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Couch-Perle: Sympathy for Mr. Vengeance

Ein Beitrag von Julian Stockinger

Während wir uns auf den Kinostart von DECISION TO LEAVE noch eine Weile freuen dürfen, hindert uns nichts daran, die Filmographie eines Park Chan-wook wieder aufzufrischen.

Meinungen
Sympathy_Vengeance

Den Auftakt seiner Rache-Trilogie, zu der sich auch „Oldboy“ und „Lady Vengeance“ zählen, findet sich unter anderem auf Amazon Prime. Eine Empfehlung, vorausgesetzt man weiß, worauf man sich einlässt. Denn Rache ist in diesem „Sympathy for Mr. Vengeance“ alles andere als süß. Der internationale Verleihtitel suggeriert einen klassischen Rachefilm: Ein Held, mit dem wir sympathisieren und dem Unrecht getan wurde, sucht nach jener Form der Vergeltung, die uns als Zuschauer_Innen befriedigen soll. Man ahnt es schon: Park Chan-wook macht es uns so einfach nicht. Der Film hat auch eine massive gesellschaftskritische Dimension. Angeprangert wird die soziale Ungleichheit im ultrakapitalistischen Südkorea.

Alle Figuren in diesem Film sitzen irgendwie im selben Boot, auch wenn sie aus unterschiedlichen und mal mehr und mal weniger privilegierten Schichten der Gesellschaft kommen. Nicht nur, weil sie Teil dieses Ungleichheiten reproduzierenden Systems sind, sondern auch, weil es allen an etwas fehlt, wonach sie lechzen. Alle sind „menschlich“ in dem Sinne, dass sie fehlerhaft sind und ihre noch so brutalen Handlungen bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar bleiben. Eine finanzielle Notlage, eine dumme Entscheidung reicht aus und der Stein ist längst am Rollen. Es gibt kein Zurück und die Gewalt, die sich mit fortschreitender Spiellänge intensiviert, geht auch beim Zuschauen an die Substanz.

© Capelight Pictures

Das liegt einerseits an den expliziten und roh dargestellten Morden, vor allem aber daran, dass wir für niemanden in dieser filmgewordenen Gewaltspirale wirklich Partei ergreifen können. Oder andersrum: Das empathische Publikum kann sich in fast allen Figuren wiederfinden. Dadurch wird kein Racheakt als Befriedigung oder Befreiung empfunden, wie man es aus Filmen mit klar definierten Held*innen und Bösewichten kennt. Sie treten immer als etwas Unerwünschtes und Schmerzhaftes auf. Und genau darin liegt das humanistische Element von Sympathy for Mr. Vengeance, das uns aber gleichzeitig in eine schwer auszuhaltende Sackgasse treibt. Denn dass die Gewalt sich um uns herum aus sich selbst heraus fortschreibt, ahnen wir schnell.

Wir fühlen mit dem taubstummen Protagonisten, der für das Überleben seiner schwerkranken Schwester Geld auftreiben muss, ebenso wie mit dem frustrierten Kapitalisten, der nach Vergeltung sucht. Auch mit Kapitalismuskritikerinnen, die linksterroristischen Organisationen beitreten. Mit in die Armut gedrängten Vätern, die samt Familie kollektiven Selbstmord begehen. Sogar die etwas karikierte Organhändlerin, die ihr illegales Geschäft als kleines Familienunternehmen führt, braucht das schmutzige Geld letztlich zum Stillen ihrer Heroinsucht.

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Hört sich nach dem tristesten Film des Jahrhunderts an? Keine Sorge, immerhin haben wir es bei Park Chan-wook mit einem Meister des genrefluiden Kinos zu tun. Und so ist für regelmäßige ästhetische und humoristische Auflockerung gesorgt. In den matten Look, der uns trotz seiner Künstlichkeit einen beinharten Realismus vorgaukelt, schieben sich bunte und manchmal durchaus sehr lustige Bildkompositionen. Da wäre die farblich satte Burschen-WG, die zu viert in einer Löffelchen-Formation onaniert. Oder eine spät auftauchende, kettenrauchende Gruppe, die einer sehr brutalen Szene einen slapstickhaften Charakter verleiht. Realismus und sehr bewusste Stilisierung reichen sich in Park Chan-wooks Meisterwerk ebenso die Hand wie extreme Brutalität und herzerwärmender Humor. Womit er in der Korean New Wave keineswegs eine Ausnahme darstellt, denkt man zum Beispiel an die Filme seines Kollegen Bong Joon-Ho

Die Chancen stehen gut, dass Park Chan-wook uns mit seinem neuen Film abermals den Kopf verdrehen wird. An der Nase hat er uns schon bei Sympathy for Mr. Vengeance herumgeführt. Der internationale Verleihtitel verstärkt diesen Effekt: Für wen soll man da eigentlich Sympathie empfinden? Oder für wen eigentlich nicht? Die Botschaft des Films mag nicht neu sein, die Umsetzung aber ist ungemein effektiv. Kubricks A Clockwork Orange legte den Gewaltaspekt von gesellschatlichen Institutionen offen. Park Chan-wook stellt die Linse weiter und verrechnet die Bevölkerung: Gewalt, ob in Form von Bestrafung oder Rache, erzeugt nur noch mehr Gewalt. Sie verbreitet sich, sie wächst und ernährt sich aus sich selbst heraus. Auch die zwischen Opfer- und Täterrollen wechselnden Figuren im Film erkennen immer den Menschen hinter den grauenvollen Taten, schaffen es aber trotzdem nicht, aus den tödlichen Strukturen auszubrechen. „I know you’re a good guy… but you know why I have to kill you…“, heißt es gen Ende dieses Films. Und wir wissen, dass auch nach dem letzten Mord die Gewalt kein Ende nehmen wird. Aller Menschlichkeit zum Trotz.

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