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„Ich will fortleben, auch nach meinem Tod!“ - Anne Frank im Film

Ein Beitrag von Markus Fiedler

Der Animationsfilm „Wo ist Anne Frank?“ wagt den Spagat zwischen Nazizeit und aktuellen Ereignissen. Aber er ist nicht der Erste, der sich mit dem Schicksal der jungen Frau filmisch auseinandersetzt.

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Filmstill zu Where Is Anne Frank (2021) von Ari Folman
Where Is Anne Frank (2021) von Ari Folman

Sich einer historischen Figur zu nähern, ist für Filmemacher nie ganz leicht. Anne Frank liefert allerdings genug Möglichkeiten für Authentizität. Denn von Annelies Marie Frank, 1929 in Frankfurt am Main geboren, 1934 mit ihrer Familie vor den Nazis nach Amsterdam geflohen, von 1942 bis 1944 in einem Hinterhaus versteckt und im Februar oder März 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordet, blieb etwas erhalten. Zum einen ihr weltberühmtes Tagebuch, das sie an ihre imaginäre Freundin Kitty schrieb, die Figur, die Ari Folman zum Leben erwachen lässt. Zum anderen aber auch Zeitzeugen wie ihr Vater Otto, der als einziger der Familie den Naziterror überlebte. Er konnte nicht nur die Tagebücher als Buch auf den Markt bringen, sondern auch viel über seine Tochter erzählen. Daher ist die Person Anne Frank mehr als ein Name auf einem Grabstein – sie ist bis heute lebendiges Mahnmal einer der dunkelsten Stunden der Menschheit.

Die erste Verfilmung

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Bereits in den 50er Jahren schrieb das Autoren-Ehepaar Frances Goodrich und Albert Hackett ein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Theaterstück, das sich mit dem Leben und Sterben von Anne Frank beschäftigte und 1959 schließlich auch als Film adaptiert wurde. Die Regie für Das Tagebuch der Anne Frank übernahm George Stevens, der bereits 1952 einen Regie-Oscar für Ein Platz an der Sonne und 1957 einen weiteren für das James Dean-Dramas Giganten gewonnen hatte – und auch für Das Tagebuch der Anne Frank für einen nominiert wurde.

© 20th Century Fox

Insgesamt wurde der Film achtmal nominiert und gewann drei Preise. Für viele Kritiker ist er bis heute die beste Verfilmung des Stoffes. Tatsächlich hält sich Stevens bei einigen dramaturgischen Veränderungen eng die Vorlage und beendet seinen Film mit dem Ende von Anne Franks Aufzeichnungen, ihr späteres Schicksal wird lediglich erzählt, aber nicht gezeigt. Die Titelrolle spielte die Debütantin Millie Perkins, die nach einem gewissenhaften Casting gefunden worden war und mit dem Film eine lange Karriere begann. Obwohl Perkins bei vielen Kritikern nicht als perfekte Besetzung wahrgenommen wurde, sparten sie für den Film nicht mit Lob. Er sei „ein erschütterndes Kriegsfilmdrama, der das Thema mit gebührender Ehrfurcht und Respekt“ behandele.

In der Tat galt Stevens‘ Werk lange Zeit als Meilenstein, der sich nicht verbessern ließe. Erst 1980 entstand eine zweite Verfilmung, für die erneut Goodrich und Hackett das Script verfassten, in dem die Kritik allerdings keine „Innovation im Vergleich zur Fassung von 1959“ erkennen konnte. Dennoch konnte auch diese Umsetzung mit Melissa Gilbert (Unsere kleine Farm) als Anne Frank und Maximilian Schell als ihrem Vater gute Kritiken verzeichnen. Allerdings wurde häufiger, bei dieser fürs amerikanische Fernsehen gedrehten Version, der typische TV-Look bemängelt. Berührend sei Das Tagebuch der Anne Frank dennoch.

Europa traut sich

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1987 wagt sich erstmals ein europäisches Team an die Verfilmung von Anne Franks Schicksal: Die BBC lässt 1987 eine vierteilige Serie drehen, die später zu einem zweistündigen Spielfilm umgeschnitten wird. Auch die britische Version hält sich eng an die Vorlage und spart optisch das Ende der meisten Figuren aus. Stattdessen wird per Standbild und Text erzählt, welches Schicksal sie ereilte. Die Version gilt als leicht spröde, aber authentische Erzählung, der die Vorlage respektvoll umsetzt.

1995 beschäftige sich Dokumentarfilmer Jon Blair ebenfalls mit Anne Frank, ließ in seinem Film Anne Frank – Zeitzeugen erinnern sich Überlebende von damals zu Wort kommen, mit Miep Gies auch eine der Helferinnen, die die Familie Frank versteckten. Blair gewann damit den Oscar als Bester Dokumentarfilm im darauffolgenden Jahr.

Weil Blair hier den Überlebenden eine Stimme gibt und ihre Erinnerungen für die Nachwelt erhalten hat, ist sein Werk, obwohl er das berühmte Tagebuch selbst nur in Auszügen vorlesen lässt, seinen Inhalt aber nicht verfilmt, sondern nur mit Szenen der Originalschauplätze unterlegt, ein wichtiger Baustein in der Aufarbeitung des Lebens und Todes von Anne Frank.

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Eine Annäherung anderer Art versuchte 2001 der österreichische Filmregisseur Robert Dornhelm. Weil die Filmrechte für die Tagebücher bei FOX lagen, nutzte Dornhelm die Biografie über Anne Frank von Melissa Müller und drehte einen Zweiteiler fürs Fernsehen. Dabei stand das Team vor der Aufgabe, die Geschichte zu erzählen, ohne auch nur eine einzige Zeile aus den Tagebüchern verwenden zu dürfen. Dafür erzählt der Film Anne Frank das Leben der Protagonisten bis zum Ende, zeigt Bilder aus Bergen-Belsen und das Sterben dort, auch wenn Annes Tod selbst nicht gezeigt wird. Dornhelm konnte für seine Fassung auf einige Stars zurückgreifen: Neben Joachim Krol spielten auch Ben Kingsley und Lili Taylor große Rollen in seinem Film. Dornhelms neuer Blick auf die Geschichte ist auch ohne Tagebuch-Auszüge ergreifend – und kam gut an. Der Film gewann mit dem Emmy den bedeutendsten Fernsehpreis als Beste Mini-Serie.

Die deutsche Version bekommt Prügel

Erst 2016, mehr als 60 Jahre nach dem Tod Anne Franks, wagte sich mit Hans Steinbichler ein deutscher Regisseur an die Geschichte des jüdischen Mädchens, das die Gräuel der Nazizeit für die Nachwelt so bewegend festgehalten hatte. Obwohl der Film Das Tagebuch der Anne Frank heißt, richtet er den Fokus auch auf andere Aspekte. So beschäftigt sich Steinbichler auch mit der persönlichen Entwicklung seiner Hauptfigur, thematisiert das Erwachen der Sexualität und die Veränderung der Persönlichkeit durch die extreme Situation im Versteck.

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Steinbichler wollte seinen Film aus der subjektiven Sicht Annes erzählen, das Publikum so direkt wie möglich ansprechen, weswegen seine Hauptdarstellerin Lea van Acken häufiger direkt in die Kamera blickt, wenn sie etwas zu sagen hat. Meist sind es Sätze aus dem Tagebuch, die hier ausgesprochen werden. Als weitere Abgrenzung zur reinen Tagebuch-Verfilmung zeigt auch Steinbichler Anne Frank im KZ, inszeniert das Sterben. Im Kino war er mit gut 400000 Zuschauern kein großer Erfolg, die Kritiken fielen größtenteils aber wohlwollend aus. Allerdings gab es Ausnahmen wie die FAZ oder der Spiegel, die heftige Verrisse veröffentlichten.

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In dieser respektablen Reihe von Verfilmungen nimmt daher Ari Folmans neuer Film Wo ist Anne Frank? eine besondere Stellung ein. Denn er geht mit Abstand am mutigsten an die Geschichte heran und stellt Anne Franks Schicksal in eine Relation zu aktuellen Ereignissen mit Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Damit nimmt er den Verbrechen von damals nichts von ihrer schrecklichen Einmaligkeit, der Holocaust bleibt das schlimmste Verbrechen, das je von Menschen begangen wurde, aber er zeigt, dass auch heute großes Unrecht geschieht und die Tür zu noch schlimmeren Taten weit offensteht. Obwohl Folman mit dem naiven Blick seiner Erzählerin Kitty auch Hoffnung verbreitet, so weist er doch auf die niederschmetternde Erkenntnis hin, dass der Mensch aus den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs noch immer nicht genug gelernt hat.

Anne Franks Leben, das sie so eindrucksvoll in ihrem Tagebuch festgehalten und so der Nachwelt ein emotionales Schwergewicht von einem Buch hinterlassen hat, steht stellvertretend für Millionen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten. Ob jede Generation eine Verfilmung davon braucht? Solange Flüchtlingsheime brennen, Menschen wegen der Leugnung des Holocausts vor Gericht gestellt werden müssen und ein brauner Mob sich als Herrenrasse feiert – unbedingt!

 

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