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Couch-Perle: Martin Scorsese abseits des Gangster-Kinos

Kaum ein anderer Name steht derart synonym für das US-amerikanische Gangster-Kino wie Martin Scorsese. Doch was hat der Regisseur abseits von Klassikern wie „Goodfellas“, „Casino“ und Co. zu bieten? Anlässlich seines 80. Geburtstags ein paar unbedingte Empfehlungen der Redaktion

Meinungen
Bringing out the Dead / The King of Comedy / Die Zeit nach Mitternacht
Bringing out the Dead / The King of Comedy / Die Zeit nach Mitternacht

The King of Comedy

Auf die Frage, welcher Scorsese-Film einem der liebste sei, wird man in der Regel Antworten wie Kap der Angst, The Wolf of Wall Street, Casino oder Goodfellas hören – vermutlich aber eher selten das, was ich antworten würde: The King of Comedy. Robert De Niro schlüpft hier in die Haut des Möchtegern-Komikers Rupert Pupkin, der es unbedingt auf die große Bühne schaffen will, aber nicht merkt, dass er der eigentliche Witz ist, und der deshalb bis zum Äußersten geht, indem er den Show-Moderator Jerry Langford (Jerry Lewis) entführt.

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Scorsese inszenierte hier eine schwarze Komödie, in der Humor und Ernst bis zur Ununterscheidbarkeit verwischt werden. Dank angenehmer Länge und hohem Erzähltempo ist The King of Comedy zugleich eine kurzweilige wie auch nachhaltige Angelegenheit. Denn Rupert Pupkin, diese harmlose Version eines Donald Trump, zeigt, dass auch die absurdesten Ideen nicht sterben und stattdessen ein Eigenleben entwickeln können. Was dabei herauskommt, ist entweder witzig, traurig oder, im Falle von The King of Comedy, beides.

Verfügbar bei allen gängigen VoD-Anbietern zur Leihe.

Christian Neffe

Die Zeit nach Mitternacht

Mitte der 1980er Jahre entstanden einige Filme, die Krimi-, Action- und Komödienelemente nutzten, um ihre arglosen, im Alltag gefangenen Hauptfiguren auf eine wilde Odyssee voller Gefahren zu schicken und uns diese mit reichlich Lokalkolorit und schwarzem Humor zu präsentieren. Neben John Landis‘ L.A.-Trip Kopfüber in die Nacht und Susan Seidelmans New-York-Abenteuer Susan … verzweifelt gesucht steuerte auch Scorsese mit Die Zeit nach Mitternacht im Jahr 1985 ein angemessenes, absurd-komisches Werk zu dieser Reihe bei.

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Wie Jeff Goldblum und Rosanna Arquette in den genannten Filmen von Scorseses Kolleg:innen muss auch Griffin Dunne als frustrierter Programmierer Paul Hackett etliches durchmachen, als es in einer schicksalhaften Nacht zu allerlei Verwicklungen, Verwechslungen und Missgeschicken kommt. Da fliegen Geldscheine aus dem Taxifenster, tauchen Leichen auf, ergeben sich falsche Verdächtigungen und entwickeln sich bizarre Situationen, die im totalen Chaos münden.

Scorsese setzt das alles mit großer Lust an der Eskalation in Szene und zeigt sein Talent für die Schaffung einer urbanen Atmosphäre, in Bars, Apartments, Hinterhöfen und U-Bahn-Stationen. Das Ensemble (darunter John Heard, Linda Fiorentino und Verna Bloom) spielt voller Energie, und das Drehbuch nimmt ein paar hübsche Wendungen, bis hin zum Schlussbild, das mehrere Interpretationen zulässt.

Andreas Köhnemann

Bringing out the Dead

Es ist einer dieser Scorsese-Filme, der sehr gerne vergessen wird. Dabei handelt es sich nach Taxi Driver und Wie ein wilder Stier um die dritte Zusammenarbeit mit dem legendären Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader (The Card Counter). Der Schauplatz ist der unter dem Namen Hell’s Kitchen bekannte Stadtbezirk in Manhattan, und Scorsese lässt die Nächte für den Rettungssanitäter Frank (Nicolas Cage) wahrlich zur Hölle werden: Tod und Verzweiflung gehören zu dessen Alltag und lassen ihn schließlich daran zerbrechen.

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Im Trailer heißt es, dass ein Leben zu retten wie eine Droge sei, ein Gefühl, als würde man sich verlieben. Wie bei jeder Droge kann man aber auch abstürzen und ganz tief fallen. Cage lässt seinen Frank förmlich zersplittern, ertränkt ihn in pechschwarzem Zynismus, durch den immer eine schmerzhafte Hoffnung auf Erlösung brüllt. Bringing Out The Dead ist kein angenehmer Film. Scorsese federt den Schmerz nicht durch Coolness ab wie in GoodFellas. In diesem Psychodrama dominiert die Dunkelheit.

Gerade weil der hervorragend besetzte Film (Patricia Arquette, John Goodman und Tom Sizemore) in der Gunst der Scorsese-Verehrer nicht allzu hoch angesiedelt ist, sollte man sich mit einem frischen und unbedarften Blick an diesen herausragenden Trip durch die Nacht wagen. 

Sebastian Seidler

Pretend it’s a City

Neben The Irishman brachte die Zusammenarbeit zwischen Scorsese und Netflix noch weitere Produktionen hervor. Etwa diese hier von Anfang 2021: Pretend it’s a City. Was offiziell unter dem Begriff Doku-Serie läuft, ist vielmehr eine siebenteilige Essay- und Interview-Reihe mit der Schriftstellerin, Denkerin und Rednerin Fran Lebowitz. Jede Episode widmet sich grob einem anderen Thema, es geht etwa um das Leben in und den Wandel von New York, um Bücher, um Sport und Gesundheit, um Kultur – und doch immer um so viel mehr.

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Denn Lebowitz schweift liebend gern ab – und bringt damit sowohl das Publikum als auch ihren Gesprächspartner Scorsese sowohl zum Nachdenken als auch zum Lachen (und das sei an dieser Stelle gesagt: Scorsese hat eine wahrlich ansteckende Lache!). Ein wunderbar kurzweiliges, erhellendes und – das darf man nicht ausblenden – unterhaltsames Projekt.

Pretend it’s a City ist exklusiv bei Netflix verfügbar.

Christian Neffe

Rolling Thunder Revue

Und noch eine Netflix-Zusammenarbeit: Martin Scorsese und Bob Dylan – zwei Meister ihres Fachs. 2019 inszenierte Ersterer (erneut, denn 2005 erschien bereits No Direction Home) eine Dokumentation über Letzteren, wobei die sich nur in zweiter Linie um Dylan selbst dreht. Im eigentlichen Fokus steht die „Rolling Thunder“-Tour, die Dylan Mitte der 70er quer durch die USA führte und auf die er zahlreiche Musiker, Künstler und Poeten mitnahm. Aus dem Material, das damals gedreht wurde, und aktuellen Interviews fügte Scorsese Rolling Thunder Revue zusammen. Im Grunde aber „nur“ ein Pseudo-Dokumentarfilm, denn einige Figuren, Szenen und Anekdoten sind überdramatisiert oder gänzlich erfunden.

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Letztlich ist das aber zweitrangig. Denn das, was porträtiert wird – Bob Dylan, seine Entourage, das Tour-Leben on the road, der Prozess des Musikmachens, die Live-Auftritte –, ist schon für sich genommen faszinierend. Als Gesamtkomposition wird es zu einer Erfahrung. Zudem wagt Scorsese etwas, das selbst in Musik-Dokus nur sehr selten geschieht: Er spielt mehrere Songs des Nobelpreisträgers in Form von Live-Auftritten über die volle Länge aus. Mit weiß gefärbtem Gesicht bellt Dylan seine Poesie in Publikum, jede Regung seines Körpers, jeder Ton aus seiner Mundharmonika oder von der begleitenden Violine ist eine Wonne. Weshalb es auch reichlich egal ist, wie wahrheitsgetreu der inhaltliche Rahmen dieses Films ist. Die Musik ist umso wahrhaftiger.

Rolling Thunder Revue ist exklusiv bei Netflix verfügbar.

Christian Neffe

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