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SLEEPCINEMAHOTEL - Träume vom Kino

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

In Apichatpong Weerasethakuls Installation SLEEPCINEMAHOTEL wird man dazu eingeladen, im Kino zu schlafen. Im Grenzland zwischen Wachzustand und Schlaf verschwimmen Licht und Schatten, gedämpftes Murmeln der Gäste und Meeresrauschen zu einem einzigen Traum.

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SLEEPCINEMAHOTEL
SLEEPCINEMAHOTEL

Das Zentrum von Rotterdam braucht nicht erst ein Filmfestival, um geschäftig zu sein. Wer hier nicht zur Arbeit hetzt, geht shoppen, ins Kino, ins Konzert oder trifft sich in einer der zahlreichen Restaurants und Bars. Mitten drin hat Apichatpong Weerasethakul sein SLEEPCINEMAHOTEL eröffnet – genau genommen im World Trade Center, of all places.

Der thailändische Filmemacher (Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben) erklärt seine Idee so: „Ursprünglich habe ich mir ein Open-Air-Kino mit einer Plattform voller Betten vorgestellt. Die schlafenden Leute würden Silhouetten bilden, auf die die Filme projiziert werden, als wären sie im Bauch des Kinos. Aber so eine Konstruktion ist im Winter natürlich unmöglich. Die Idee, etwas mit Silhouetten zu machen, ist trotzdem geblieben.“

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Man nähert sich dem SLEEPCINEMAHOTEL mit entsprechenden Erwartungen: an exotische Klangteppiche wie auf Weerasethakuls kürzlich erschienener CD Metaphors: Selected Soundworks From The Cinema Of Apichatpong Weerasethakul. An wabernde Bilder, Projektionen, die mit den Wänden, den Betten, den Menschen verschmelzen, alles einlullen. Der erste Eindruck vor Ort ist dann etwas underwhelming. Mit einem Fahrstuhl fährt man in den vierten Stock eines stahlsilbernen Gebäudes und landet dort auf der Empore eines Raumes, der einer Schulaula ähnelt. Hoch und länglich, mit altmodischen Jugendstillampen an der Decke und einer kreisrunden Leinwand vor dem riesigen Fenster am anderen Ende.

In der Mitte des Raumes stehen vielleicht zehn Betten auf einer Konstruktion, die an Baugerüste erinnern. Man kann sich dort für eine Nacht einmieten. Plus Frühstück 75 Euro. Die Betten sind in unterschiedlichen Höhen angeordnet, so dass von überall aus der Blick auf die Leinwand freigegeben ist. Dort wechseln sich Bilder vom Meer und Flussfahrten ab, höchstens lose zusammenhängend, meist schwarz-weiß, manche blau oder rosa getönt. Die Geräuschkulisse erinnert an Wind, vielleicht auch an Meeresrauschen. Viel mehr als erwartet sieht dieses Ensemble insgesamt schlicht nach einem Kino aus. Nach einem Kino eben, das zum Schlafen einlädt. Weil es noch früh ist, sind erst zwei der Betten belegt, ein Mann schaut in sein Smartphone.

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Ich unterdrücke die erste Enttäuschung und setze mich erst einmal in die Mitte der Empore. Nun bin ich auf Augenhöhe mit den höchsten Betten, deren Silhouetten meinen Blick auf die Leinwand durchschneiden. Der Eindruck erinnert an ein zusammenhängendes Geflecht von Baumhäusern und auch an die miteinander verbundenen, eine Art „Wald“ ergebenden Würfelhäuser, die zehn Minuten entfernt von hier stehen. Eigentlich ein schönes Abenteuer, in künstlichen Baumhäusern zu übernachten. Draußen setzt inzwischen die Dämmerung ein. Das Leuchten der Leinwand spiegelt sich in Schlieren auf den polierten Holzvertäfelungen der Wände und an der Decke und taucht den Raum in ein magisches Zwielicht. Man wird hier also doch von Bildern eingelullt, man muss es nur auch wahrnehmen wollen.

SLEEPCINEMAHOTEL und Kubushäuser Rotterdam; Copyright: Katrin Doerksen

 

Einige Minuten vergehen, dann kommt Apichatpong Weerasethakul auf die Empore. Mit seiner Fotokamera hält er einige Eindrücke des Raumes fest und ein Gast versucht ihn verstohlen mit dem Handy zu fotografieren. Weerasethakul steigt herunter in die Haupthalle, begrüßt die schon eingetroffenen Übernachtungsgäste persönlich. Er ist ein schmaler, ruhiger Mann. Keiner, der absichtlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn er den Raum betritt. Diese Art spiegelt sich im SLEEPCINEMAHOTEL. Es vermittelt eine selbstverständliche Haltung dem Kino gegenüber, das für Weerasethakul zum Alltag zu gehören scheint. Wie wenn man eine x-mal gesehene Folge seiner Lieblingsserie zum Einschlafen schaut oder einen Film während der Arbeit im Hintergrund laufen lässt. Man nimmt ihn dann nicht intellektuell analytisch wahr, aber Eindrücke, Szenen, Figuren finden Eingang ins Unterbewusstsein, werden zu Geistern, die in der Erinnerung umher wandeln. Wie die Geister und Dämonen in den Spielfilmen von Apichatpong Weerasethakul, mit denen seine Figuren ebenfalls ganz selbstverständlich leben.

Ab und zu verändern sich die Bilder: ein Hund streunt schwanzwedelnd um ein schlafendes Kind, anschließend Unterwasseraufnahmen in Farbe, Sonnenlicht bricht sich an der Wasseroberfläche. Es heißt, dass sich während der kompletten Laufzeit des SLEEPCINEMAHOTEL, insgesamt immerhin sechs Stunden, keines der Bilder wiederholt. Ich verlasse den Raum allerdings nach etwa fünfundvierzig Minuten und drehe mich auf der Straße noch einmal um. Dort, vielleicht fünfzehn Meter über der geschäftigen Straße, über Rotterdams Rush-Hour im Fenster des World Trade Center, prangt die kreisrunde Leinwand. Wie ein bunter Vollmond hängt sie über der Stadt.

SLEEPCINEMAHOTEL im Rotterdamer WTC; Copyright: Katrin Doerksen

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