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Zwischen Realismus und Batman – Im Gespräch mit Fatih Akin

Ein Beitrag von Sonja Hartl

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Fatih Akin

In Aus dem Nichts erzählt Fatih Akin von Katja, deren Mann und Sohn bei einem Bombenanschlag sterben – und deren Leben fortan aus Trauer und dem Wunsch nach Gerechtigkeit besteht. Dieser Film brachte Hauptdarstellerin Diane Krueger den Darstellerinnenpreis in Cannes ein und geht für Deutschland ins Oscar-Rennen. Sonja Hartl hat mit Fatih Akin telefoniert.

Den Taten des NSU und dem Gerichtsprozess kann man sich auf verschiedene Weisen nähern. Wie würden Sie Ihren Weg beschreiben?

Mein Film erzählt nicht den Fall des NSU, es ist kein Film über den NSU. Er schöpft daraus, er besinnt daraus, er ist davon inspiriert, dass da eine Gruppe von rechtsradikalen Terroristen ist, die Migranten ermordet, weil sie Migranten sind – und wie sie es machen: mit einem Nagelbombenanschlag in einer migrantischen Einkaufsstraße. Das ist natürlich etwas, was vom NSU kommt und was mich schockiert hat. Aber es geht auch – in meinem Hirn zumindest — um Mölln, um Solingen, 1993 die Brandanschläge. Der Fall des NSU bot daher filmisches Material, Elemente, die sich angeboten haben, einen Thriller zu machen. Die Opfer werden verdächtigt, die Ermittlungen über die Mörder finden im Dunstkreis der Opfer statt, das ist eigentlich ein sehr thrillerhaftes Motiv, ein sehr filmisches Motiv. Deswegen habe ich diese Steilvorlagen der Realität dankend angenommen.

Nun will ich Ihren Film eigentlich gar nicht so sehr in ein Genre einordnen, weil ich finde, dass er sehr schön aus verschiedenen Genres schöpft. Haben Sie mal darüber nachgedacht, ihn konventioneller als Thriller zu drehen?

Es gibt ja kein klassisches Genre mehr, was nur noch aus Genre besteht. Daran glaube ich nicht, dass haben die Serien und Serienformate aufgebrochen. Breaking Bad ist ein Drogenthriller, ein Kriminalfilm und es ist gleichzeitig auch ein Familienfilm und eine Komödie. Die Serien haben dem Kino gut vorausgehabt, dass eine Melange aus Genres bestehen kann. So ist mein Film eben auch: er bedient klassische Motive des Genres, aber ist noch viel mehr ist. Melodram, Gerichtsfilm, Familienfilm. Das ist schon eine Melange, es macht auch Spaß, das zu drehen. Ich komme ja vom Genre, Kurz und schmerzlos, mein erster Film, ist eigentlich auch ein Genrefilm. Ich habe schon immer mit Genreelementen gearbeitet, auch The Cut bedient Elemente vom Western zum Beispiel. Einfach weil mir Genrekino sehr viel Spaß macht. Aber gleichzeitig bin ich eben auch ein Autorenfilmer, ob ich will oder nicht, ist leider so – ich sag leider (lacht) – und dadurch sind meine Filme irgendwie immer ein Crossover.

Wie haben Sie die Tonlage für diesen Film gefunden, genau die richtige Mischung?

Das entsteht dadurch, dass man so innerliche Waagen in dem Kopf hat. Auf der einen Seite total präzise und realistisch sein, damit der Zuschauer glaubt, was er da sieht. Aber gleichzeitig willst Du auch, dass der Film vorwärtsgeht. Einerseits willst Du dem Gerichtsprozess gerecht werden, die Kritiker nehmen Dich auseinander, wenn Du ein Gerichtsverfahren nicht präzise darstellst, andererseits musst Du aber emotionaler sein als in der Realität. Es gab so viele Gebote, die dann einfach so die Stimmung, den Stil entstehen lassen haben.
Das einzige Ding, woran ich mich orientiert habe, als Motiv, waren bestimmte Comics von Batman. Es gibt so eine Reihe, die heißt Arkham Asylum. Das sind Graphic Novels, die handeln von der Irrenanstalt, in der so Leute wie der Joker festgehalten werden. Die ersten davon sind alles Aquarelle, die sind nicht am Computer gemacht. Diese Aquarelle, die wie gemalt sind, welche Lichtstimmung die haben – es spielt auch alles im Regen und so –, die habe ich meinem Team gegeben, meinem Kameramann, meinem Ausstatter, meiner Kostümbildnerin und gesagt, ich hätte gerne, dass es so aussieht wie bei Batman. Also auf der einen Seite einen total realistischen deutschen Film, aber andererseits kann man sich an amerikanischen Graphic Novels orientieren. Das finde ich sehr schön, diese Mischung, und dann kann man gucken, was da so passiert.


(Bild aus Aus dem Nichts; Copyright: Warner Bros. Germany)

Gerade der zweite Teil mit dem Gerichtsprozess hat mich schon fasziniert, zumal ja Gerichtsprozesse in Deutschland eher langweilig sind – viel weniger auf Dramatik ausgerichtet als in den USA beispielsweise. Aber in Ihren Film war dieser Teil mit dem Prozess sehr emotional und spannend. Was haben Sie gemacht, um dort Spannung und Bewegung hineinzubringen?

Ich habe vor allem reduziert. Ich habe echte Fälle gelesen und hier war der Fall um den NSU sehr hilfreich, also die Gerichtsakten. Ich habe mich durch die Akten gelesen, das waren über 1000 Seiten, und habe das immer weiter reduziert, auf 500 Seiten, auf 130 Seiten, auf 60 Seiten und dann irgendwann so auf 30 Seiten. Dementsprechend habe ich es verdichtet und als ich dann wirklich nur noch die wichtigsten Sachen hatte, die wichtigsten Punkte und alles andere raus war, da ging es darum, sie in eine dramaturgische Spannung zu bauen. Also: Wann kommt welche Information? Da hat mir der Hark Bohm sehr geholfen, muss ich sagen. Sowohl beim Reduzieren als auch bei der richtigen Reihenfolge. Die Reihenfolge weicht ein bisschen von der Realität ab, die chronologische Reihenfolge eines Prozesses wäre doch etwas anders als es bei mir im Film ist. Wir haben es der Dramatik zuliebe geändert.

Was dazu für mich auch beigetragen hat, ist diese fast schon radikale Subjektivität des Films, dass Sie die ganze Zeit an Katja dran bleiben – auch wenn beispielsweise die Rechtsmedizinerin im Einzelnen erklärt, was mit dem Körper des Jungen bei der Explosion passiert ist.

Weil sie natürlich die emotionalste Figur im ganzen Verfahren ist. Da hat mir auch der Herman Weigel, der das Ganze auch mitproduziert hat, einen guten Rat gegeben: Du musst sie immer unter Spannung inszenieren, permanent.

Warum haben Sie den Film in drei Teile unterteilt?

Wenn man die Geschichte von Katja nimmt, was sie durchmacht, den Prozess, nach dem Prozess, dann kommt so eine Kapitelbildung automatisch. Irgendwann stellt man fest, dass der erste Teil dann doch sehr viel in dem Haus der Opfer spielt, man geht da ja nicht in die Disco oder raus, im zweiten Teil ist man dann viel im Prozess und im dritten Teil dann wieder woanders. Das kam so automatisch, die Dramaturgie hat verlangt, dass sich der Film den Raum und die Zeit nimmt, wie er sie sich nimmt. Um das zu unterstreichen oder auch zu rechtfertigen, wollte ich dem Zuschauer hier und da auch ein wenig Orientierung geben. Aber das war jetzt keine Stilübung, sondern dass sie im ersten Teil emotional anders gepolt ist als im zweiten Teil und im dritten Teil – und wie kann ich so etwas erzählen? Indem ich sie anders fotografiere, es ist immer ganz wichtig, wie ich jemanden fotografiere, dass ist Rhetorik. Wie Du jemanden positionierst, macht automatisch etwas mit dem Zuschauer, mit dem Gefühl des Zuschauers.


(Trailer zu Aus dem Nichts)

Das fand ich bemerkenswert: Sie finden für jeden Film einen Stil und sind kein Regisseur, bei dem man bei dem ersten Bild sofort weiß, ah, das ist der neue Akin! Aber hier würde ich sogar sagen, dass Sie für jeden der drei Teile ihren Stil verändert haben.

Ja, richtig. Obwohl es dieselbe Figur ist, die das so festhält.

Interessant finde ich da, dass Sie ja wirklich schon seit Jahren mit denselben Leuten zusammenarbeiten. Mit Ihrem Cutter Andrew Bird schon seit Ihrem ersten Film, mit Kameramann Rainer Klausmann seit „Solino“. Wie ist das?

Es ist sehr hilfreich vor allem. Natürlich muss man immer aufpassen, dass es sich nicht abnutzt. Aber so eine gute Ehe kann ja auch hilfreich sein und sich nicht abnutzen, wenn eine gute Ehe immer neue Impulse hat. Und neugierig bleibt. Aber wenn die Impulse ausbleiben, dann muss sich eben trennen. Aber an dem Punkt bin ich mit meiner Crew noch nicht.

Welchen Einfluss haben sie dann auf Ihre Bildsprache?

Das ist so eine Melange, sie entwickeln sich natürlich auch weiter. Andrew Bird schneidet nicht nur für mich, Rainer Klausmann inzwischen schon, der dreht nur noch für mich, aber er guckt ja weiter Filme. Und das Kino entwickelt sich weiter, Medien ändern sich und wir verfolgen das und tauschen uns aus, „Hast Du das gesehen? Hast Du dieses gesehen?“ und inspirieren uns gegenseitig. Ich bin jetzt ja nicht so wie Haneke, der sagt, so geht’s, so wird das gedreht und so und so muss das geschnitten werden und fertig ist der Film. Ich bin ja eigentlich mehr der Moderator und lasse kreative Inputs zu, ich delegiere sie oder steuere sie. Ich mache einen Raum auf, in den jeder Input tut und daraus baue ich mir meinen eigenen Film.

Sie haben mal gesagt, Sie brauchen das Neue, das Experiment, die Herausforderung. Wo lag es bei „Aus dem Nichts“?

In dem Versuch, einen Thriller daraus zu drehen. Einen wirklich spannenden Film zu machen, der den Zuschauer wirklich fesselt, im besten Fall sich die Fingernägel zerkaut. Man tut es ja gerne, man ist ja gerne mit Spannung unterhalten. Und das war schon die Frage: Kann ich das? Und gleichzeitig etwas zu machen, was sehr persönlich ist, was mich etwas angeht? Wie kann ich das Autorenhafte und das Genremäßigste, das ich jemals gemacht habe, wie kann ich das vereinen? Und dass ich dann beim Drehbuchschreiben gemerkt habe, dass der Prozess so wichtig wird, da dachte ich, gut, der Gerichtsfilm ist auch ein Genre, kann ich das, kann ich das übersetzen, wie es in gut gemachten Gerichtsfilmen – die ich auch ganz gerne gucke, wenn sie gut gemacht sind, wie Music Box von Costa-Gavras – kann ich das? Das sind ja supergute Gerichtsfilme. Und ich komme aus Hamburg-Altona, ich komme ja nicht aus dem Bildungsbürgertum, ich bin weit weg vom Juristen, kann ich so etwas schreiben? Kann ich es inszenieren und gestalten?


(Bild aus Aus dem Nichts; Copyright: Warner Bros. Germany)

Wenn Sie es sich wünschten dürfen, was sollte der Zuschauer mit aus dem Film herausnehmen?

Ich wünschte mir einfach, dass der Zuschauer sich unterhält, dass er gespannt ist. Und dass er den Film nicht so schnell vergisst. Daraufhin habe ich auch viel hingearbeitet.

Vielen Dank für das Gespräch.

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