Man kommt bei diesem Film nicht umhin, auf die immergleichen Geschichten hinzuweisen. Ja, Im Reich der Sinne basiert auf einer wahren Geschichte. 1936 wanderte eine Frau durch Tokyo, die mit ihren Händen den abgetrennten Penis ihres Partners umklammerte. Wie sich herausstellte, war dieser während des Liebesspiels ums Leben gekommen. Um ihrem Liebsten und seiner Lust nah zu sein, nahm sie ein Souvenir mit. Dieser Tabu-Bruch rührt bis heute an das Unbegreifliche, ähnlich der Geschichte des Kannibalen von Rothenburg. Leidenschaft, Begierde und Obsession führen in eine sexuelle Kraft, die uns mitreißen kann. Gleichzeitig ist diese Geschichte der Ausdruck einer unverblümten Hingebung an die sinnliche Lust des Körpers, an die Affekte der Körperlichkeit.

Der Film des japanischen Regisseurs Nagisa Oshima war ebenso ein Tabu-Bruch. Die Aufregung war so groß, dass es eine intensive Debatte über Pornografie und Filmkunst nach sich zog, die bis heute noch aufflammt, wenn man auf diesen irritierenden und faszinierend poetischen Film zu sprechen kommt. Selbstverständlich zeigt der Film expliziten Sex. Alles in diesem Film dreht sich um die körperliche Liebe zwischen einer jungen Prostituierten und ihrem Chef, bei der sich die Machtverhältnisse schließlich umdrehen. Alles ist Berührung und Biss, ein Streicheln und Befriedigen, das über sich selbst hinausschießt – so als würden diese beiden Menschen ihre alltägliche Existenz in der Ekstase verlassen wollen. Darin ist der Film David Cronenbergs Skandalfilm Crash gar nicht unähnlich, wenngleich der erotische Autounfall-Film wesentlich kühler ist. Die Frage aber ist dieselbe: Wohin treibt uns der Sex? 

Ein wahnsinniger Film, der wahrlich die „Gefährlichkeit“ des Kinos beweist. MUBI streamt Im Reich der Sinne.