Verhältnis des Menschen zur Natur, auch zur eigenen. Bezogen auf Messner: Was treibt ihn an? Was sind innerliche wie äußerliche Hindernisse, die er überwinden muss? Wie funktioniert der Charakter Reinhold Messner? Diesen grundlegenden Fragen standesgemäß ist der Film eingerahmt von Zitaten aus Albert Camus‘ Mythos des Sisyphos. Ein Ziel von Regisseur Nickel ist die Überhöhung eines Individuums zum Exempel, die Beleuchtung eines Innenlebens, das vom Film als archaisch, fast schon mythologisch eingestuft wird.

Nickel versucht das alles zu leisten mit einer Mischung aus Archivmaterial, dokumentarischen und szenischen Elementen: Neben Reinhold Messners persönlichem Archiv mit Tausenden von Fotos, die von seiner Kindheit über sämtliche seiner Expeditionen reichen, sind private Filmdokumente eingewoben, die bislang noch nie zu sehen waren. Was negativ auffällt sind die szenischen Nachstellungen, die teilweise zu theatralisiert daher kommen. Als zum Beispiel der tragische Tod seines Bruders Günther thematisiert wird, sieht man Hubschrauberaufnahmen einer riesigen Schnee- und Eislandschaft, während die Stimme Reinholds zu hören ist, wie er von seinem damaligen Erleben des plötzlichen Verschwindens seines Bruders erzählt. Bilder und Worte bauen hier eine eindringliche Spannung auf, die unmittelbare Bestürzung auslöst. Dieser Montage folgt eine nachgestellte Szene mit einem Close-up des verzweifelten Gesichtes des jungen Reinholds, der in die Schneewehen hinein nach seinem verlorenen Bruder schreit. All die bedrückende Aussichtslosigkeit, die aufgebaut wurde, wird noch zusätzlich abgebildet, um sicherheitshalber eine intendierte Wirkung zu verstärken. Leider wird die emotionale Wucht dadurch nicht gesteigert, sondern deutlich vermindert.

Formal ist Messner in Kapitel unterteilt, philosophisch betitelt mit Moral, Verantwortung oder Erkenntnis. Leider wird diese Struktur im Verlauf des Films aufgegeben zugunsten einer chronologischen Nennung der Gipfel, die Messner bestiegen hat. Man lernt ihn als aufmüpfigen Aufwachsenden kennen, der der konservativ-spießigen Enge des Bergdorfs, in dem er aufwächst, mit allen Mitteln entfliehen will. Das heißt: Raus in die Freiheit der Berge, auf die Gipfel, in die Unabhängigkeit, in das Alleinsein. Ein Merkmal des Bergsteigers Messner war und ist nämlich, dass er seine Vorhaben am liebsten alleine angeht. Dieser Punkt wird zum zentralen Thema, wenn es um den schicksalsschweren Tod seines Bruders geht, bei dem dieser (laut Reinholds Schilderung im Film) ohne Absprache Reinhold auf dem letzten Aufstieg hinterher kletterte, obwohl er von seiner konditionellen Verfassung her nicht auf dessen Niveau war. Selbst dieser persönlich wie emotional schwere Rückschlag hielt ihn auch weiterhin nicht ab, immer wieder neue Gipfel zu besteigen. Dann erst recht alleine. Messner sagt im Film etwas esoterisch, die Energie seines Bruders wäre nach dessen Tod auf ihn übergegangen, womit er jetzt die doppelte zur Verfügung habe. Trotzdem bleibt die Frage, wieso er sich immer wieder in derartige Risikozonen begibt. Ein anderer Bruder, seinerseits promovierter Psychologe, sagt an einer Stelle schelmisch, dass man solch ein Verhalten in seinen Berufskreisen mit „Wiederholungszwang“ beschreibt. Was versucht sich Messner stets aufs Neue wieder zu holen? Die oft vernommene Antwort darauf ist, dass sich eine Sucht einstellt nach dem Gefühl, das man in diesen Momenten erlebt. Doch Messner versucht eine andere Antwort anzudeuten.

An diesem Punkt kommen wir zum Mythologischen zurück, zu einem im Film verwendeten Zitat aus dem Sisyphos, in dem er versucht die von ihm attestierte „verborgene Freude des Sisyphos“ so zu begründen: „Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ Und zwar alleine seine Sache, ließe sich verdeutlichen. Denn: Die Tätigkeit ist dann völlig unter eigener Kontrolle und Verantwortung. Deswegen klettert Messner alleine, es geht um das Streben nach maximaler Unabhängigkeit, im Zweifel bis hin zum Tod. Die Freiheit nur für sich selbst zu entscheiden, den Luxus keine Rücksicht nehmen zu müssen, das Überwinden jeglicher Moral: unter diesem Gesichtspunkt kann das Ideal, dem Messner folgt, als anarchistisch beschrieben werden. Mehr noch: Er begibt sich als Bergsteiger in einen Raum, der von Naturgesetzen dominiert wird – jegliche kulturell gemachten Regeln und Gesetze spielen dort keine Rolle mehr. Dieser kulturlose Bereich im Hochgebirge fasziniert aufgrund einer immensen Archaik, die er ausstrahlt und die auch die Bergaufnahmen des Films ausstrahlen. Der Extrembergsteiger Messner steht also der Natur gleichwertig auf Augenhöhe gegenüber, er ist gleich viel wert wie ein Baum oder Stein – das ist ebenfalls eine anarchistische Konstellation. Das Dasein ist in solchen Momenten reduziert auf Attribute der instinktiven Natur, wie Bewegung oder Überleben, man liefert sich nahezu ohne Schutz aus und trägt dabei außer für sich selbst keinerlei weitere Verantwortung.

Beim Begriff „Anarchie“ fällt auf, dass Messner ihn selbst häufig verwendet, wenn er übers Bergsteigen und seinen persönlichen Unabhängigkeitsdrang redet. Messner ist ein Mensch, der die Medien für sich zu nutzen weiß. Das ist auch der subtile Eindruck, der beim Anschauen von Messner entsteht: dass da eine subtile Selbstdarstellung inszeniert wird. Soweit wäre das kein Problem, nur für ein Psychogramm, das der Film versucht zu zeichnen, fehlt es etwas an persönlicher Widersprüchlichkeit. Nickel liefert ein biographisches Arrangement, das eine intensive Nähe zur Person Reinhold Messner vorgibt, die sich beim Zuschauen nicht wirklich einstellt. Immer wieder sieht man Messner in der klassischen Interviewsituation, immer wieder draußen in den Bergen an ähnlichen Orten. Schloss Juval, sein beeindruckendes Zuhause in den Südtiroler Bergen, wird lediglich einmal kurz mit Hubschrauberaufnahmen gezeigt. Der Regisseur hat Messner auch nicht eine längere Zeit begleitet (wie zuletzt zum Beispiel Alison Klayman in Ai Weiwei: Never Sorry), sonst eine durchaus übliche Praxis bei Biopics, die einen persönlicheren Eindruck des porträtierten Menschen unterstützt. Natürlich: Man bekommt ein (oben angedeutetes) Bild von Messner geliefert, trotzdem bleibt aber ein seltsam distanzierter Beigeschmack.

Ungeachtet allem Gesagten bleiben die gewaltigen Bergaufnahmen aus den Dolomiten Südtirols und den Achttausendern des Himalayas herrlich beeindruckend. Ohne Zweifel ist auch Messners Leistung als Bergsteiger äußerst imposant. Eine stellenweise sehr pompöse akustische und szenische Inszenierung wäre daher nicht notwendig gewesen. Das beschriebene Geschehen an sich strahlt bereits genug existenzialistischen Glanz ab. Ein Film, der nicht ganz schafft, was er versucht, der aber nichtsdestotrotz sehenswert ist.

Messner

Reinhold Messner? Ach nicht schon wieder, werden sich viele denken, ist der Südtiroler Extrem-Bergsteiger medial doch über die letzten Jahre sehr präsent gewesen. Seine Biographie und seine Expeditionen waren und sind Teil vieler verschiedener Formate, seien es Bücher, die Messner selbst zuhauf verfasst oder Filme, wie zuletzt 2010 Joseph Vilsmaiers „Nanga Parbat“, der sich mit dem bis heute nicht restlos ausgeleuchteten Tod seines Bruders Günther bei einer Expedition im Jahr 1970 beschäftigt.
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Meinungen

Peter Taschler · 01.11.2012

Genialer Film, super gemacht, vor allem die Szenen mit seinem Bruder, dem Psychologen. So persönlich hab ich noch nichts ueber Messner gesehn. Mutig, dass im Dialekt gesprochen wurde. Das war viel authentischer als das komische Kunstdeutsch in Nanga Parbat. Wunderbar auch die Szenen mit den alten Haudegen Horst Fankhauser u Wolfi Nairz.