The Call - Leg nicht auf!

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Notruf mit Folgen

Seit seinen Anfängen hat das Kino eine derart große Vielfalt an Geschichten hervorgebracht, dass es heute nur noch selten möglich scheint, den Zuschauer mit originellen Stoffen zu überraschen. Die meisten Ideen waren in der einen oder anderen Form bereits auf der Leinwand zu sehen. Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich die Variation von Motiven und Handlungsbausteinen immer mehr zu einem Leitprinzip entwickelt hat, dem viele Filmschaffende – wenn auch unfreiwillig – nacheifern. Obwohl Drehbuchautor Richard D’Ovidio die Eigenständigkeit von The Call – Leg nicht auf! nachdrücklich betont – immerhin sei ihm kein Kino- oder Fernsehfilm bekannt, der die verantwortungsvolle Arbeit in einer Notrufzentrale behandelt –, fällt auch dieser Thriller in die Kategorie „Modifizierung bekannter Grundmuster“.
Das von Brad Anderson inszenierte Werk lehnt sich in seinem Spannungsaufbau nicht nur deutlich an die klassische Suspense-Definition Alfred Hitchcocks an, sondern weist zudem inhaltliche Parallelen zu Joel Schumachers Nicht auflegen! (2002) und David R. Ellis‘ Final Call (2004) auf. Hier wie dort droht das Abreißen eines Telefongesprächs auf den Tod einer im Zentrum stehenden Figur hinauszulaufen, weshalb der Kontakt um jeden Preis aufrechterhalten werden muss. The Call erhebt diesen Gedanken schon allein durch die Verortung in einer Notrufzentrale zur Zwangsläufigkeit.

Jordan Turner (Halle Berry) heißt die Protagonistin des Films, eine Notruftelefonistin, die jeden Tag mit panischen Hilferufen konfrontiert wird und binnen weniger Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen muss. Sie ist ein Profi und doch nicht unfehlbar: Eine besorgte junge Frau (Evie Thompson), die einen Einbruch meldet, wird nach einer unüberlegten Aktion der Telefonistin vom Eindringling getötet. Der Vorfall wirft Jordan aus der Bahn. Und so kehrt sie erst Monate später in den Dienst zurück, ist nun allerdings nicht mehr im operativen Einsatz tätig, sondern kümmert sich um die Ausbildung neuer Mitarbeiter.

Wie es die Drehbuchlogik verlangt, kommt jedoch schon bald der Tag, an dem Jordan noch einmal zum Hörer greifen muss. Als eine unerfahrene Kollegin (Jenna Lamia) bei einem Notruf die Nerven zu verlieren droht, übernimmt Jordan das Gespräch. Von ihrem Geschick hängt das Leben der jungen Casey (Abigail Breslin) ab, die sich aus dem Kofferraum eines fahrenden Wagens meldet. Was Jordan, anders als der Zuschauer, zunächst nicht weiß: Caseys Entführer Michael Foster (Michael Eklund) ist auch der Einbrecher, der vor sechs Monaten für die Ermordung der jungen Anruferin verantwortlich war. Ein psychisch gestörter Serienmörder ohne Skrupel und Mitgefühl. Da Caseys Handy nicht exakt zu lokalisieren ist, gibt Jordan dem verängstigen Mädchen Anweisungen, wie sie andere Autofahrer auf sich aufmerksam machen kann.

Der Handlungsabriss lässt bereits erahnen, dass der Film vor allem als klassische Überwindungsgeschichte des zu Beginn geschilderten Traumas konzipiert ist. Die psychisch angeschlagene Hauptfigur bekommt die Chance auf Wiedergutmachung. Und das in doppeltem Sinne. Schließlich kann sie nicht nur Caseys Leben retten, sondern auch dem Mann, der sie in eine tiefe Krise gestürzt hat, das Handwerk legen. Dynamisch schneidet Regisseur Anderson zwischen der Notrufzentrale und Caseys Kofferraum-Gefängnis, den beiden zentralen Handlungsorten des Films, hin und her. Die Panik, die das Entführungsopfer befällt, und der enorme Zeitdruck werden auf diese Weise sehr geschickt etabliert. Verstärkt wird die hektische Atmosphäre durch den Einsatz von Handkameras, die den Zuschauer immer wieder einer festen Beobachterposition berauben.

Da der Täter von Anfang an bekannt ist, bezieht der Thriller seine Spannung ausschließlich aus der Frage, ob und wie es Jordan gelingen wird, das entführte Mädchen aus den Händen ihres Peinigers zu befreien. Um die Spannungsschraube anzudrehen, wird die räumlich begrenzte Grundsituation wiederholt aufgebrochen. Angeleitet von der konzentrierten, aber ebenso angespannten Telefonistin, gelingt es Casey tatsächlich, auf ihre Notlage aufmerksam zu machen, befeuert damit aber die Wut ihres Entführers. Als Michael bemerkt, dass er die Kontrolle zu verlieren droht, greift er zu drastischen Maßnahmen, die der Geschichte eine dramatische Wendung geben.

Michael Eklunds fiebrige Darstellung des wahnsinnigen Serienmörders ist durchaus beeindruckend, kann aber nicht über die insgesamt klischierte Anlage seiner Figur hinwegtäuschen: Natürlich führt der Killer eigentlich ein unscheinbares Familienleben, selbstverständlich geht das Motiv für seine Taten auf ein traumatisches Ereignis in seiner Kindheit zurück, und wie so oft wartet der Film mit einer übertrieben ins Bild gerückten fetischistischen Veranlagung auf.

Während das hektische und nervenzerrende Geschehen den Zuschauer lange Zeit zum Mitfiebern veranlasst, ist der letzte Akt eine große Enttäuschung. Um Jordans vollständige Rehabilitierung einzuläuten, lassen Regisseur Anderson und Drehbuchautor D’Ovidio sie nun umfassend aktiv werden. Glaubwürdigkeit und Logik machen Platz für einen übermäßig in die Länge gezogenen Showdown, der, zu allem Überfluss, auch noch ein äußerst zweifelhaftes moralisches Statement propagiert. Hier verspielt der zumeist effektiv inszenierte, gleichwohl sehr konventionell ausgerichtete Thriller einen Großteil seiner Ausdruckskraft.

The Call - Leg nicht auf!

Seit seinen Anfängen hat das Kino eine derart große Vielfalt an Geschichten hervorgebracht, dass es heute nur noch selten möglich scheint, den Zuschauer mit originellen Stoffen zu überraschen. Die meisten Ideen waren in der einen oder anderen Form bereits auf der Leinwand zu sehen.
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Meinungen

Liquid Brain · 05.07.2013

"es kann dir jeden Tag passieren" "es kann dich überall treffen"
hoffe die deutschen Trailermacher fahren deutlich gegen die Wand, denn es kann dir ja jeden Tag passieren.

Der Englische Trailer bis 0:52min ist nichts anderes ausser die Effekte aus Taken mit Liam Neeson.