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Willkommen bei den Spielbergs: Steven Spielberg und die liebe Familie

Ein Beitrag von Patrick Torma

„Die Fabelmans” gilt als persönlichster Film von Steven Spielberg. Aber: War sein Kino nicht immer schon sehr persönlich? Patrick Torma analysiert das Werk des Familienfilmers.

Meinungen
Indiana Jones / Minority Report / Jaws, Steven Spielberg / Sean Connery / Tom Cruise
Spielbergs Vaterfiguren: Sean Connery in Indiana Jones, Tom Cruise in Minority Report und Roy Schneider in der Weiße Hai

In dem semi-autobiografischen Drama „Die Fabelmans” inszeniert Steven Spielberg offen wie nie eine von familiären Spannungen geprägte Jugend. Die biografischen Erfahrungen des mittlerweile 76-jährigen Filmemachers färben aber seit jeher auf dessen Schaffen ab. Seine Familienfilme sind von dysfunktionalen Familien durchsetzt, und auch in Filmen, von denen man es nicht gleich vermuten würde, spielen Blutsbande eine wichtige Rolle.

Nicht, dass der spätere Weltregisseur in prekären Verhältnissen aufgewachsen wäre – im Gegenteil: Den Spielbergs ging es wirtschaftlich gut. Dafür sorgte Vater Arnold, ein tüchtiger wie erfolgreicher Elektroingenieur. Er war es, der dem zehnjährigen Steven seine erste 8-mm-Kamera schenkte und später auch jenes Kino anmietete, in dem der angehende, damals noch jugendliche Filmemacher seinen ersten Langfilm Firelight vorführen durfte. Erkauft war diese Form der Filmförderung jedoch mit der beruflichen Vereinnahmung des Vaters, die – in den Augen des Sohnes – ursächlich dafür war, dass es mit dem Familienglück zu Ende ging: 1966 ließen sich die Eheleute Spielberg scheiden. 

 

Zerrüttete Verhältnisse als Normalzustand

Eine prägende Erfahrung: Trennungskinder, alleinerziehende Mütter und strauchelnde Väter, Waisen und Ausgestoßene – blickt man auf die Familienkonstellationen im Œuvre Spielbergs, dann fällt auf, dass zerrüttete Verhältnisse der Normalzustand sind. Die heile Welt ist bei Spielberg alles andere als selbstverständlich, in aller Regel ist sie hart erkämpft, manchmal nichts weiter als eine Illusion. So fantastisch viele seiner Filme sind, gibt sich Spielberg ausgerechnet im Familiären wenig Verklärung hin. Seine Geschichten werden so zur Projektionsfläche: Welche Familie kommt schon ohne Päckchen daher?  

Bereits in Spielbergs zweitem Kinofilm werden die für die US-amerikanische Volksseele so wichtigen „family values“ auf die Probe gestellt. In Sugarland Express (1974) versuchen Goldie Hawn und William Atherton mit drastischen Mitteln, die Kernfamilie wiederherzustellen. Sie, eine arbeitslose Kosmetikerin, befreit ihn eigens aus dem Knast. Dann kapern die beiden einen Streifenwagen, um auf ihrer Flucht ihren bei Pflegeeltern lebenden Sohn loszueisen. Weil zum Inventar des Polizeiboliden allerdings auch ein Cop gehört, der den Trip nun als Geisel mitmacht, geraten die Eltern in der öffentlichen Wahrnehmung zu Wiedergängern des legendären Gangster-Pärchens Bonnie und Clyde. 

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Deutliche Bezüge zu Spielbergs Biografie lassen sich in Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) herauslesen. Es braucht nicht viel, um in dem jungen Barry (Cary Guffey), der in der Obhut seiner Mutter aufwächst und nachts von unerklärlichen Phänomenen aus dem Haus gelockt wird, den kindlichen Steven und dessen Faszination für UFOs zu erkennen. Außerdem ist da noch Familienvater Roy Neary (Richard Dreyfuss), der sich im Finale von den außerirdischen Besuchern an Bord ihres Raumschiffes holen lässt – ein möglicher Fingerzeig an Spielbergs alten Herrn, der für sein berufliches Vorankommen Umzüge quer durch die Staaten in Kauf nahm und seine Familie so wiederholt entwurzelte.

 

Väter haben’s schwer

Vaterfiguren haben es in der Anfangsphase von Spielbergs Karriere schwer: Als Vorbilder scheinen sie ihm nicht zu taugen. Selbst einer Heldenfigur wie Martin Brody (Roy Scheider) in Der weiße Hai (1975) gelingt es nicht, den Erwartungen an den perfekten Vater gerecht zu werden. Auch wenn der Film es nur am Rande anspricht, so wird doch deutlich, dass die Knorpelfisch-Obsession des Sheriffs das Familienleben belastet. 

In E.T. – Der Außerirdische (1982) glänzt der Vater mit Abwesenheit, den „Laden“ hält – einer latenten Überforderung zum Trotz – die Mama (Dee Wallace-Stone) zusammen. Verlustängste sind allgegenwärtig: in der Gefühlswelt Elliotts (Henry Thomas), der ein derart enges Band zu seinem außerirdischen Vaterersatz knüpft, dass er mit ihm einzugehen droht, aber auch in E.T.s manischem Drang, die extraterrestrische Sippschaft anzurufen, obwohl die umgekehrt nur halbherzig versucht, den auf der Erde vergessenen Spross zu kontaktieren. Der Film wirbelt Gefühle auf, die nahezu jeder – ob klein oder groß, wohlbehütet aufgewachsen oder nicht – nachvollziehen kann. 

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In Die Farbe Lila (1985) hingegen wünscht man sich, der Vater von Celie (Desrata Jackson / Whoopi Goldberg) hätte die Familie schon längst verlassen. Das tyrannische Familienoberhaupt (Adolph Caesar) vergewaltigt und schwängert seine vierzehnjährige Tochter und verhökert sie schließlich an den nicht minder misogynen Farmer Albert (Danny Glover). 

Eine der ikonischsten Vater-Sohn-Beziehungen der Filmgeschichte entspinnt sich in Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989). Die Nörgeleien des Seniors (Sean Connery), die Vorwürfe des Juniors (Harrison Ford), das Konkurrenzgehabe um die historische Deutungshoheit (und die blonde Elsa, Alison Doody) – all das sorgt im Kontext einer rasanten Abenteuerhatz für beste Buddy-Movie-Unterhaltung, auch weil man sich an eigene familiäre Konflikte erinnert fühlt, ohne aus der Handlung geschleudert zu werden. 

In der Gralsbesessenheit von Professor Dr. Henry Jones spiegelt sich erneut die Abwesenheit von Spielbergs Vater Arnold wider. Dieses Mal fährt der Abspann versöhnlich ab: Zwar reiten Vater und Sohn ohne das Geheimnis des ewigen Lebens davon, jedoch in der Erkenntnis, etwas Wichtigeres gefunden zu haben: eine Verbundenheit im Hier und Jetzt. Schön ist auch die Fußnote in Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels (2008): In dem viel gescholtenen vierten Teil der Reihe erkennt „Indy“ in der Beziehung zu seinem unehelichen Sohn „Mutt“ (Shia LaBeouf), dass er in mancher Hinsicht ganz nach seinem alten Herrn geraten ist.

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Der Wandel

Vielleicht liegt es an Spielbergs eigener Scheidung von der Schauspielerin Amy Irving, Mutter seines Sohnes Max, dass der Regisseur fortan konstruktiver auf das Wesen des Vaterseins blickt? Nach dem letzten Kreuzzug rücken die Väter in ihrer Rolle als Bezugspersonen und Beschützer jedenfalls verstärkt in den Fokus. Freilich müssen sie sich dieses Vertrauen erst erarbeiten. In Hook (1992) ist der Junge, der niemals erwachsen werden wollte, zu einem duckmäuserischen, unaufmerksamen Bürohengst mutiert. Was in Nimmerland selbst den alten Freibeuter Hook (Dustin Hoffman) schockiert, denn eigentlich hatte er geplant, seinen ewigen Widersacher Peter Pan (Robin Williams) in einem ehrenhaften Kampf zu besiegen. Der erhält einen Aufschub, um in Form zu kommen. Bevor Pan seine Kinder aus der „Adoption“ Hooks befreien kann, muss er lernen, die Welt wieder durch Kinderaugen zu betrachten.

In Jurassic Park (1993) halten es die abwesenden Eltern der Geschwister Lex und Tim für eine blendende Idee, sie auf eine Insel mit ihrem verschrobenen Onkel mit Götterkomplex abzuschieben. In der Fortsetzung Vergessene Welt (1997) ist es der Chaostheoretiker Ian Malcolm (Jeff Goldblum), der erst den Überlebenskampf gegen tödliche Tyrannosaurier und Velociraptoren antreten muss, um sich der Verantwortung für Töchterchen Kelly (Vanessa Lee Chester) bewusst zu werden. 

In dem Zukunftsthriller Minority Report (2002) schafft es Tom Cruise nicht, den schmerzhaften Verlust seines Sohnes zu verhindern. Dafür erhält der Hollywood-Star in Krieg der Welten (2005) eine zweite Chance: In dem Invasionsspektakel nach H.G. Wells versucht er in der Rolle eines Kranführers, Familie und Zuversicht zu bewahren – in der nicht näher benannten Zukunft schwingt die Verunsicherung durch die Anschläge des 11. September 2001 mit. Dass Alien-Angriffe und andere Weltuntergangsszenarien bestens geeignet sind, familiäre Gräben zu überwinden, ist im Kino common sense (man frage etwa nach bei Roland Emmerich, der einst mit dem spöttischen Beinamen „Spielbergle von Sindelfingen“ bedacht wurde). 

Noch mehr stellt Spielberg den Wert der Familie im Angesicht realer Katastrophen heraus. Der erste Anlauf ist etwas in Vergessenheit geraten: In Das Reich der Sonne (1987) wird ein junger Christian Bale während des Einmarschs japanischer Truppen im chinesischen Shanghai von seinen Eltern getrennt. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges trifft er auf den Herumtreiber Basie (John Malkovich), der den Elfjährigen zunächst zu Geld machen möchte. Schnell aber entwickelt sich eine Beziehung, die zweckgetrieben ist, letztlich aber Züge einer Ersatzfamilie trägt und so das Überleben in der Kriegsgefangenschaft sichert. 

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In Schindlers Liste (1993) wird die Familie zum Sinnbild ultimativen Zusammenhalts bis in den Tod hinein. Für diesen Film setzte sich Spielberg, dessen Großeltern aus Furcht vor antisemitischen Pogromen aus Russland in die USA emigrierten, mit der eigenen Herkunft auseinander. Dass Spielberg die Shoah mithilfe tragischer Familiengeschichten bebildert und die Dimensionen des Völkermordes in gewisser Weise herunterbricht, brachte ihm den Vorwurf ein, er trivialisiere den Holocaust. Tatsächlich prägte Schindlers Liste die kollektive Vorstellung von den Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden derart, dass der Film als ein cineastischer Meilenstein gilt, der die Auseinandersetzung mit diesem Thema maßgeblich angeschoben hat und heute noch zu Unterrichtszwecken eingesetzt wird. 

 

Mit aller Gewalt

Die Hochachtung vor der Familie treibt Der Soldat James Ryan (1998) auf die Spitze. Es ist ein filmischer Salutschuss – pathetisch und effektvoll zugleich. Technisch herausragend und mit viel Aufwand inszeniert, bleibt der Antikriegsfilm vor allem für die schonungslose Darstellung der Landung in der Normandie in Erinnerung. Inmitten des Wahnsinns erhält eine Einheit um Captain John Miller (Tom Hanks) den Auftrag, einen einzelnen Mann (Matt Damon) zu evakuieren, um den Ryans den Verlust ihres vierten und damit letzten verbliebenen Sohnes zu ersparen. Miller und seine Männer gehen so weit, ihr Leben für den Erhalt einer ihnen unbekannten Familie zu opfern. Stoff, aus dem US-Pathos gemacht ist – der tatsächlich aber auf wahren Begebenheiten fußt. 

In Der Soldat James Ryan und Krieg der Welten wird das Konzept der Familie mit aller Gewalt verteidigt. Doch Spielberg kann’s auch ambivalenter: In A.I. – Künstliche Intelligenz (2001) tröstet sich das Ehepaar Swinton mit einem Roboterjungen namens David (Haley Joel Osment) über den Quasi-Verlust des leiblichen Sohnes hinweg. Uneingeschränkt auf Liebe programmiert, scheint David seinen Platz in der Welt zu finden. Doch dann erwacht unerwartet das echte Kind der Swintons aus dem Koma. Plötzlich ist David ein Störfaktor – und müsste dem Protokoll nach zerstört werden. Stattdessen wird er von Mama Swinton (Frances O’Connor) ausgesetzt. Für den Androiden beginnt eine Odyssee durch eine moralisch fragwürdige Zukunftsvision, die zwar ein kathartisches Ende bereithält, gleichzeitig aber Familienglück zu einer flüchtigen Utopie erklärt.

Dass nicht jedem Menschen familiäre Bande vergönnt sind, diese Erkenntnis setzt sich schließlich in den jüngsten Werken Spielbergs durch: Sowohl in BFG – Big Friendly Giant (2016) als auch in Ready Player One (2018) haben wir es mit Waisenkindern zu tun, die sich in die Fantasie bzw. in virtuelle Welten flüchten. Und manchmal muss man sich ganz bewusst von der Familie lösen, um sich weiterzuentwickeln – man denke an Die Verlegerin Katharine Graham (2017, Meryl Streep), die aus dem Schatten ihres verstorbenen Gatten tritt, um als Frau in einer Männerdomäne die Geschicke der Washington Post zu lenken, oder an die sinnlosen Clan-Fehden in der Musical-Neuverfilmung West Side Story (2021).

Die Familie war und ist ein Dauerthema bei Spielberg und es ist bemerkenswert, wie viele unterschiedliche Perspektiven er in 50 Jahren Hollywood auf dieses Sujet eröffnet hat. Ob Spielberg diesen Reigen mit Die Fabelmans erweitert oder ob sich für den harmoniebedürftigen Regisseur gar ein Kreis schließt, wird der Film ab dem 9. März zeigen.

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