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... und das Kino denkt sich selbst (III): Kino als Ort des Schreckens

Ein Beitrag von Mathis Raabe

Dritter Teil unserer Jahresserie Korpus Kino. Und das ist im Grunde ganz einfach: Kino kann erschrecken. Ach, muss es manchmal auch.

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The Final Girls / The Blob / Dämonen 2

Das Kino ist ein Gemeinschaftsort, aber ist es ein Safe Space? In dem Moment, in dem sich die Saaltür schließt und das Licht ausgeht, liefert sich das Publikum der Vorführung aus. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den das Kino ausnutzen kann – auf produktive wie auf destruktive Art und Weise.

Vor allem Horrorfilme haben dieses Ausgeliefertsein auch auf einer filmischen Meta-Ebene betrachtet. Lamberto Bavas fantastischer Film Dèmoni (1985), in Deutschland unter dem verwirrenden Titel „Dämonen 2“ vertrieben, weil er hierzulande erst nach seinem Sequel erschien, spielt im Kino Metropol am Berliner Nollendorfplatz, heute eine Konzert-Location. Ein voller Kinosaal findet sich dort zur Premiere eines Horrorfilms ein. Das Geschehen auf der Leinwand springt bald auf den Zuschauerraum über. Menschen verwandeln sich in Dämonen. Ausgänge werden verbarrikadiert. Das Kino wird zur Todesfalle. Eine Figur kommt auf die Idee, den Projektor zu zerstören. Die Vorführung endet – doch der Schrecken geht weiter. Er ist bereits von der Leinwand in die Welt gekommen und hat sich festgesetzt.

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Der Slasher ist ein Subgenre, das sich vor lauter Meta-Reflexion längst selbst aufgefressen und seinen Schrecken verloren hat. Immerhin: The Final Girls (2006) thematisiert die Verknüpfung von filmischem Schrecken und realweltlichem Trauma. Hier springt nicht der Horror von der Leinwand in den Zuschauerraum, sondern die jungen Protagonist*innen des Films fliehen vor einem Brand im Kinosaal in die Leinwand. In eine Fiktion eingesogen zu werden, ist ein wiederkehrendes Motiv in der Kulturgeschichte und wohl eine Sehnsucht vor allem junger Leser*innen von beispielsweise Die unendliche Geschichte. Statt einen sanftmütigen Drachen zu reiten, müssen die Protagonist*innen von The Final Girls aber vor einem Serienkiller fliehen. Noch dazu ist das Final Girl des Films im Film, also die weibliche Hauptfigur, die am Ende überleben soll, die verstorbene Mutter der jungen Protagonistin. Dadurch verhandelt der Film die Fähigkeit des Kinos, Zuschauende zu retraumatisieren, oder aber durch eine herausfordernde Seherfahrung Verarbeitung und Katharsis zu ermöglichen, und wie dünn die Grenze zwischen diesen Erfahrungen sein kann.

Auch in der 1988er-Version von The Blob wird ein ganzer Kinosaal von dem titelgebenden gallertartigen Zwischenwesen verschlungen. Dort sind vor allem junge Menschen zugegen, die sich – natürlich – einen Slasherfilm ansehen. All diese Filme attackieren die Vorstellung des Kinosaals als Safe Space für vor allem junge Menschen. Slasher haben historisch gesehen ein junges Publikum, sind bei älteren Generationen oft auf Grund ihrer Gewaltästhetik verschrien. Und so werden die Kinosäle in Final Girls, The Blob und Dämonen 2 von jungen Menschen bevölkert, die sich dort vor der konservativen gesellschaftlichen Außenwelt zurückziehen wollen – doch dann bricht der Schutzraum zusammen.

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Auch die kathartische Schreckenserfahrung ist wie erwähnt eine Fähigkeit des Kinos – dazu muss kein spezifisches Trauma auf der Leinwand verhandelt werden. Filme, in denen menschliche Körper geschunden und zersetzt werden ermöglichen eine Auseinandersetzung mit der Materialität des eigenen Körpers und mit der eigenen Sterblichkeit. Für viele Horrorfilm-Fans liegt gerade darin ein Genuss, selbst wenn die Reaktionen auf einen Film körperlich sind: Nicht umsonst haben diverse Horrorfilme den Schrecken im Zuschauerraum sogar zur Marketingkampagne gemacht.

Das berühmteste Beispiel ist wohl Der Exorzist. Von der Europapremiere des Films in London wurde berichtet, es seien so viele Zuschauende in Ohnmacht gefallen, dass der Kinosaal am Ende eher ein Erste-Hilfe-Schauplatz war. Ein Kinobetreiber in Toronto soll für Vorführungen des Films immer einen Klempner vor Ort gehabt haben, falls sich so viele Leute übergeben, dass die Toiletten verstopfen. Der legendäre und oft zitierte Trailer zu Wes Cravens The Last House on the Left gibt dem Publikum gleich eine Coping-Strategie an die Hand: „Um nicht in Ohnmacht zu fallen, wiederhol immer wieder: Es ist nur ein Film.“ Das ist natürlich zynisch. So sehr eine Schreckenserfahrung im Kino kathartisch sein kann – man muss nur an exploitative Beispiele des Rape-and-Revenge-Films denken, dann wird klar, dass das Kino den Vertrauensvorschuss, den ihm sein Publikum entgegenbringt, auch schon oft missbraucht hat.

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Zuletzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass es noch einen zweiten wichtigen Grund gibt, dem Kino nicht zu vertrauen: seine Fähigkeit zur Propaganda – nicht nur in Form von Naturalisierungen des Kapitalismus, wie sie von der Ideologiekritik nach Siegried-Kracauer-Schule herausanalysiert und ans Tageslicht gezogen werden sollen, sondern auch in Form faschistischer Narrative. Nicht umsonst lässt Tarantino in Inglorious Basterds, seiner kontrafaktischen Neuerzählung der letzten Tage des Dritten Reichs, ein Kino niederbrennen.

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