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Couch-Perle: The Toll of the Sea

Ein Beitrag von Christian Neffe

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The Toll of the Sea
The Toll of the Sea

Vor 100 Jahren entdeckte das Kino mit diesem Film die Farbe. Obwohl, so ganz stimmt das natürlich nicht. Schon zuvor gab es nachträgliche, aber eben auch höchst aufwendige Kolorierungsverfahren, und bereits im Jahre 1917 erblickte mit The Gulf Between das Technicolor-Verfahren das Licht der Welt bzw. Leinwände. Das war damals, in seiner ersten Ausführung, allerdings noch verdammt teuer und brachte viele technische Schwierigkeiten mit sich. 1922, in der zweiten Technicolor-Ausführung, erfolgte dann der Wechsel vom additiven auf einen subtraktiven Farbenprozess, war damit auch bei Standardprojektoren möglich, deutlich günstiger, und das erste — auch kommerziell höchst erfolgreiche — Ergebnis war dieser Film: The Toll of the Sea.

Die Regiearbeit von Chester M. Franklin war zugleich die erste Hauptrolle für die große Anna May Wong. Die verkörpert hier eine junge chinesische Frau, die einen US-Amerikaner (Kenneth Harlan) an der Küste im Wasser treibend entdeckt. Sie rettet und verliebt sich in ihn, doch der bricht sein Versprechen, sie mit in die USA zu nehmen, und lässt sie schwanger zurück. Als er nach Jahren zurückkehrt, inzwischen mit einer Landsfrau liiert, zerschlägt er die letzten Hoffnungen seiner ehemaligen Geliebten auf ein Leben in den ach so freien USA. Die gibt das Kind daraufhin in die Obhut der neuen Partnerin — und nimmt sich anschließend das Leben.

The Toll of the Sea ist eine tragische Schmonzette von beeindruckender Schönheit: Schon in den ersten Einstellungen lässt das Technicolor-Verfahren seine Muskeln mit dem Kontrast zwischen roten Rosen und dem grünen Kleid der Hauptfigur spielen. Fast könnte man diesen Bildern erliegen — wäre da nicht dieses massiv rassistische Stereotyp, auf das sich die eigentlich harmlose, an Puccinis Madama Butterfly angelehnte Geschichte stützt. Wongs Figur „Lotusblume“ entspricht dem Klischee von der „exotischen“ Schönheit, die für den westlichen Mann zwar reizvoll, aber gesellschaftlich nicht tragbar ist. So gibt es auch keine echte sichtbare Zuneigung in Form eines Kusses zwischen ihr und dem Mann, der sie belügen und im Stich lassen wird, und am Ende sogar von ihr freigesprochen werden wird: „There is nothing to forgive“, versichert ihm Lotusblume bei seiner Rückkehr. Zum Schluss wählt sie den Freitod, währen der Ex-Liebhaber das Kind mitnehmen darf, das er über fünf Jahre in der Obhut seiner Mutter ließ.

Aus heutiger Perspektive, 100 Jahren nach seiner ursprünglichen Premiere am 26. November 1922, ist dieser Film dennoch sehenswert, ja im Grunde Pflicht für alle filmhistorisch Interessierten. Einerseits in historisch-technischer Hinsicht und wegen Anna May Wongs Debüt, andererseits weil er den damaligen Rassismus Hollywoods/der USA gegenüber Menschen mit ostasiatischen Wurzeln auf 53 Minuten verdichtet — und dadurch zeigt, was sich inzwischen zum Glück geändert hat.

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