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Couch-Perle: Sisters – Die Schwestern des Bösen

Ein Beitrag von Julian Stockinger

Auf MUBI gibt es mit „Sisters“ einen sehr frühen Film von Brian De Palma zu bestaunen: bestes Filmfutter für Halloween. 

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Sisters

Es braucht keinen Anlass, um über Brian De Palmas frühes Meisterwerk zu schreiben. Dieser Tage gibt es gar zwei. Pünktlich zu Halloween erscheint „Sisters – Die Schwestern des Bösen“ auf MUBI und nur wenige Tage später wird der gleiche Film ein halbes Jahrhundert alt. Am 18. November 1972 feierte die abgründige Hitchcock-Hommage seine Weltpremiere in Los Angeles. Höchste Zeit also, sich den Streifen nochmal unter die voyeuristische Lupe zu nehmen.

Macht, Sex und Wahnsinn: Was sich anhört wie ein verloren gegangener Essayband von Michel Foucault, stellt das thematische Nervenzentrum gleich mehrerer Filme von Brian De Palma dar. Machtbeziehungen, die in Sisters (und in anderen an Hitchcock angelehnte Filme De Palmas) über den voyeuristischen und kontrollierenden Blick definiert werden. Unterdrückte Sexualität, die sich mitunter im Wahnsinn verkörpert und im Mord eskaliert. Filme wie Obsession (1976), Dressed to Kill (1980), Body Double (1984) oder eben Sisters sind durchdrungen von diesen Themen und Brian De Palma lässt es sich nie nehmen, sie auch metareferenziell zu bearbeiten.

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Gleich zu Beginn beobachten wir einen Mann in einer Männer-Umkleidekabine, der seinerseits eine blinde Frau im Blick hat. Sie ist im Begriff, sich zu entkleiden, was ihn in einen moralischen Konflikt mit sich selbst versetzt. Sollte er ihr sagen, dass sie in der falschen Kabine ist, oder sollte er sich seiner voyeuristischen Neigung hingeben? Apropos Voyeurismus: Sogleich erfahren wir, dass unser Blick nicht allein der unsere ist, sondern dass wir der Situation aus Perspektive einer versteckten Kamera folgen. Der Mann ist in die Falle der Reality-TV-Show Peeping Tom getappt.

Machtbeziehungen wechseln in De Palmas hochgradig künstlicher Filmwelt ganz plötzlich ihre Pole. Der Beobachter wird zum Beobachteten, die Handlungsfähige zur Gefangenen, die Aufdeckerin zu jener Person, die alles verschleiert. Der Anfang von Sisters legt uns mit einigen wenigen Kameraeinstellungen offen, worum es im Film geht und das, ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen. Später im Film wird sich das freilich ändern, denn wir haben es nicht nur mit einem intellektuellen Gedankenspiel eines Hitchcock-Fanboys zu tun.

Passend zu Halloween ist De Palmas Frühwerk ein nach wie vor gut funktionierender Psychothriller, der zu verstören weiß. Weniger aufgrund der Auflösung, denn die schafft es, allein wegen der starken Bezüge zu Psycho (1960), nicht wirklich zu überraschen. Vielmehr ist es die meisterhafte Inszenierung an sich, die den Film auch nach 50 Jahren noch zu einem Erlebnis macht. De Palma ist wie sein großes Vorbild ein Beherrscher des Suspense und ein wahrer Aficionado der filmischen Form. Er hält die Kamera aber auch da drauf, wo Hitchcock seinerzeit „Cut!“ schreien musste.

Natürlich ist De Palma nicht die einzige filmschaffende Person, die wusste, die zensurtechnisch gewonnenen Freiheiten der 1970er für sich zu nutzen und Hitchcock, wenn man so will, weiterzudenken. Ähnlich und dann doch wieder ganz anders machte es im selben Jahrzehnt Dario Argento, der dem italienischen Giallo zu seiner absoluten Höchstform verhalf. Oder auch John Carpenter, mit der Etablierung des amerikanischen Slasher-Films durch Halloween (1978). Doch dieses Jahr wollen wir am 31. Oktober nicht schon wieder dem namenstechnisch naheliegendsten Film-Franchise frönen. Dieses Jahr ergötzen wir uns ganz ohne Scham am verführerisch-subversiven Voyeurismus von Brian De Palma. Happy Halloween, folks!

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