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Nick, Cage und sein Mythos

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Er war ganz oben. Spielte die größten Rollen. Dann verschwand er — mit wenigen Ausnahmen -  in billigen Kleinstproduktion und wurde zum Meme. Nach dem gefeierten „Pig“ kommt nun „Massive Talent“ und schlägt ein neues Kapitel im Mythos Nicolas Cage auf.

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Nicholas_Cage

Nicht die Bienen! Und erst recht nicht der brennende Kopf aus „Ghost Rider“. Es sind andere Qualitäten, die Nicolas Cage in den 90er Jahren zum Superstar gemacht haben. Auch zu diesem Zeitpunkt war seine Rollenauswahl bereits sehr breit gefächert. Vom liebestrunkenen Sailor in David Lynchs Meisterwerk „Wild at Heart“ über die Oscar-Rolle in „Leaving Las Vegas“ bis zum Actionfilm-Triumvirat „The Rock“ — „Con Air“ — „Im Körper des Feindes“ — der Schauspieler konnte alle seine Facetten ausspielen. Cage hat eine unberechenbare Aura, die von einem expressiven Wahnsinn befeuert und durch eine zarte Melancholie gestützt wird; der deutsche Expressionismus bricht sich im New Hollywood. Cage ist ein Rebell und doch kommt man seiner Persona nicht durch ein klassisches Porträt auf die Spur. Man muss sich ins Spiegellabyrinth dieser Persönlichkeit begeben, die immer schon am eigenen Mythos gearbeitet hat und jede Niederlage zu seiner eigenen gemacht hat: Film überkreuzt sich mit dem Leben, bricht sich in Memes und kruden Storys über zweiköpfige Schlangen und Schlösser in Bayern. Fragen wir also nicht, wer dieser Nicolas Cage ist, sondern was er ausdrückt — hier und da und jetzt.

A: Nobody wants to be killed

Rumble Fish, Francis Ford Coppolas poetisch-expressionistisches Gegenstück zum wesentlich geradlinigeren, aber nicht minder grandiosen The Outsiders, erzählt von Jugendgangs, von übermächtigen Brüdern und Trauer, von Wut und Gespenstern. Auf der Vorlage eines Romans der amerikanischen Schriftstellerin S.E. Hinton basierend - wie auch The Outsiders - schwingt sich der Film zu einem kinematografischen Poem auf, von dem man nicht sagen kann, dass Nicolas Cage eine wirklich große Rolle darin spielen würde. Vielmehr ist es ein Film, der von der Atmosphäre lebt, die zwischen Mickey Rourke, Dennis Hopper und dem jungen Matt Dillon entsteht. Doch dann ist da eben doch Cage, wie er als linkischer Verräter einen zynischen Ratschlag wie einen Schlag ins Gesicht verteilt. Im Hintergrund spiegeln sich die Wolken im Fenster — die Wolken, die in diesem Film immer ganz nah sind, als wäre der Tod als federleichte Präsenz auf die Erde gekommen. Keine Spur von THE CAGE, vom Expressionismus, der ekstatischen Gestik. Völlig zurückgenommen und äußerst präzise erspielt sich der Schauspieler hier eine Präsenz, die sich mit der tief sitzenden Unsicherheit der Figur verbindet: Dieser Smokey ist ein Gernegroß, der sein eigenes schlechtes Gewissen überspielen muss. „Nobody wants to be killed“, spuckt er heraus. Darum geht es also: Angst wird zum Verräter.

B: Verletzlichkeiten

Auffällig sind die vielen zerrissenen Charaktere, die Cage über die Jahre spielt. In seinen guten Momenten, wenn all dieses Massive Talent durchbricht, steigt eine zarte, verletzliche Seite aus der Wildheit seines Spiels auf. Und genau das ist der Punkt: Die Verletzlichkeit liegt nie still und offen zutage. Wenn Cage allzu zurückhaltend spielt, dann wirkt er wie an eine Kette gelegt. In Stadt der Engel, dem völlig kitschigen und unnötigen Remake des Wim-Wenders-Klassikers Der Himmel über Berlin, wirkt er blass, ausdruckslos und kaum anwesend. Im großen Triumph Leaving Las Vegas hingegen ist seine Energie im Spiel der Taumel einer todtraurigen Agonie — wir schauen jemandem zu, wie er in den Abgrund tanzt.
Cage spielt in diesem Film den gescheiterten und alkoholsüchtigen Drehbuchautor Ben Sanderson, der beschlossen hat, sich zu Tode zu saufen. Dann lernt er die Prostituierte Sera (Elisabeth Shue) kennen. Eine leidenschaftliche Romanze beginnt, die jedoch nichts an Bens Todeswunsch ändert. Unerbittlich und eben ohne jedweden Kitsch ist Leaving Las Vegas bis heute einer der besten Cage-Filme über die große Leidenschaft der (Selbst)Verschwendung. Eine ikonische Szene, in der Sanderson mit einem Bier in der Hand in den Pool hineinschreitet, wird auch in Massive Talent zitiert. 

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Eine ähnlich komplexe Vorstellung innerer Zerrissenheit gelingt dem Schauspieler in Martin Scorseses unterschätztem Film Bringing Out The Dead, der häufig völlig verzerrend als Taxi Driver auf Speed beschrieben wird. Das mag vielleicht daran liegen, dass eben Paul Schrader sich erneut für das Drehbuch verantwortlich zeigte und es sozusagen zu einer New-York-Reunion kam. Inhaltlich hingegen haben diese Filme nur den Verdruss am Leben gemein, während der Umgang damit ein völlig anderer ist. Ein völlig aufgelöster Rettungssanitäter wird in diesem düster-zynischen Tollhaus von einem Film zu einem spirituell-empfindsamen Erlöser, gepeinigt vom Tod und Schmutz auf den Straßen. Cage ist hier Cage — er darf brüllen und mit den Augen rollen: Wenn er einem Mann nach einem Selbstmordversuch die stümperhafte Durchführung vorwirft, spürt man in der Wut den eigenen Todeswunsch und das gleichzeitige Erschrecken davor und vor sich selbst.

C: Der untypische Actionheld

Diese goldenen Kanonen und der Headbang vor dem singenden Chor — nicht wenigen dürften jene Bilder aus Im Körper des Feindes im Gedächtnis geblieben sein. Rückblickend ist dieser wahnwitzige Gesichtertausch von Regisseur John Woo ein fast unwirkliches B-Movie-Ballett, bei dem man gar nicht sagen kann, ob der Film einfach nur großartig ist oder vollständig neben der Spur. Die Faszination entsteht wohl aus dem beständigen Wechsel zwischen diesen beiden Polen, die sich auch im Casting von Cage und John Travolta ausdrücken: Beide tauschen durch einen chirurgischen Eingriff die Gesichter. Der Cop (Travolta) wird zum Schurken (Cage) und anders herum. In dieser Hinsicht ist Im Körper des Feindes auch ein Metafilm über das Schauspielen. Es ist schon ein Ereignis, wenn diese beiden so unterschiedlichen Temperamente die Manierismen des jeweils anderen übernehmen. Cage führt in diesen Film einen überdrehten Comic-Expressionismus in den Actionfilm ein, den er dann auch bei Con Air ausspielen darf — ein Film, der ohnehin völlig aus den Fugen gerät, überbordend und großartig überzeichnet ist. Cage war sicherlich der untypische Actionheld der 90er. Vielleicht ist es der Charme des Jedermanns, der selbst durch den antrainierten Körperpanzer in Con Air durchscheint, durch den diese hyperexplosiven Filme geerdet wurden? Jedem expressiven Wahnsinn, jeder Grimasse von Cage wohnt ein Spiel inne, eine Aufgesetztheit: Er ist und bleibt eben ein Trickster.

D: Memes und Kult

Darin liegt womöglich auch die Erklärung, warum Cage dann, als es mit seiner Karriere begab ging und die Filme immer schlechter wurden, zu einem dermaßen großen Internethype geworden ist: Memes erschaffen durch die Dekontextualisierung eine digitale Form des Expressionismus. Auf eben diese Weise lässt sich auch ein Aspekt seiner Schauspielkunst beschreiben. Cage setzt innerhalb einer Szene exzessive Noten, wie als würde er auf einer Bühne ein Free-Jazz-Stück anstimmen. Nicht selten entsteht dann durch diese Irritation ein Moment, durch den die schon beschriebene Verletzlichkeit aufschimmert. Immer aber ist es ein Risiko, ein Tanz auf der Rasierklinge, der, wenn erneut aus dem Zusammenhang gerissen, eine ungemeine Komik entwickelt. Der Rest ist YouTube-Geschichte: 

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E:  Mandy und das Schwein 

Und dann, nach all den Jahren unsäglicher B- und C-Movies, schwingt sich der abgehalfterte Hollywoodschauspieler mit Mandy und Pig wieder zu großen Werken auf. Nun — ganz so einfach ist es nicht. Zwischen Totalausfällen wie Bangkok Dangerous, Drive Angry oder Primal - Cage brauchte eben das Geld — gab es immer wieder sehr helle Momente: Werner Herzogs Bad Lieutenant, den herrlichen Kick-Ass oder Joe.

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Cage hatte, wie manch böse Zungen behaupteten, zu keiner Stelle sein Talent verloren. Es braucht Regisseure, die mit seinem Spiel etwas anfangen können. Er selbst hatte nämlich immer schon einen Hang zu absurden Drehbüchern und seltsamen Charakteren. Man denke nur an David Lynchs Wild At Heart, in dem Cage das popkulturelle Abziehbild Sailor spielt, der sich auf das Innigste mit seiner Schlangenlederjacke identifiziert und sich als moderner Romeo durch eine dekonstruierte Variante von Der Zauberer von Oz kämpfen muss. In den Händen jedes anderen Regisseurs wäre aus einem solchen Drehbuch eine absolute Katastrophe geworden. Der große amerikanische Surrealist aber schenkte The Cage eine seiner besten Rollen. 
Nun heißt es Massive Talent, indem Nicolas Cage einen gewissen Nicolas Cage spielt. Wer denkt, in dieser Satire den wahren Nick zu Gesicht zu bekommen, wird enttäuscht sein: In dieser ziemlich gelungen Selbstpersiflage dreht Cage am großen Rad des eigenen Mythos: Der Trickster hat noch ein paar Karten in der Hinterhand — daran gibt es keine Zweifel.

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