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Leben in Bewegung – Das Taxi im Film

Ein Beitrag von Christopher Diekhaus

Das Taxi tritt im Kino in verschiedenen Funktionen auf, als Zufluchtsort wie als Gefängnis, vor allem aber als Ort unwahrscheinlicher Begegnungen, die als Mikrokosmos mitunter die ganze Gesellschaft abbilden können.

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Das Taxi im Kino: Night on Earth / Taxi Driver / Collateral
Das Taxi im Kino: Night on Earth / Taxi Driver / Collateral

Ein gesprächige alte Dame mit bewegter Vergangenheit. Ein mürrischer, sorgengeplagter Fahrer. Und eine Odyssee durch Paris. Das sind die Grundzutaten der Tragikomödie Im Taxi mit Madeleine (2022), die vor allem eines unterstreicht: Auf der großen Leinwand ist das Taxi meistens mehr als ein bloßes Fortbewegungsmittel. Man kommt mit ihm zwar von A nach B. Viel wichtiger sind allerdings die Begegnungen oft gegensätzlicher Menschen auf engstem Raum. Für kurze Zeit entsteht so etwas wie Intimität, prallen Welten aufeinander, eröffnet sich vielleicht sogar ein konzentrierter Blick auf die Gesellschaft und ihre Befindlichkeiten. Genau darauf hebt der fiktive Präsidentschaftsanwärter Charles Palantine ab, wenn er in Martin Scorseses New-Hollywood-Klassiker Taxi Driver (1976) gegenüber dem Protagonisten Travis Bickle davon spricht, dass man Amerika am besten in einem Taxi kennenlernen könne. Eine Politikerfloskel, ja. Das Kino zeigt uns aber immer wieder, dass ein Taxi durchaus zum Brennglas sozialer und individueller Gemütslagen werden kann.

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Mit Night on Earth legte Jim Jarmusch 1991 einen Episodenfilm vor, der das Motiv der pointierten Begegnungen in schillernden Farben ausmalt. Die fünf nacheinander ablaufenden Geschichten spielen alle zur selben Zeit an einem Abend bzw. in einer Nacht in fünf Städten rund um den Globus. Hauptfiguren sind jeweils ein Fahrer oder eine Fahrerin und die betreffenden Kund*innen. Das erste Kapitel dreht sich um eine schicke Casting-Agentin aus Hollywood und eine im Schlabberlook auftretende, eher unkonventionelle junge Chauffeurin, die den Traum hegt, Automechanikerin zu werden. Für einen Moment finden diese grundverschiedenen Frauen zueinander. Die Möglichkeit einer Zusammenarbeit steht im Raum. Doch dann trennen sich ihre Wege wieder. Einiges an Komik zieht der zweite Abschnitt aus dem Aufeinandertreffen eines ostdeutschen, offenkundig ungeübten Taxifahrers und eines Afroamerikaners in der Weltstadt New York, die Jarmusch als Schmelztiegel der Kulturen zelebriert. Noch furioser geht es in der vierten Episode zu, in der ein herrlich eruptiver Roberto Benigni als Wagenlenker mit Berichten von seinen sexuellen Ausschweifungen einen herzkranken Priester schockiert. Auf die Spitze getrieben wird das Kommen und Gehen im Taxi, das kurze Eintauchen in unterschiedliche Leben in der Indie-Komödie Chicago Cab (1997). Im Verlauf eines Tages kutschiert ein namenlos bleibender Fahrer hier mehr als 30 verschiedene Gäste durch die Metropole am Michigansee. Erstaunlich und nicht ganz glaubwürdig ist freilich, dass alle Reisenden auch etwas Aufregendes zu erzählen haben.

in Jafar Panahis fiktivem Dokumentarfilm Taxi Teheran (2015) bekommen die Begegnungen im Taxi eine ganz besondere Aussagekraft. Der Film ist schon deshalb bemerkenswert, weil der seit 2010 mit einem Berufsverbot belegte Regisseur immer wieder raffinierte Wege findet, seiner Arbeit nachzugehen und sein Heimatland zu porträtieren. Eine auf dem Armaturenbrett angebrachte Kamera fängt die Gespräche zwischen dem als Taxifahrer posierenden Panahi und seinen Kund*innen ein, die sich unter anderem um das Für und Wider der Todesstrafe, Armut, Aberglaube, Zensur und die fehlenden Frauenrechte im Iran drehen. Mit einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln skizziert der Filmemacher ein einprägsames Bild der politischen und sozialen Umstände und erhebt das Taxi zu einem Ort des freien Denkens, wo die Menschen kurzzeitig das Zensurregime vergessen.

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Philipp Majers World Taxi (2019) ist dagegen der dokumentarischen Idee konsequent verpflichtet.  Die präzise beobachtete Arbeit taucht, wie der Titel schon andeutet, in den Alltag von fünf Taxifahrer*innen aus verschiedenen Ländern ein. Über deren individuelle Erlebnisse gelangt der Regisseur auch zu gesamtgesellschaftlichen Bestandsaufnahmen und blickt kritisch auf die stetig wachsende Beschleunigung der modernen Welt. Reale Geschehnisse sind Ausgangspunkt des südkoreanischen Spielfilms A Taxi Driver (2017). Der Titelheld, aus dessen Perspektive die Handlung geschildert wird, bringt darin den deutschen Journalisten Jürgen Hinzpeter im Jahr 1980 von Seoul in die im Südwesten gelegene Stadt Gwangju. Dort soll es Gerüchten zufolge gewaltsame Übergriffe von Seiten des Militärs gegen Demonstrant*innen geben. Nach einem noch beschwingten Beginn des Trips verwandelt sich das Taxi nach und nach in einen Raum der Offenbarung. Dem Protagonisten werden die Augen geöffnet für die Repressionen des Systems, in dem er sich bewegt.

Taucht im Kino ein Taxi auf, geht es oft auch um das Gefühl der Einsamkeit, der Isolation, um den fehlenden Anschluss an die Gesellschaft. Am eindringlichsten ist das verdichtet in Taxi Driver, einer Charakterstudie, die zugleich eine albtraumhafte urbane Welt entwirft und vielleicht die Psyche einer ganzen vom Vietnam-Trauma schwer angeschlagenen Nation freilegt. Durch die Augen der Hauptfigur Travis Bickle, intensiv gespielt von Robert De Niro, blicken wir auf ein New York, das einem dreckigen Moloch, einem Sündenpfuhl zu gleichen scheint. Zu Beginn durchbricht das ikonische gelbe Taxi eine der für den Big Apple so typischen, aus den Gullys aufsteigenden Dampfwolken und weckt damit infernalische Konnotationen. Wie so viele Fahrer*innen in der Filmgeschichte verrichtet Bickle seinen Job nicht aus Leidenschaft, sondern aus Notwendigkeit. Wo andere Geld verdienen wollen, um irgendwie über die Runden zu kommen, und dabei größeren Träumen nachhängen, ist es bei ihm, einem Kriegsveteranen, ein Mittel gegen die alles erdrückende Langeweile und Ruhelosigkeit. Nachts findet er keinen Schlaf. Und so zieht es ihn regelmäßig auf die vom Neonlicht erleuchteten Straßen New Yorks, obwohl er für das, was er dort sieht, nur Verachtung übrig hat. 

Mit seinen fragmentarischen Bildern und der nicht selten verschwommenen Sicht auf die Umgebung hinter der Windschutzscheibe macht Scorsese die seelische Verfassung seines Protagonisten spürbar und verleiht dem Geschehen wiederholt eine traumähnliche Qualität. In Taxi Driver wird das Taxi zu einem Vehikel, das alle sozialen Schichten durchbricht. Travis fährt in die verruchtesten Gegenden, begrüßt auf seiner Rückbank aber auch den Präsidentschaftsbewerber Palantine. Immer mehr mutiert der Wagen zu einem brodelnden Dampfkessel allerlei, vor allem männlicher, Frustrationen. In einer der ungemütlichsten Szenen expliziert der Regisseur in der Rolle eines geifernden und rassistischen Fahrgasts höchstpersönlich den Frauenhass, der Bickle nach einer gescheiterten Romanze erfasst hat. Zum Ende hin zieht der Protagonist dann mit seinem Taxi in den Krieg, schwingt sich zum Großstadträcher auf und wird – in einer wunderbar ambivalenten Wendung – für seinen Gewaltexzess als Held gefeiert. Ob dies der positive Schlusspunkt seiner beklemmenden Identitätskrise ist, lässt der Film klugerweise offen.

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Als tickende Zeitbombe, als Aggressor tritt der Taxifahrer auf der Leinwand immer mal wieder in Erscheinung. Etwa in Night Fare – Bezahl mit deinem Leben (2015), einer Mischung aus Actionthriller und Horrorfilm. Nach einer durchzechten Nacht in Paris verlassen zwei junge Männer das von ihnen benutzte Taxi, ohne zu bezahlen, und werden fortan von ihrem wütenden, zu einem mythischen Widersacher hochstilisierten Chauffeur verfolgt. Umgekehrt dient das Taxi häufig auch als Ort, an dem die Fahrer*innen einer unerwarteten Bedrohung ausgesetzt sind oder sich selbst durch ihr Handeln in Bedrängnis bringen. Michael Manns Streifzug durch ein düster-funkelndes Los Angeles in Collateral (2004) erzählt von einem afroamerikanischen Chauffeur, der einen Auftragskiller zu mehreren Orten in der Stadt kutschieren soll, an denen er Zielpersonen liquidieren muss. Aus der Geiselnahme, die heute, in Zeiten präziser Navigationsgeräte, gar nicht mehr notwendig erscheint, erwächst ein Katz-und-Maus-Spiel, das existenzielle Fragen berührt. In Carl Froelichs Ich war Jack Mortimer (1935) nimmt das Leben eines jungen Taxifahrers aus Budapest einen turbulenten Verlauf, als der Reisende auf seiner Rückbank erschossen wird.

Eine weitere Ausprägung auf dem Feld der Taxifilme sind Komödien mit markantem Action-Anteil, wie sie der von Luc Besson geschriebene und von Gérard Pirès inszenierte Hit Taxi (1998) repräsentiert, der es auf mehrere Fortsetzungen und ein US-Remake brachte. Auch Mika Kaurismäkis in Berlin angesiedeltes Noir-Roadmovie Helsinki-Napoli – All Night Long (1987) verbindet dynamische Einlagen mit humorigen Tönen und vermittelt ein Gefühl dafür, was es heißt, in einem fremden Land sein Glück zu versuchen. 

Daneben gibt es Werke, in denen Taxis keine zentrale, gar symbolische Bedeutung haben, aber eine Rolle beim Startschuss des eigentlichen Plots spielen. Im Verschwörungsthriller Unknown Identity (2011) wacht der Protagonist nach einem Unfall in einem Taxi mit Erinnerungslücken auf, wird zum Gejagten und versucht mühevoll, seine Identität zu beweisen. Hilfe erhält er dabei von der Lenkerin des verunglückten Wagens. Luc Bessons aufwendiger Science-Fiction-Streifen Das fünfte Element (1997) entführt uns in eine Zukunftswelt, in der Flugtaxen durch die Häuserschluchten New Yorks gleiten. Am Steuer eines solchen Vehikels sitzt ein Ex-Elitekämpfer, dem eine junge Frau aufs Dach kracht, mit der er die drohende Vernichtung der Erde durch das Böse verhindern muss. 

Schauen wir uns in einem letzten Schritt noch einmal Im Taxi mit Madeleine an, fällt auf, dass Christian Carions Tragikomödie viele Merkmale des Taxifilms in sich vereint: Zwei Menschen, die im Alltag sonst wohl nie zusammengefunden hätten, treffen zufällig aufeinander. Gegensätze weichen schrittweise auf, Vertrautheit entsteht, und mit der Zeit entblättert sich eine aufwühlende Lebensgeschichte. Anders als in vielen der genannten Werke geschieht all dies jedoch größtenteils am helllichten Tag. Arbeiten wie Night on Earth, Taxi Driver und Collateral nutzen gerade die rauschhafte, knisternde, auch unheimliche Atmosphäre der Nacht, um von persönlichen und kollektiven Stimmungen zu erzählen. Wenn es dunkel wird, sind wir Menschen vielleicht verletzlicher, aber auch weniger verschlossen und trauen uns im Schutz der Dunkelheit, zu berichten, was uns im tiefsten Inneren wirklich umtreibt.

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