Silvi

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Ein turbulenter zweiter Frühling

„Wir steigen jetzt hier aus!“ Spricht’s und verlässt das Auto. So endet die Ehe von Silvi (Lina Wendel) von einem Moment auf den anderen. Ihr gesamtes Leben hat sie mit Michael (Thorsten Merten) verbracht, nie einen anderen Mann gehabt. Nun ist die fast 50jährige ganz auf sich allein gestellt. Doch wie immer, wenn etwas aufhört, beginnt auch etwas Neues. Nachdem sie sich in den letzten Jahren ihrer Ehe wie ein unliebsames Möbelstück gefühlt hat, das nicht einmal mehr „entstaubt“ wird, sehnt sie sich nun vor allem nach körperlicher Nähe und Zuwendung. Auf der Suche nach einer neuen Liebe stürzt sie sich in wilde Affären und lässt sich auch von den absurdesten Tiefschlägen niemals entmutigen.
Silvi erwacht nach der Trennung von ihrem Mann wie aus einem Traum und realisiert, dass sie ihr halbes Leben irgendwie auf der Strecke geblieben ist. Nun sollen ihre eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Doch das ist gar nicht so einfach, denn egal welchem Mann sie begegnet, letztendlich wird ihr von jedem ein anderes, fremdes Bedürfnis aufgedrückt. In ihrem Bestreben, für alles offen zu sein und neue Wege zu beschreiten, lässt sich Silvi auf so manches Experiment ein, egal ob es sich um sadomasochistische Spielchen oder ein Gramm Koks handelt. Doch was sie selbst will, bleibt unklar. Liebe, Nähe, Vertrauen – ist das wirklich schon alles?

Die Geschichte einer Frau Ende 40 ist ein wahrhaft untypisches Thema für einen jungen Filmemacher wie Nico Sommer. Umso erstaunlicher ist die Authentizität seiner Hauptifgur. Indem sich der gesamte Film auf Silvi und ihre Lebenswelt ausrichtet, ermöglicht Sommer es dem Zuschauer, die Ereignisse ganz aus der Perspektive seiner Protagonistin zu betrachten. Die Interviewsequenzen, die die Filmhandlung immer wieder unterbrechen und in gewisser Weise kommentieren, verleihen dem Konzept eine dokumentarische Komponente. Auch ihr leichter Berliner Dialekt macht Silvi zu einer „ganz normalen Frau“, erzeugt Sympathie und erleichtert die Identifikation mit der Hauptfigur.

Dieser Realismus wird durch die absurde Komik des Films gebrochen. In gewisser Weise ist Silvi naiv, denn es fehlt ihr durch die langjährige Beziehung zu ihrem Ehemann an sexuellen Erfahrungen. Im Zuge ihrer Partnersuche gerät sie immer wieder in absonderliche Situationen, die wir durch ihre Augen in ihrer vollen Skurrilität erfassen. Nico Sommer rangiert bei der Inszenierung ihrer Affären sehr nah am Klamauk, denn die Männer auf die Silvi trifft, verkörpern dominante und devote Extreme. Es ist jedoch gerade dieser Kontrast zwischen der bodenständigen Hauptfigur und den exzentrischen Liebhabern, der immer wieder für große Unterhaltung sorgt. Nichtsdestotrotz leidet hier der Ernst der Geschichte. Der Wechsel von dokumentarischen Interviews und zunehmend komödiantischer Handlung stellt zwar in gewisser Weise den Reiz des Films dar, hat aber auch seine Schattenseiten. Was als lebensnahe und durchaus anrührende Geschichte einer Scheidung beginnt, entwickelt sich unerwartet zu einer Komödie. Das macht ohne Frage Spaß, drängt aber Silvis anfängliche Sinnsuche zu stark in den Hintergrund und es entsteht der Eindruck, Nico Sommer würde seine Protagonistin mit ihren Problemen letztendlich doch nicht so richtig ernst nehmen.

Wie auch der auf der Berlinale 2013 vielfach ausgezeichnet chilenische Wettbewerbsbeitrag Gloria stellt Silvi eine Frau um die 50 als sexuelles Wesen in den Mittelpunkt einer Geschichte und verhilft so dieser Altersgruppe zu einer längst überfälligen Leinwandrepräsentation. Im Vergleich zu dem chilenischen Regisseur Sebastián Lelio wählt Nico Sommer jedoch ein deutlich komödiantischeres Konzept. Seine Darstellungen sind extremer, absurder und somit in gewisser Weise trotz aller Authentizität der Hauptfigur lebensferner.

Silvi

„Wir steigen jetzt hier aus!“ Spricht’s und verlässt das Auto. So endet die Ehe von Silvi (Lina Wendel) von einem Moment auf den anderen. Ihr gesamtes Leben hat sie mit Michael (Thorsten Merten) verbracht, nie einen anderen Mann gehabt. Nun ist die fast 50jährige ganz auf sich allein gestellt. Doch wie immer, wenn etwas aufhört, beginnt auch etwas Neues.
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Meinungen

Ulrike Brauning · 07.08.2013

Der Film "Silvi" hat mir besonders deshalb gefallen, weil der Regiesseur seine Darstellungen überspitzt gewählt hat. Ich empfand das keineswegs als lebensfern.
Als Kinobesucher lege ich Wert auf ein besonderes, nachwirkendes Erlebnis, das aber wird mit Sicherheit nicht hervorgerufen durch seichte Ernsthaftigkeit der agierenden Figuren.
Die gute Unterhaltung, die dieser Film bietet, entsteht ja gerade durch die extremen Charaktere und ihr Wechselspiel. Silvis Sinnsuche wird dadurch nicht oberflächlich behandelt, man fühlt mit ihr von Anfang bis Ende des Films.

Kristina Bernhardt · 06.08.2013

Dieser Film rangiert nicht nah am Klamauk, die Figur der SILVI ist
dragi-komisch, das Gewicht liegt auf dragisch.Die Darstellungen sind
in keiner Weise lebensfern, im Gegenteil, das Leben ist noch viel ab-
surder.Ausser, man kennt nur langweilige fade Leute, aber über diese
lohnt sich nicht,einen Film zu drehen.Der Regieseur nimmt seine Protagonistin wohl erst, er bestimmt ihr Handeln durch ihre Naivität.
Das auch eine gewisse Komik mitspielt, lässt den Zuschauer mit
einem Lächeln nach Hause gehen.
Nico Sommer inszenierte diesen Film wie eine typisch französische Beziehungskiste, übersteigt wahrscheinlich deutsche Ansprüche.
Ich habe meinen Psychater gebeten, sich diesen Film anzusehen. Er bestädigte mir, dass er noch krassere "Figuren"
kennt. Ausserdem empfand er wie viele Freunde von uns, dass mal eine unbekannte Schauspielerin zu sehen war, als immer die Berben oder Ferres, als interessant und erfrischend.