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Kommentar

Schnittwechsel: Spoiler or what?

Wer hat das Ende eines Films verraten? Raus mit der Sprache? Ein heißes Eisen. Auch in der Redaktion gibt es unterschiedliche Haltungen. Ist ein Spoiler nun ein absolutes No-go oder beschränkt ein Verzicht auf inhaltliche Aspekte die Auseinandersetzung mit Filmen? Sebastian Seidler und Christian Neffe beziehen Stellung.

Meinungen
Die drei weisen Affen
Die drei weisen Affen

Ein Kavaliersdelikt

von Christian Neffe

Schon klar, ein Film ist kein Fußballspiel. Bei letzterem entsteht die Spannung schließlich dadurch, dass man nicht weiß, wie es ausgeht, und entsprechend mitfiebert. Wer schon mal versucht hat, sich ein solches Sportereignis trotz Kenntnis des Resultats anzuschauen, wird gemerkt haben, dass etwas Entscheidendes fehlt. Beziehungsweise schon bekannt ist.

Dennoch ist die Sportanalogie hier gar nicht so unpassend, liegt in diesem ominösen Wort „Spoiler“ doch etwas Spielerisches. Will man es übersetzen, kommt man schnell bei „verderben“ raus — die Assoziation zum „Spielverderber“ liegt da nicht fern. Jemand, der spoilt — jetzt kommen wir zum Film -, verhält sich unfair dem Gespoilten gegenüber. Nicht mehr, nicht weniger. Wer deshalb verbal ausfällig wird gegenüber dem Spoilenden, wie man es gerade zu Hochzeiten von Game of Thrones, Breaking Bad und Co. gern mal im Netz erlebt hat, disqualifiziert sich. Nichtsdestotrotz sollte, in Richtung des Spoilenden, die Frage erlaubt sein: Muss das wirklich sein? Wäre nicht mehr Feingefühl angebracht?

Es geht nicht nur ums Verraten des großen Plottwists oder eines überraschenden Charaktertodes, sondern ganz prinzipiell um das Vorwegnehmen des Handlungsverlaufs in der – eine völlig willkürliche Grenze, die ich hier mal zur Diskussion stelle — zweiten Hälfte eines Films. Natürlich, Film ist mehr als sein Plot, viel mehr sogar, aber eben auch das: eine Geschichte, eine Erzählung, und diese zu erzählen ist ein Privileg der erzählenden Instanz, der immerhin viel Zeit und Arbeit darin gesteckt hat, auf welche Weise das geschehen soll. Visuell, auditiv, aber eben auch inhaltlich durch die Vermittlung von Informationen zum richtigen Zeitpunkt. Und es ist ebenso ein Privileg des Publikums, das beim ersten Mal so zu erleben wie intendiert. Weshalb auch das gern angeführte Argument, dass, wenn Spoiler einen Film kaputtmachen würden, man ja keinen Film zweimal schauen könnte, nicht haltbar ist: Ein Film, eine Erzählung kann sich nicht selber spoilern – das kann nur eine externe Quelle, seien es nun Trailer oder Menschen.

Was heißt das für die Kritik? Vor allem eines: Sensibilität. Für das, was sie schreibt, und zu wissen, für wen sie schreibt. Das ist schließlich Teil ihres Jobs. Die Prämisse eines Films erklären? Geschenkt, das gehört dazu. Die vom Erzähler so sorgsam aufgebaute Wendung ausplaudern? Das geht nicht, sofern man sich an ein Publikum richtet, das das Werk noch nicht kennt. Das Ende verraten, weil es in seiner Aussage fragwürdig, vielleicht sogar problematisch ist? Sollte doch bitte auch möglich sein, ohne es vorwegzunehmen. Worte sind ein scharfes Schwert – und wer es führt, sollte damit umgehen können. Und wenn doch alles nichts hilft, dann womöglich ein entsprechendes Label.

Das alles mag bei manchem Film eine schmale Gratwanderung sein – doch sie anzugehen, ist eine der vielen Aufgaben, der sich die Kritik stellen muss. Spoilern ist ein Kavaliersdelikt. Und gehört sich deshalb einfach nicht.

Spoiler? Ah, come on …

     von Sebastian Seidler

Es gibt kaum eine Debatte, die mich in der Film-Bubble mehr nervt als das leidige Spoiler-Thema. Schon klar, den großen Twist am Ende sollte man in einer Kritik nicht unbedingt verraten. Da stimme ich Christian Neffe durchaus zu: Man sollte sein Publikum, seine Leser kennen. Für wen und vor allem wofür schreibt man? Doch besteht die Filmkritik nicht nur aus Servicekritik. Die Zeiten, in denen ein Text einen Film bewerben muss, die sind vorbei. Filmkritik, das ist für mich Aftershow, und dann nehme ich mir die Freiheit heraus, zu spoilern, weil man nur so tiefer an Sinn und Bedeutung der Bilder herankommt.

Diese Überempfindlichkeit gegenüber einem Close Reading steht in gewisser Weise einer guten Filmkritik im Weg. Es reicht nicht aus, einfach ein Geschmacksurteil abzugeben. Ohne Begründung bin ich keine professionelle Kritikerin, kein Kritiker: Man wird dem Film schlichtweg nicht gerecht, wenn man ihn auf eine narrative Funktion herunterbricht. Zumal sich die Frage stellt, wo ein Spoiler überhaupt beginnt.

Im Kino geht es nicht nur darum, was passiert. Viel wichtiger ist, auf welche Art und Weise. Ich stimme Wolfgang M. Schmitt an dieser Stelle zu (wenngleich das nicht oft vorkommt), dass es ums Sehenlernen geht: Kritik bedeutet sehen lernen – für die Autor*Innen gilt das ebenso wie für die Leser. Der Fetisch „Spoiler“ ist Ausdruck einer Kulturindustrie, in der es nur um Entertainment geht. Das ist okay — man soll im Kino auch Spaß haben. Aber: Man soll auch alle anderen sinnlichen Vergnügungen schätzen. Das Denken gehört dazu. Und nein — es nimmt nichts vom Reiz des Films, wenn man weiß, dass am Ende von Melancholia die Welt untergeht oder James Bond am Ende von No Time To Die stirbt. Mir wird da ein Film zu sehr auf eine Funktion reduziert, als hätten die Bilder und ihre Narrative kein Eigenleben, keinen fiktionalen Sog. 

Nun könnte man mit diesen Warnhinweisen hantieren – auf diesen Kompromiss kann ich mich einlassen. Ich will dennoch einmal sagen: Mich nervt das total. Wäre es nicht viel produktiver, wir würden Filmkritik aus dem PR-Zirkus nehmen und Texte nach den Filmen lesen? Dann bräuchte man diese infantile Ideologie der Ware nicht. Ich weigere mich, Film nur als eine narrative Maschine zu verstehen. Ich will deuten. Ich will mehr Essays. Mehr Versuche und mehr Wagnis. Ja, mehr Debatte. Wie habt ihr das verstanden? Spoil the pain away …

Meinungen

Harald · 11.05.2023

In meinen Augen sollte vor Spoilern grundsätzlich gewarnt werden, weil sie schlicht eine Gemeinheit sind.
Seit sogar Suchsland spoilert, lese ich zumindest die Kritiken Eurer Münchner Konkurrenz grundsätzlich erst nach dem Kinobesuch - die Gefahr ist zu groß, dass einem sonst der Spaß verdorben wird.