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Couch-Perle: Time to remember Gus Van Sant

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Meinungen
Van Sant

Gus Van Sant ist dieses Jahr 70 Jahre alt geworden. Der renommierte amerikanische Filmemacher gehört zu den seltenen Vertretern seiner Zunft, die mühelos zwischen Mainstream und Arthouse, Kunst und Unterhaltung hin und her wechseln können. Sperrige Filme wie die Cobain-Todesvariation Last Days gehören ebenso zu seiner Filmografie wie zugängliche Filme für die breite Masse: Good Will Hunting oder Milk zählen zu seinen bekanntesten Filmen. Gerade diese Vielfalt macht den Regisseur so spannend. Wir empfehlen drei seiner Filme für eine kleine Werkschau auf dem Sofa: Tauchen Sie ein in die Welt des Gus Van Sant!

Drugstore Cowboy (1989)

Dieser Film gibt dem immer irgendwie unterschätzten Matt Dillon die große Bühne für eine einfühlsame und bedrückende Performance: Er spielt Bob, einen drogensüchtigen Kleinkriminellen, der mit seiner Gang Apotheken überfäll, um an Stoff zu kommen. Mit dabei sind seine Freundin Nadine (Kelly Lynch) sowie der unsichere Rick (James LeGros) und dessen sehr junge Partnerin Nadine (Heather Graham). Immer auf der Flucht vor der Polizei kommt es innerhalb der Gruppe zunehmend zu Spannungen. Dann passiert die Katastrophe, und der Tod zerreißt die „Familie“. Bob muss sich mit seinem Leben und einer möglichen Zukunft auseinandersetzen.

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Gus Van Sant entlarvt in ruhigen, zwischen Realismus und Poesie mäandernden Bildern die verschiedenen Formen von Abhängigkeiten. Die Drogen sind dabei nur ein Aspekt. Die Sucht nach Liebe und Anerkennung, die Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit treibt die Protagonisten an. Wirklich sympathisch ist keine Figur, und dennoch fühlt man mit diesen Menschen mit. Was dem Film vor allem gelingt: Er zeigt, dass Drogensucht Arbeit ist; die Sucht gibt Struktur und Halt. Das parallelisiert Van Sant mit der ermüdenden Routine des Arbeitslebens, in dem die Menschen auf wenige Handgriffe reduziert werden. Ohne dabei Drogen zu glorifizieren, wird die Frage gestellt, ob im Griff zu den Pillen nicht auch ein Wunsch nach einem intensiven Leben zum Ausdruck kommt. Nicht umsonst spielt der Beatnik-Autor Willam S. Burroughs im letzten Drittel des Films eine zentrale Rolle: Als drogensüchtiger alter Priester zeigt er die grummelnde Versuchung des Lebens, sich der Sucht in jedem Sinne hinzugeben. Drugstore Cowboy ist eine bewundernswert offener Film, der seine berührende Geschichte ohne Bitterkeit erzählt.    

Der Film ist bei Amazon Prime Video zur Leihe verfügbar.

My Private Idaho (1991)

Dieser Film ist Gus Van Sants queere Version von On the Road, dem legendären Roman von Jack Kerouac, in dem der amerikanische Schriftsteller dem lebenshungrigen Unterwegssein ein Manifest gegeben hat. Die verlorenen Seelen in My Private Idaho unterscheiden sich jedoch von den Beatniks, den Vagabunden und prekären Künstlerexistenzen von Kerouac: Eine zarte Melancholie durchzieht diese Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Strichern. Keanu Reeves und der leider viel zu früh von uns gegangen River Phoenix umkreisen sich, suchen nach dem Leben, nach Liebe und Freiheit. Die fragile Aufmüpfigkeit, die Phoenix seinem Mike verleiht, rückt ihn in die Nähe eines James Dean. Geplagt von narkoleptischen Anfällen, ist dieser Mike immer an der Grenze zwischen Wachen und Schlafen. Die Suche nach der Mutter und das Ringen um die Liebe zu seinem Freund Scott führen ihn in ein Nirgendwo: Er ist von Anfang an dort, wo er auch am Ende des Films sein wird. 

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All das erzählt Van Sant in unaufgeregten Bildern, die in ihrer Schönheit an wohl komponierte Gemälde erinnern, in denen die mythische Sehnsucht der USA nach der Weite erstarrt. Unaufdringlich und empathisch widmet sich der Film den Außenseitern, den verlorenen und verrückten Seelen, von denen sich auch Jack Kerouac immer angezogen fühlte und sich letztlich doch nicht von seiner spießigen Herkunft hat befreien können: In der Flasche suchte der Schriftsteller seinen Trost bis in den Tod. Es lohnt sich, durch die Atmosphäre von My Private Idaho hindurch On the Road zu Hand zu nehmen, dessen Geist Van Sant so unnachahmlich aktualisiert hat. In diesem Film pocht das Leben, ohne dass es sich jemals im Roadmovie-Kitsch verlieren würde.  

Der Film ist bei Amazon Prime Video zu entleihen.

Elephant (2003)

Vorsicht: Dieser Film ist schwere Kost. So sollte man vielleicht nicht unbedingt beginnen, wenn man jemandem Elephant schackhaft machen will. Elephant ist aber auch kein Film, der schmackhaft sein will. Elephant will wehtun, sich in die Seele brennen und noch lange nach dem letzten Bild darin herumwühlen. Gus Van Sant verarbeitet darin den Amoklauf an der Columbine High School im Jahr 1999. Seitdem hat es unzählige dieser Vorfälle in den USA gegeben. Daher hat der Film – leider – nichts an seiner Gegenwärtigkeit eingebüßt und kein bisschen seiner erschütternden Wucht verloren.

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Eine klassische Handlung gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich um eine nicht chronologische Chronologie einer Tat, deren Beweggründe hier angehäuft werden, nur um sich gleich wieder in Luft aufzulösen: Zwei Schüler einer Highschool ziehen bewaffnet durch die Gänge der Schule und erschießen wahllos Menschen. Diese werden uns in Miniaturen des Schulalltags vorgestellt. Wir folgen den Schülerinnen und Schülern durch die Gänge; die Kamera heftet sich an die Fersen der jeweiligen Protagonist:Innen, deren Leben ein jähes Ende finden wird, in der konkreten Bewegung aber eine Offenheit zur Form werden lässt, die sich der Zukunft zuwendet. Das Erschreckende liegt dann gar nicht so sehr in den mitunter expliziten Szenen, als im filmischen Gewebe selbst: Die Art, wie Gus Van Sant seinen Film zu einer anklagenden Frage werden lässt, ist bis heute von tragischer Größe.  

Elephant ist bei Sky zu sehen.

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