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Jahresrückblick - Filmische Trüffel: Der Unsichtbare

Ein Beitrag von Christian Neffe

2020 nähert sich seinem Ende. Man möchte sagen: zum Glück. Für niemanden, auch nicht für Kinofreunde, war es ein leichtes Jahr. Wir lassen es dennoch aus cineastischer Sicht Revue passieren. Heute mit Leigh Whannells „Der Unsichtbare“.

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Der Unsichtbare - Trailer (deutsch)

Während Elisabeth Moss weiterhin in der Serie The Handmaid’s Tale brilliert (Staffel 4 lief in diesem Jahr an), dreht sie auch noch fleißig Filme. 2020 war die 38-Jährige nicht nur im hervorragenden Shirley zu sehen (hierzulande bisher leider nur auf der Berlinale), sondern auch in einem reinrassigen Genre-Film: Der Unsichtbare. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von H.G. Wells war der zunächst als weiterer Eintrag in Universals Dark Universe geplant. Da das aber bekanntlich schon nach der ersten Ableger (Die Mumie) auf Eis gelegt wurde, kann dieser Film nun ganz ohne Referenzen auf und Bezüge zu anderen Werken für sich stehen. Und man muss konstatieren: Zum Glück!

Der Stoff wurde allerdings auch zeitgemäß umgekrempelt: Als Hauptfigur fungiert diesmal kein Wissenschaftler, der sich unsichtbar machen kann, sondern Cecilia Kass (Moss), die zu Beginn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der luxuriösen Villa ihres narzisstischen, kontrollsüchtigen, manipulativen und gewaltbereiten Lebenspartners Adrian flieht. Sie kommt bei einem Freund ihrer Schwester unter, lebt in steter Angst, Adrian — ein herausragender Forscher auf dem Gebiet der Optik — könnte plötzlich vor ihr stehen und ihr Schlimmes antun. Dann ereilt sie eine schockierende und zugleich erlösende Nachricht: Adrian ist tot, Selbstmord, und hat Cecilia sogar fünf Millionen Dollar hinterlassen.

Die Erleichterung währt aber nicht lang, irgendetwas scheint Cecilia weiterhin zu verfolgen — etwas nicht Sichtbares, Ungreifbares. Ist es Adrians Geist? Verfolgt er sie etwa auch über ihren Tod hinaus? Oder ist es ihr eigener Verstand, vernarbt von der Gewalt innerhalb der Beziehung, der ihr Streiche spielt und Cecilia langsam verrückt werden lässt?

Auf reiner Grusel-Ebene ist der neue Film des Insidious-3-Regisseurs, trotz sehr gelungener Kameraarbeit, zwar eher pragmatisch — dafür brilliert er auf inhaltlicher. Unter dem Genre-Gerüst schlummert eine eindrückliche, an die Nieren gehende Auseinandersetzung mit den Themen häusliche Gewalt und toxische Männlichkeit. Nicht nur der Antagonist ist hier unsichtbar, auch die Gewalt ist es. Sie ist weniger von physischer als von psychischer Natur, und doch absolut greif- und spürbar, verfolgt Cecilia selbst über die endgültige Trennung hinweg, ist für ihre Mitmenschen aber nur ein Hirngespinst — und trotzdem unleugbar vorhanden. Damit stellt Der Unsichtbare einen weiteren gelungenen Vertreter des elevated horror dar, der mehr will, als nur zu schocken, sondern zuvorderst gesellschaftliche und soziale Themen mithilfe von Genre-Konventionen vermitteln möchte. Und das gelingt diesem Film mit Bravour.

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