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Nachflimmern: Out of the Blue

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Anfang der 1980er hat Dennis Hopper mit Out of the Blue einen gewaltigen Coming-of-Age-Film gedreht: queer, aufmüpfig und wild. Und doch ist der Film bis heute weitgehend unbekannt. Zeit für eine erneute Huldigung.

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Filmstill zu Out of the Blue (1980) von Dennis Hopper
Out of the Blue (1980) von Dennis Hopper

Jede Woche erscheinen auf den bekannten Streamingplattformen neue Filme. Wir können uns vor Geschichten, Serien und Bildern gar nicht mehr retten. Doch wenngleich es so scheint, als wäre alles immer nur einen Klick entfernt, gibt es am Rande dieser Masse immer noch Filme, die kurz vor dem Vergessen stehen und dabei so schön hell und verlockend flimmern. Dennis Hoppers Out of the Blue ist ein solches Meisterwerk; und es wurde schon damals übergangen. Nach der Premiere in Cannes 1980 erschien der Film erst zwei Jahre später in den USA. Zu roh, düster und ungeschminkt war das Bild, das Hopper von Amerika zeigte. Eine persönlich gefärbte Hommage:

 

Das erste Mal bin ich in einer gut sortierten Berliner Videothek über diesen Film gestolpert. Seit ich als Jugendlicher Salingers Der Fänger im Roggen in einem kalten bayerischen Winter verschlungen hatte, war jeder Coming-of-Age-Film ein Versprechen auf eben dieses Fänger-Gefühl. Igby goes Down hatte großen Eindruck gemacht. Die Stephen King-Verfilmung Stand by me hatte mich ganz tief berührt und mir unerreichbare Sommerabenteuer ins sehnsüchtige Bewusstsein gebrannt. Und natürlich würde da immer der alte James-Dean-Klassiker …denn sie wissen nicht, was sie tun sein, dem eine zeitlose Aura eingeschrieben ist. 

Ich war also ein leichtes Opfer für die Tagline auf der orange-roten, heute vergriffenen Edition von Koch Media: She was 15. The only adult she admires is Johnny Rotten. Coming-of-Age, die Sex Pistols und dann auch noch ein Film von und mit Dennis Hopper, den ich seit seiner Darstellung des irren Frank Booth in David Lynchs Blue Velvet regelrecht verehrte. Hopper selbst war ja einer dieser rebellischen Geister, der sich einfach nicht unterordnen wollte und gerade Ende der 1970er und Anfang der -80er den Ruf einer unkontrollierbaren Naturgewalt hatte. Der Regisseur Richard Linklater (Boyhood) beschreibt das schon recht treffend, wenn er sagt, dass es kaum einen Schauspieler gab, der in den 1980ern so tief unten angekommen war wie Hopper, nur um dann wie der Phoenix aus der Asche zu steigen. Das Gesamtpaket stimmte und verführte mich. 

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Und dennoch habe ich mir Out of the Blue aus irgendwelchen, mir bis heute unerfindlichen Gründen an diesem Abend nicht ausgeliehen. Womöglich habe ich ihn auf meiner imaginären Watchlist vermerkt und bin dann, bevor ich ihn ausleihen konnte, umgezogen. Zu dieser Zeit war es noch möglich, Wohnungen in Berlin zu finden und als Student zog ich gerne um, wechselte die Orte und damit die Atmosphäre der Viertel. Erst kürzlich konnte ich das nachholen, was ich schon an diesem Abend hätte tun sollen — ich hätte Linda Manz in die Schwärze folgen sollen.

Schande über mein Haupt. Dieser Film hätte nicht so lange ungesehen bleiben dürfen. Diese Geschichte der 15-jährigen Cebe (Linda Manz), die offenbar gegen alles und jeden aufbegehrt, einzig dem King, den Sex Pistols und dem Gestus der Revolte huldigt und sich damit doch gegen eine tiefsitzende Traurigkeit panzert, hat eine ungebändigte und bisweilen sehr gegenwärtige Kraft.

Dennis Hopper spielt den Vater, der gleich zu Beginn des Films mit seinem Truck in einen Schulbus rauscht und dafür ins Gefängnis geht. Die kleine Cebe saß neben ihm. Einzig eine Narbe im Gesicht wird von diesem Unfall zeugen — zumindest in körperlicher Hinsicht. 

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Nach dem Crash springt der Film in der Zeit. Wir lernen ein pubertierendes Mädchen kennen, wie es im Kino der Gegenwart bislang kaum gezeigt wurde: Vollkommen aufgeplustert stolziert sie wie eine queere Elvis-Imitation durch die Straßen dieser spießigen Kleinstadt. Sie schleppt einen tragbaren Kassettenrekorder mit sich herum, der den Soundtrack zu ihrer Rebellion liefert. Allen voran Neil Youngs Hymne Out of the blue, von der sich der Film den Titel geborgt hat. Mit seiner unvergleichlichen Stimme singt Young: 

“The king is gone but he’s not forgotten
Is this the tale of Johnny rotten?
It’s better to burn out than fade away
The king is gone but he’s not forgotten.“
 
Wenn man so will, dann ist Dennis Hoppers Film die Verfilmung dieses Songs. Der Spirit des ewig wütenden Sängers der Sex Pistols, der sinnbildlich für einen nihilistischen Trotz gegen das Übel der Welt steht, bricht bei Cebe vollkommen aus, als der Vater aus dem Gefängnis entlassen wird und ein dunkles Geheimnis sich langsam an die Oberfläche schält. Bis es dann allerdings zum explosiven Finale kommt, wird sich das junge Mädchen mit der heiligen Dreifaltigkeit des Rock’n’Roll gegen ihr langsames Verblühen stemmen. 

Out of the Blue ist ein Film, der von beiden Seiten brennt. Das ist vor allem der schauspielerischen Leistung und der androgynen Präsenz von Linda Manz zu verdanken. Wie sie mutig stolziert, in sich zusammenbricht und sich schüttelt, das ist berührend und aufwühlend zugleich. Solche gefährlichen Frauenfiguren gibt es heute — bei aller Diskussion um Diversität — kaum.

Angenehm ist der Film sicherlich nicht. Er tut weh. Aber er zeigt eine Existenz, die sich die männlich geprägte Wut aneignet, die Musik zu ihrer Waffe macht und eine geschlechtslose Traurigkeit ausstrahlt. Da fügt sich ein Mensch seinem Schicksal nicht; ist das nicht genau die Essenz von Rock’n’Roll? In manchen Szenen vergisst man, dass Cebe ein Mädchen ist; sie ist einfach ein Individuum, dass sich einen eigenen Raum schafft, dass sich aufbäumt und schließlich zurückschlägt. Vielleicht einer der Gründe, warum der Film in den USA so lange nicht in die Kinos kam — so viel Selbstermächtigung war für die Sittenwächter wohl zu viel.

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Bereits zuvor hat Manz, diese einmalige Schauspielerin, in Terrence Malicks wundersamem In der Glut des Südens mit ihrer Präsenz allen die Show gestohlen. Wie Malick war auch Hopper von der jungen Schauspielerin derart beeindruckt, dass er ihre Rolle größer werden ließ. Dieser Ausdruck von aufmüpfig-verlorener teenage angst, jede ihrer gekünstelt-staksigen Gesten, macht diesen Film zu einem Großwerk des Coming-Of-Age-Genres.

Welch ein Wunder, dass Dennis Hopper die Regie übernahm, als das Projekt eigentlich schon abgeblasen war. Der Produzent war mit dem bisher gedrehten Material nicht zufrieden. Hopper, eigentlich nur für die Hauptrolle engagiert, nahm sich der Geschichte an und schrieb an einem Wochenende das Drehbuch um — womöglich mit Neil Young im Ohr. Er machte aus einem harmlosen Highschool-Drama ein authentisches Porträt einer Zeit, aus deren dunklem Herz der Punk geboren wurde.

Den Film gibt es in gut sortierten Videotheken oder als Import-DVD. Am Rande der Streaminggiganten flimmern große Schätze. Out of the Blue gehört dazu.

Filmstill zu Out of the Blue (1980) von Dennis Hopper
Out of the Blue (1980) von Dennis Hopper

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