Pieta (2012)

Eine Filmkritik von Silvia Bahl

Kraftvolle Rückkehr eines Gestrauchelten

Bereits im Jahr 2000 hatte der südkoreanische Autorenfilmer Kim Ki-duk das Publikum mit recht drastischen Gewaltdarstellungen in seinem Werk Die Insel überfordert – auch Pieta schickt die Zuschauer, ganz im Sinne eines christlichen Martyriums, auf einen stellenweise grausamen, jedoch auch faszinierenden Weg der Läuterung. Seinem eigenwilligen Drama um Sühne, Mitleid und Mutterliebe den Golden Löwen zu verleihen, ist eine durchaus gerechtfertigte Entscheidung.

Die Hässlichkeit, die Ki-duk in der ersten halben Stunde auf die Leinwand schleudert, zeichnet zunächst ein mehr als abschreckendes Charakter- und Gesellschaftsporträt. Protagonist Kang-do (Lee Jung-jin), dessen Name im Koreanischen passenderweise für „Räuber“ steht, masturbiert noch im Halbschlaf in seiner schäbigen, bedrückend engen Wohnung, irgendwo in Seoul. Dass er sich nicht mal die Mühe macht seine Hände abzuwischen, zeugt bereits von einer verwahrlosten Animalität, die auch den weiteren Verlauf seines Handelns bestimmen wird. Mit einer betont lässigen Attitüde, irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und aufflackernder Grausamkeit, zieht er sein bevorzugtes Arbeitsutensil aus dem gemalten Konterfei einer Frau: ein scharfes Messer mit dem er sich anschickt, diejenigen in die Ecke zu treiben, welche ihren Zahlungen nicht nachkommen.

Auf einer tieferen Ebene will Kim Ki-duk seinen Film vor allem als Kapitalismuskritik verstanden wissen, als Mahnmal für die Folgen rücksichtsloser Gier und Ausbeutung. Kang-do arbeitet für einen Kredithai, der deklassierten Arbeitern Geld leiht, von dem diese bereits wissen, dass sie es nie werden zurückzahlen können. Jedenfalls nicht ohne einen hohen Preis dafür bezahlen zu müssen. Durch die Invalidenversicherungen, die sie im Falle einer Verkrüppelung durch die schweren Maschinen, an denen sie ihr Werk tun, abgeschlossen haben, winkt eine Summe, mit der man sich von der Schuld freikaufen kann. Kang-do ist der Mann für eben jene Knochenarbeit. In den dreckigen, heruntergekommenen Gassen nahe des Cheonggyecheon, einer Gegend in der Kim Ki-duk selbst aufwuchs, verstümmelt Kang-do genüsslich seine Mitmenschen, was uns in der ganz expliziten Darstellung glücklicherweise erspart bleibt.

Eines Tages beginnt eine ältere, aparte Dame (Cho Min-soo) ihm wie ein Schatten zu folgen. Stumm und demütig erträgt sie seine Beschimpfungen und lässt sich nicht abweisen. Auf Knien gesteht sie eine für Kang-do unfassbare Wahrheit: sie sei die Mutter, die ihn als Baby verlassen habe. Nun sei sie hier, um die Verantwortung zu übernehmen, für seinen kriminellen Werdegang und sein verrohtes Wesen. Als ihre Entschlossenheit schließlich so weit geht, dass sie nicht nur Schuldner mitquält, sondern auch Kang-dos ultimativer Probe standhält, beginnt dieser ihre Anwesenheit zu tolerieren. Mal sanft und voller Zärtlichkeit, dann wieder übergriffig und ödipal entsteht ein merkwürdiges Band zwischen den beiden, das nach und nach ihre Verletzbarkeit preisgibt.

Bereits in der ersten Einstellung hat Kim Ki-duk die Fährte für den interessanten Twist seiner Geschichte gelegt, der schließlich in einige sehr eindringliche wie poetische Momente gipfelt. Das christliche Motiv der „Pietà“; der den sterbenden Jesus haltenden Mutter Gottes, findet hier in einem zu Tränen rührenden Bild seine ausdrucksstarke Umkehrung.

Pietà bedeutet „Mitleid“ im Italienischen und ist ein ambivalentes Motiv in Kim Ki-duks Geschichte: In der Anerkennung seiner Verlassenheit als Ursprung der Grausamkeit zeigt die (vermeintliche) Mutter ein gewisses Maß an Empathie und Mitgefühl, das sich, selbst gegen ihren Willen, im Laufe der Zeit mit Kang-do verstärken wird. Aber ist Mitleid etwas originär Menschliches, das uns vom Tierischen trennt? Es scheint zunächst, als wolle Kim Ki-duk es so verstanden wissen. Doch die raffinierte Konstruktion der Geschichte offenbart noch ein anderes Bild, ein intendiertes Instrumentalisieren von Nächstenliebe und Mitgefühl, das noch eine ganz andere Ebene der Grausamkeit erreicht.

Jenseits der Mutter/Sohn-Beziehung schneidet er ebenso gesellschaftskritische Themen an, wenn Kang-do mit seinem zukünftigen Opfer die Wolkenkratzer betracht, die im Laufe der Turboindustrialisierung bereits die meisten Arbeiter aus ihren schäbigen Fabrikbaracken in eine ungewisse Zukunft verdrängt haben, ohne das Mitgefühl einer politischen Gemeinschaft zu wecken. Kim Ki-duk zeichnet auch, wie so viele Filme in Venedig, ein Bild der Rezession, der Desillusion des modernen Kapitalismus, eines gekauften Glücks auf Zeit, dessen Schulden unnachgiebig eingefordert werden.

Pieta war der 18. Film des südkoreanischen Regisseurs, wie er explizit im Vorspann einblenden ließ, was im Publikum für große Erheiterung sorgte. Er ist nach seiner dokumentierten depressiven Krise in Arirang eine kraftvolle Rückkehr auf die große Leinwand.
 

Pieta (2012)

Bereits im Jahr 2000 hatte der südkoreanische Autorenfilmer Kim Ki-duk das Publikum mit recht drastischen Gewaltdarstellungen in seinem Werk „Die Insel“ überfordert – auch „Pieta“ schickt die Zuschauer, ganz im Sinne eines christlichen Martyriums, auf einen stellenweise grausamen, jedoch auch faszinierenden Weg der Läuterung. Seinem eigenwilligen Drama um Sühne, Mitleid und Mutterliebe den Golden Löwen zu verleihen, ist eine durchaus gerechtfertigte Entscheidung.

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