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"The Favourite": Neue Weiblichkeit im alten Gewand

Ein Beitrag von Christian Neffe

Das Jahr in 7 Filmen #7: Unter prunkvollen Perücken und Kleidern entzündete Yorgos Lanthimos in „The Favourite“ einen Machtkampf dreier Frauen und revidierte damit das Bild der schweig- und gehormsamen Adeligen, die vorrangig nach der Gunst eines Mannes strebt.

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Bild aus The Favourite
The Favourite

Schweigsam und unterwürfig sollte sie sein, anmutig und natürlich hübsch anzusehen — das Frauenbild, das die meisten Kostüm- und Historienfilme vermitteln, könnte unmittelbar aus jenem Jahrhundert stammen, von dem sie erzählen. Und wenn die weibliche Heldin dann doch einmal gegen das Patriarchat aufbegehren darf, dann steht sie zumeist als Alleinkämpferin da. Yorgos Lanthimos erteilte diesen überkommenen Sujets Anfang des Jahres eine aalglatte Abfuhr. Stattdessen lud er mit „The Favourite — Intrigen und Irrsinn“ ein nostalgisch verklärtes Genre mit einem Schwall moderner Ideen auf — vor allem im Hinblick auf die Frauen, die hier im Mittelpunkt stehen.

Derer sind es drei: die englische Königin Anne (für die Rolle zurecht Oscar-prämiert: Olivia Colman), ihre engste Vertraute, Freundin und zugleich Geliebte Sarah (Rachel Weisz) und deren Cousine Abigail (Emma Stone). Letztere kommt, nach Arbeit suchend, an den Hof und macht Sarah allmählich ihre Position streitig. Aus dieser Dreiecksbeziehung erwächst ein Kampf um Anerkennung, Würde und Zuneigung, der — klassisch Lanthimos — immer absurdere Züge annimmt.

Der männliche Adel spielt dabei eine bestenfalls untergeordnete Rolle. Zwar sieht der erste Earl von Oxford, Robert Harley (Nicholas Hoult), in Abigail eine Gelegenheit, endlich die widerspenstige Sarah ihrer Machtposition zu entheben und dadurch selbst an Einfluss zu gewinnen. Vielmehr jedoch sind die toupierten Herrschaften damit beschäftigt, Entenrennen zu veranstalten oder sich mit exotischem Obst zu bewerfen.

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Die drei im Mittelpunkt stehenden Frauen sind jedenfalls alles andere als schweigsam oder unterwürfig. Jede von ihnen trägt Narben aus der Vergangenheit mit sich, jede versucht, sich durch ein Gespinst von Intrigen und Manipulationen zu kämpfen. Nicht aber, ohne selbst daran mitzuwirken. So werden drei Unterdrückte (nicht einmal die Königin hat völlige Macht, politisch ebenso wie sozial) zu Teilnehmerinnen eines Spiels um Macht — und ohne Regeln.

Lanthimos bewies sich bereits mit seinen früheren Werken als meisterhafter Dekonstrukteur menschlicher Werte, Regeln und Realitätsvorstellungen. In The Favourite macht er aus dem englischen Königspalast einen Zoo, in dem sich neben Karnickeln, Enten, Hummern und Tauben auch Menschen um die Bewunderung anderer sowie die besten Happen reißen, die ihnen zugeworfen werden. Eine Waffe der Wahl ist dabei nicht zuletzt (homo- wie auch heterosexueller) Sex. Die patriarchalen Strukturen werden zwischen den Geschlechtern aufgerieben und schließlich aufgelöst. Der in solchen historischen Szenarien üblicherweise vorgefundene Gleichsetzung von Weiblichkeit und Frömmigkeit wird in The Favourite jede Grundlage entzogen. Lanthimos lässt den drei Frauen die aktivsten Rollen des Films zuteil werden — und nach wesentlich mehr Streben, als der schnöden Gunst eines Mannes.

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Porträt einer jungen Frau in Flammen (c) Alamode Filmverleih

Einen modernen Ansatz hinsichtlich historischer Frauenbilder verfolgte auch Céline Sciammas vielgelobtes Porträt einer jungen Frau in Flammen. In der Bretagne des 18. Jahrhunderts verbringen Héloise (Adèle Haenel) und Marianne (Noémie Merlant) mehrere Tage miteinander, gänzlich isoliert von der Realität. In brillanter Formvollendung schilderte Sciamma die Liebe und intime Momente zwischen ihren Protagonistinnen, ohne ausschließlich auf körperliche, sondern vielmehr auf seelische Erfahrungen abzuzielen. Obwohl Porträt einer jungen Frau in Flammen von Frauen erzählt wird und gleichsam über sie erzählt, so ist er doch von geschlechterübergreifender Relevanz. Einerseits um einander zu verstehen, andererseits um zu begreifen, woher die Geschlechtergräben kommen und wie tief sie sich ziehen.

Zumindest einige Filme haben im letzten Jahr versucht, diese Gräben ein wenig zu verkleinern.

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