Stein der Geduld (2012)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Frauenleben

In Afghanistan, so erzählt die Tante ihrer Nichte an einer Stelle, gibt es die Legende von einem Stein, der, wenn man ihm all seine Sorgen und Sünden anvertraut, am Ende zerspringt und mit diesem Akt den Beichtenden von all seiner irdischen Mühsal und seiner Schuld befreit. Genau solch einen Stein bräuchte auch die junge Frau (Golshifteh Farahani), der diese Geschichte erzählt wird. Denn Sorgen und Verfehlungen aus früheren Zeiten hat sie wahrlich genug angesammelt.

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Doch wer sagt denn, dass der Stein stets ein Stein sein muss? Geht nicht auch vielleicht ein Mensch, ja vielleicht sogar der eigene Mann? Zumal dann, wenn dieser mit einer Kugel im Genick reg- und wortlos auf einer Matratze liegt, gefangen im Zwischenraum zwischen Leben und Tod? Dies ist die Ausgangssituation, von der der aus Afghanistan stammende und im Pariser Exil lebende Filmemacher und Romanautor Atiq Rahimi erzählt, das auf seiner eigenen literarischen Vorlage beruht, die in Frankreich den renommierten Prix Goncourt erhielt.

Die Frau lebt gemeinsam mit ihrem schwer verwundeten Mann und den beiden gemeinsamen Töchtern in einer Stadt in Afghanistan (genau benannt wird diese nie), in der immer noch Krieg herrscht – alltäglich und mit ungeheurer Brutalität, unter der die Zivilbevölkerung, die Frauen, Kinder und die Schwachen am meisten zu leiden haben. Immer wieder fliehen die Menschen des Viertels in die Keller, wenn Angriffe der Regierungstruppen oder der Taliban bevorstehen, immer wieder ist die Frau kurz davor, ihren Mann seinem Schicksal und damit dem Tod zu überlassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Und doch kehrt sie immer wieder an seine Seite zurück, pflegt ihn, wäscht ihn – und redet mit ihm, der keine Antwort mehr geben kann. Dabei war dieser Mann, selbst ein Taliban-Kämpfer, kein guter Mann, ein Maul- und Kriegsheld, der seine Frau als seinen Besitzstand betrachtete. Doch nun haben sich die Rollen umgekehrt, ist er von ihr abhängig. Und so beginnt sie zu reden, zu beichten, zu gestehen und sich zu erinnern, wie es war zwischen ihnen. Denn diese Gelegenheit, dass ihr Mann ihr endlich zuhört, kommt vielleicht so nie wieder zurück.

Stein der Geduld trifft den Zuschauer wie ein Schock – und das nicht etwa, weil der Film den Krieg in all seiner Brutalität zeigen würde, das geschieht eher nebenbei. Sondern vielmehr deshalb, weil wir hier dem Alltagsleben im Kriegsgebiet Afghanistan, vor allem aber dem Alltagsleben der Frauen dort so nahe kommen, wie dies sonst noch nirgendwo gezeigt wird. Überhaupt versteht es der Regisseur, gerade in der fast ausschließlichen Beschränkung auf das karg eingerichtete, im weiteren Verlauf zunehmend zerstörte Haus Bilder zu erschaffen, die mehr über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan aussagen als aufwendige Szenerien. Wenn wir in das Gesicht von Golshifteh Farahani sehen und sie später beim Verlassen des Hauses die safrangelbe Burka überwirft, wenn wir ihren Monologen zuhören, die ein Leben als Frau offenbaren, wie wir es allenfalls aus Zeitungsberichten kennen, dann geht das buchstäblich unter die Haut und lässt uns nicht mehr so schnell los. Und selbst dass Stein der Geduld am Ende fast ein wenig fantastisch und auf sehr offensichtliche Weise spannend wird, schadet dem überaus positiven Eindruck, den dieser Film zuvor hinterlassen hat, nicht im Geringsten.
 

Stein der Geduld (2012)

In Afghanistan, so erzählt die Tante ihrer Nichte an einer Stelle, gibt es die Legende von einem Stein, der, wenn man ihm all seine Sorgen und Sünden anvertraut, am Ende zerspringt und mit diesem Akt den Beichtenden von all seiner irdischen Mühsal und seiner Schuld befreit.

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