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Klassiker mit Kindern: Der große Diktator

Ein Beitrag von Rochus Wolff

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Charlie Chaplin als Der große Diktator
"Der große Diktator"

In dieser Rubrik will ich in den kommenden Wochen jeweils zum Wochenende in die Kiste der Filmgeschichte greifen um (mehr oder minder große) Klassiker hervorzuheben – und zu schauen, ob und ab wann sie sich auch mit Kindern anschauen lassen. (Spoiler Alert: In den meisten Fällen ist das super.)

Meine Kinder sind glücklicherweise schon sehr früh und auf die freundlichste Art und Weise mit der Kunst Charlie Chaplins in Berührung gekommen: In der großen, cinephilen Stadt, in der wir damals lebten, gab es einmal im Monat Stummfilmmatinées für Kinder. Kurze Filme, großer Slapstick, noch größeres Gelächter zu Livemusik im wunderschönen Kinosaal.

An solche Erinnerungen von schönen Orten lässt sich im Moment natürlich schlecht anknüpfen; zumindest die ganz großen Meisterwerke Chaplins finden aber sogar über Streaming-Dienste den Weg auf heimische Bildschirme.

Für einen gemeinsamen Filmabend mit den Kindern und Der große Diktator schadet es nicht, wenn der Nachwuchs schon einiges Grundwissen über den Nationalsozialismus und speziell über Adolf Hitler mitbringt; so ab etwa zehn Jahren dürften zumindest die wichtigsten Themen und Fragen des Films sich schon einigermaßen erschließen.

Der Regisseur spielt selbst die zwei Hauptrollen: den armen, jüdischen Friseur, der im Ghetto seine große Liebe Hannah (Paulette Godard) kennenlernt, und den Diktator Hynkel, der von seinem Land Tomania aus, die Weltherrschaft anstrebt; um ihn herum Gestalten namens Garbitsch und Herring.

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Chaplins Slapstick hier reicht von politisch eher harmlosen Momenten (etwa der Kampf des Friseurs im ersten Weltkrieg mit der Kanone „dicke Berta“ und einem Blindgänger) bis hin zu wahlweise feinsinnigen bis offen spöttischen Offenlegungen von Größenwahn und Selbstherrlichkeit. Wenn Hynkel sich mit Napaloni, dem Diktator des benachbarten Bacteria, eine Würsteschlacht am Buffet liefert, ist das eher derb und albern, dafür ist der Tanz mit der Weltkugel ein bezauberndes Stück grazilen Slapstick-Balletts, elegant, wunderschön und doch in seiner politischen Positionierung mehr als deutlich.

Die Komik – nicht zuletzt auch das Unsinnsdeutsch, das Hynkel in seinen Reden von sich gibt und das Hitlers Rhetorik und Redeweise sehr genau in den Blick nimmt – hält in Der große Diktator das Schreckliche nur gerade eben so in Schach. Das macht den Film auch für Kinder relativ leicht zugänglich, eröffnet aber, je mehr ein Kind über den Nationalsozialismus weiß, auch sehr schnell weitere Bedeutungsebenen – und Gesprächsbedarf.

Chaplin hat später geäußert, dass ihm das Grauen der Konzentrationslager, die Ermordung der Europäischen Jüdinnen und Juden nicht in vollem Umfang bewusst gewesen sei – es hätte dann den Film in dieser Form wohl nicht gegeben. Die Rede am Schluss, der flammende Appell an die Menschlichkeit, für Demokratie und Liebe („nur, wer nicht geliebt wird, hasst!“) ist der Hilfeschrei der Ernsthaftigkeit, der herauslugt, der sich natürlich auch an eine USA richtete, die zur Entstehungszeit des Films mit dem Krieg noch nichts zu tun haben wollte – erst etwa ein Jahr nach Premiere des Films, nach dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941, erklärte die USA zunächst Japan, bald auch Deutschland und Italien den Krieg.

Die Rede und die sich anschließenden Schlussmomente des Films wirken heute – das irritierte bei uns das junge wie das ältere Publikum ein wenig – kitschig bis sogar schmalzig. Fast schmerzhaft strahlt sie noch die Hoffnungen Chaplins ab, das alles möge ein gutes Ende finden – die Realität war da bereits furchtbarer, als der Filmemacher es sich vorstellen konnte.

(FSK 6, empfohlen ab 10 Jahren; auf zahlreichen Plattformen als VoD abrufbar)

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